Dienstag, Februar 03, 2015

Pragmatismus

Wenn wir die Dinge so nehmen wie sie sind, wenn wir uns arrangieren, wenn wir fünfe gerade sein lassen, ein Auge zukneifen oder gleich ganz wegsehen, wenn wir den bequemen Weg gehen, dann verhalten wir uns pragmatisch. Das ist Pragmatismus.

Alles halb so schlimm? Oder schlimmer als schlimm? Sehen wir uns die Sache mal am Beispiel Saudi-Arabien an. Da ist gerade der 91-jährige König gestorben und ein nicht viel jüngerer folgt ihm. Ein Anlass für das Hamburger Abendblatt, sich in den Ausgaben vom 22. und 24./25. Januar mit Saudi-Arabien zu befassen.

„Der entsetzliche Verbündete“ überschreibt Thomas Frankenfeld am 22. Januar seinen Beitrag. Er schildert die Enthauptung einer Frau, so wie man kein Tier schlachten würde. 87 Menschen wurden 2014 in Saudi-Arabien mit dem Schwert hingerichtet. Der Blogger und Menschenrechtsaktivist Raif Badawi hat Muslime, Christen, Juden und Atheisten als gleichwertig bezeichnet. Die Strafe: 1000 Hiebe mit einem Rattanstock. Schon nach 50 Hieben musste die „Bestrafung“ unterbrochen werden. Der Anwalt Badawis wurde zu 15 Jahren Haft verurteilt, weil er Badawi verteidigte. Saudi-Arabien ist wohl die intoleranteste Despotie der gesamten islamischen Welt – von den mörderischen Fanatikern des „Islamischen Staates abgesehen, fasst Frankenfeld eine Reihe von Untaten zusammen. Parteien, Opposition, Streiks und Gewerkschaften sind verboten. Die Rechte von Frauen sind drastisch eingeschränkt, fährt Frankenfeld fort und kommt dann auf die fragwürdige, die empörende Rolle des „Westens“ zu sprechen.

Das Problem für den Westen ist, dass dieser unerquickliche „Verbündete“ über die größten Ölreserven der Welt und starke Streitkräfte verfügt, dass die geostrategische Situation sich bei einem Zusammenbruch Saudi-Arabiens in katastrophaler Weise verändern würde. „De facto garantieren die USA den Bestand des Regimes gegen Öllieferungen und eine Stabilisierung der Region. Zudem ist Saudi-Arabien Rivale und Gegengewicht zum schiitischen Iran.“

Menschenwürde, Freiheit, alle menschlichen Werte geben wir her für unseren Luxus.

Clemens Wergin sieht das in seiner Betrachtung „Der Westen verliert einen Stabilitätsanker“ genau so und doch ganz anders. Er hebt hervor, dass König Abdulla eine Reihe von Reformen in seinem Land durchgesetzt hat. So ließ er die Lehrbücher überprüfen, ließ besonders radikale Textstellen entfernen und zwang 900 Imame zu Re-Edukations-Kursen. Er erlaubte Frauen, in Supermärkten zu arbeiten, ernannte eine Frau als stellvertretende Ministerin und machte den Weg für saudische Frauen frei, an den Olympischen Spielen teilzunehmen. Ein Stipendienprogramm ermöglichte es vielen Saudis, im westlichen Ausland zu studieren, und in einer von ihm gegründeten Universität werden Frauen und Männer unterrichtet, was für die Kleriker nicht einfach zu akzeptieren ist. König Abdullah ein Reformator? Das wäre wohl übertrieben.

Auch wenn Saudi-Arabien eine kluge Ölpolitik betrieb, die eine prosperierende westliche Wirtschaft erlaubte, auch wenn Saudi-Arabien die „Arabische Friedensinitiative“ von 2002 nachdrücklich unterstützte, aus der dann nichts wurde – das Land wurde und wird menschenverachtend despotisch regiert. Und wir, der Westen, nehmen das in Kauf – für unser Wohlleben. Sollten wir uns nicht schämen? Aber schämen kommt in der Politik nicht vor. Gefühle sind nicht erlaubt. Wer war das noch, der sagte: In der Politik gibt es kein Freunde, nur Interessen. An dieser Feststellung mogeln sich nicht nur die Politiker vorbei, wir alle machen dabei mit.
02. 02. 2015