Freitag, Mai 29, 2015

Vom Geheimnis der Schreibfehler

Es gibt einen großen Unterschied zwischen den eigenen Schreibfehlern und denen, die andere machen: Die eigenen muss man suchen, die der anderen fliegen einem entgegen.  Die Erklärung ist einfach.

Wenn wir einen Text lesen, den wir selbst geschrieben haben, dann lesen wir nicht eigentlich den Text, den wir vor Augen haben, sondern den Text, den wir schreiben wollten. Das klingt komisch, ist aber so. Deshalb müssen wir uns  in unseren Texten auf die Suche nach Fehlern machen, wir müssen jedes Wort unter die Lupe nehmen, den Text zu überfliegen genügt nicht.

Selbst beim flüchtigen Lesen der Texte anderer Autoren brauchen wir nicht nach Fehlern zu suchen, sie fallen uns sofort ins Auge. Wir vergleichen die Wörter automatisch mit der Schreibweise, die wir in der Schule gelernt haben. Und das ist eben anders als bei den eigenen Texten. Da lesen wir genauso automatisch das, was wir schreiben wollten und übersehen die Fehler, die wir gemacht haben.

Dass das Lesen fremder Texte selbst bei bemühter Genauigkeit nicht alle Fehler zutage fördert, ist mir bei der (nochmaligen) Lektüre der „Blechtrommel“ von Günter Grass bewusst geworden. In der Erstausgabe von August 1959, die ich seinerzeit gelesen und jetzt wieder gelesen habe – nach 56 Jahren – sprang mich auf Seite 155 ein falsch geschriebenes DASS an. „Ein Ring, der eine so zierliche Gemme hielt, DAS man ihm ansah…“. Und das passierte 1959, als Lektoren und Korrektoren mehr Zeit zum gewissenhaften Lesen eingeräumt wurde als heute.

Ach ja, Korrektoren gibt es heute gar nicht mehr, jedenfalls nicht in der Tagespresse. Sie wurden ersetzt durch Korrekturprogramme. Ich habe das Gefühl, dass diese Programme nicht so tüchtig sind wie die in Pension geschickten Korrektoren und dass sie die merkwürdigsten Fehler produzieren. Aber das ist ein anderes Thema.

Wer macht mehr Fehler – der Mensch oder der Computer? Der Computer? Falsch! Denn die Fehler, die der Computer macht, haben wir ihm beigebracht.

25. 05. 2015