Freitag, Februar 06, 2015

Polly

Obgleich ich finde, dass wir viel zu viele Abkürzungen haben, von denen man oft nicht weiß, wofür sie stehen, will ich ein neues Kürzel einführen. Ich halte das für notwendig.

Polly bezeichnet das Schönsprechen, die Schönsprecherei, die aufgeblasenen Formulierungen, mit denen Politiker und Manager mit Fleiß umgehen. Sie bringen es fertig, die kleinste Kleinigkeit als groß und bedeutend darzustellen. Viele von ihnen merken das möglicherweise gar nicht, weil sie in einer anderen Welt leben, abgehoben von unserer Alltagswelt. Ich will ihnen weder Verstand noch Gefühl im Allgemeinen absprechen, um Himmels Willen, nein! Aber ein Gefühl für unsere Sprache haben sie nicht.

Das Kürzel Polly steht für Politiker-Lyrik. Eine Lyrik, die wie gesagt, auch Manager pflegen. Polly steht in freundschaftlich-gegensätzlicher Verbindung zu Kiss, dem Kürzel für Keep it simple and stupid. (Sag’s einfach, damit es auch Dumme verstehen.)

Hier für einige Polly-Beispiele:

„In einen Dialog treten“. (Ein sprachliches Fettnäpfchen.) Ein Gespräch beginnen, miteinander sprechen – täte es auch.

„Konfrontativ vorgehen“, „konsensualer Wahlkampf“,  „eine abstrakte Gefährdung, aber keine konkreten Hinweise“, „eine robuste Prognose“, „belastbare Daten“, „ein robustes Mandat“ – alles Polly, alles Politiker-Lyrik. Soll gut klingen, ist aber durch die Bank schrecklich.

Mal klingt es bombastisch (konfrontativ, konsensual), mal ist es schlicht falsch. Eine robuste Prognose ist eine genaue Prognose, belastbare Daten sind zutreffende, verlässliche Daten. Mal soll etwas verschleiert werden: Hinter dem robusten Mandat verbirgt sich nichts anderes als ein Kampfeinsatz.

Ich will nicht geschmacklos werden. Aber was Politiker weltweit zu den Morden in Paris, Charlie Hebdo, „trauernd“ gesagt haben, ist so Polly wie nur irgendetwas. Herr Karasek hat es im Hamburger Abendblatt vom 10./11. Januar 2015 auf den Punkt gebracht: „Nach einem so schrecklichen Ereignis wie dem Anschlag in Paris sind die Politiker in ihren ersten Stellungnahmen meist sprachlos. Das aber leider mit vielen Worten.“ Dem ist im Augenblick nichts hinzuzufügen.

10. 01. 2015 „Kultur von Fall-zu-Fall-Entscheidungen“ (Olaf Preuss, HA-Redakteur Wirtschaft, 16. 01. 2015): Ohne Kultur ginge es auch – kürzer und besser. Statt Lyrik PROSA.

„… und es gibt eine nicht vorhandene Fähigkeit, diese Nachfrage zu befriedigen.“ (Wolfgang Ischinger, Jurist und Völkerrechtler, Hamburger Abendblatt, 19. 01. 2015). Das heißt, es gibt etwas, das es gar nicht gibt.
„Desaströs“ – zu diesem Monstrum fällt mir wirklich nichts mehr ein – oder doch? Schrecklich, entsetzlich, grauenhaft, furchtbar… na bitte, es geht doch.

„Die Entscheidung der Wähler werde respektiert“, sagt Günther Öttinger, einer der vielen EU-Kommissare, zur gestrigen Wahl in Griechenland. Ein klarer Fall von Politiker-Lyrik. Herrn Öttinger bleibt ja gar nichts anderes übrig.

Wir können Gift drauf nehmen: Ö. hat sich erst mal tüchtig in den griechischen Wahlkampf eingemischt, hat gesagt, wo es dort nach seiner Ansicht langzugehen hat. Die Griechen haben anders gewählt, haben Öttingers Ratschläge nicht befolgt. Nun will der POLLYTIKER seine Äußerungen abmildern – mit so einem dummen Spruch.