Sonntag, Dezember 21, 2014

Von Zeit zu Zeit

Gelegentlich ist es an der Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, wie wir mit unserer Sprache umgehen. Oft wird etwas mit allerbester Absicht gesagt oder geschrieben, und dann geht es doch gründlich schief. Das passiert häufig bei dem Versuch, sich bildhaft und damit lebendig auszudrücken.

Eine Jungunternehmerin sagte: „Deswegen stecken wir unser Herzblut in die Firma.“ Steckblut als Blutkonserve? Und ein Hamburger Abendblatt-Redakteur schrieb: „Am 26. fällt der erste Spatenstich…“. Er kann sich nur freuen, dass Spaten nicht vom Himmel fallen. Das könnte gefährlich werden. Diese Sprachkünstler sind nicht allein. Viele Politiker leisten ihnen Gesellschaft.

So las ich neulich folgenden bemerkenswerten Satz von Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig „Die gläserne Decke werde nicht von selbst aufweichen.“ Nein, natürlich nicht, erst muss man sie mal zum Schmelzen bringen, was ziemlich hohe Temperaturen erfordert. Überhaupt: eine gläserne Decke! Um Architektur ging es nicht. Wo sonst ist eine gläserne Decke vorstellbar? Vielleicht bei Schneewittchen? Es ging um irgendetwas Soziales.

Auch Roland Koch, seinerzeit Ministerpräsident von Hessen, glänzte mit einem Sprachkunststück: „Der Rettungsschirm ist noch nicht völlig ausgeschöpft.“ Herr Koch muss den Schirm verkehrt herum getragen haben, und der ist dann voll Wasser gelaufen.. Wie peinlich! Dann schöpfen Sie mal schön, Herr Koch!

Ein anderer Politiker – ich habe versäumt zu notieren, wer es war – stellte fest: „Das Zeitfenster droht sich zu schließen.“ Welch eine Drohung! Ich frage mich, warum das so schlimm sein soll. Ein bisschen frische Luft, die durch das offene Fenster hereinweht,  kann doch nicht schaden – wenigstens dann nicht, wenn es um unsere Sprache geht.

Vielleicht wirbelt sie die vielen Zeit-Wörter mal tüchtig durcheinander, und wir ordnen sie dann versuchsweise nach Sinn und Unsinn.

Zeitraum – das Wort ist uns vertraut. Es sagt uns, dass in einer bestimmten Zeit etwas gemacht, passieren muss. Zeitlinie – da fällt es schon schwerer, sich etwas darunter vorzustellen. Zeitstrahl – ist ähnlich wie die Zeitlinie? Zeitfenster – da fängt es an, komisch zu werden, weil es meist mit zu schmal, mit zu eng, mit zu klein bezeichnet wird. Mindestens genauso schlimm ist es mit dem Zeitkorridor. In der Regel wird er als zu eng bezeichnet. Über seine Länge hat sich anscheinend noch niemand Gedanken gemacht.

Zeitgefühl, Zeitgeist, Zeitgenosse sind eine ganz andere Zeit-Wort-Sorte. Damit können wir gut umgehen, obgleich viel Unfug damit getrieben wird.

Von hier zum Spintisieren ist nur ein kurzer Weg. Gibt es die Zeit auch in der Mehrzahl?  Gibt es Zeiten? Eigentlich, so nach dem Gefühl, hat die Zeit keinen Anfang und kein Ende. Weil das vielleicht ein wenig unheimlich ist, teilen wir die Zeit in kleine Zeiten ein – die Tageszeit, die Jahreszeit. Wenn wir von zeitlos sprechen, meinen wir Dinge, die sich über viele Zeiten erstrecken: Es gab sie schon lange und wird sie auch noch lange geben.  Zeitverlust – ein merkwürdiges Wort. Wie können wir Zeit verlieren? Wir haben sie doch gar nicht. Sie hat uns. Zeitvertreib – das ist etwas, was wir – bei Licht besehen – gar nicht können. Die Zeit ist allgegenwärtig – immer und ewig. Wie wollen wir sie vertreiben?

Zeitalter, Zeitwende, Zeitverlauf, Gleitzeit, Teilzeit – wie viele Zeiten gibt es? So ganz genau wird es wohl niemand wissen. Dann kommen ja noch andere Zeitwörter hinzu wie Zeitnehmer (der hält fest, wie schnell jemand in welcher Zeit gelaufen ist, beispielsweise), Zeitlupe (das schöne deutsche Wort für slow motion). Zeitraffer (verwandt mit Zeitlupe) Zeitgeschehen, Uhrzeit und  Eiszeit.  Es nimmt kein Ende. Das allerdings ist zeitgemäß.

Und dann: Keine Zeit. Es gibt Menschen, die haben mehr Geld als Zeit, habe ich heute gelesen. Aber Zeit hat doch jeder von uns. Allerdings weiß niemand, wie viel Zeit er hat, bis er sich für alle Zeiten verabschieden muss. Wie ist eigentlich das Verhältnis von Zeit zu Ewigkeit. Haben die etwas miteinander zu tun? Und wenn ja –
was?

Ob  ich jemanden finde, der sich mit mir mal über Zeit unterhält? Ich glaube, wir könnten zusammen eine ganze Menge über die Zeit herausfinden.