Dienstag, Dezember 23, 2014

Nicht vergilbt und nicht verstaubt

Die Textskizze, die mit „Gänsefüßchen unten“ beginnt, den in Anführungsstriche gesetzten Text, habe ich vor 12 Jahren geschrieben. Einvernehmlich, also konsensual, ist festzustellen: Die Kritik an desaströs und konfrontativ  war zwar berechtigt, blieb aber ohne Folgen. Tradiert statt herkömmlich, überliefert, übernommen, erfreut sich großer Beliebtheit, klingt ja auch irgendwie gebildet, sozusagen bildungsnah.

Siehste, da haben wir es schon wieder. Von bildungsnah ist nirgendwo die Rede, von bildungsfern jeden Tag. Da wird schon wieder etwas verwischt, verundeutlicht, schöngeredet. Genau genommen geht es um gebildet und ungebildet. Aber ungebildet, das traut sich heute niemand zu sagen. Das nennen wir Political Correctness“, Politischen Gehorsam. Das Kind bloß nicht beim Namen nennen. Es könnte anfangen zu schreien.

Wie gebildet man ist, wird neuerdings auch auf eine subtilere, Pardon, unauffälligere Art und Weise vorgeführt. Was bislang behandelt wurde, wird jetzt verhandelt. Themen, die Shakespeare in seinen Dramen behandelte, werden jetzt verhandelt. Selbst das eigene Leben muss jetzt verhandelt werden, wie Lotta, die Frauen-zeitschrift der LINKEN schreibt. Gemeint hat die Schreiberin etwas anderes. Sie meinte das eigene Leben gestalten.

Den Zirkus um  das Modewort Prekariat und das falsch gebrauchte prekär will ich jetzt mal beiseite lassen.

Nun endlich zu dem Text, der auch nach 12 Jahren noch keinen Staub angesetzt hat:

„Man schreibt anders als man spricht. Man spricht nicht so wie man schreibt. Das ist ganz natürlich.

Beim Sprechen sprudeln die Wörter nur so, wer schreibt, überlegt länger, ehe er sich äußert.

Beide Sprachen, die Sprech- und die Schreibsprache sind kein Widerspruch zueinander; sie sind nur anders.

Trotzdem fragt es sich, warum die Schreibsprache sich immer mehr vom Sprechen entfernt. Zugegeben: viel Gesprochenes findet sich heute auch in der Schreibe wieder, macht das Geschriebene lebendiger, leichter lesbar, besser verständlich. Aber das dürften die Ausnahmen sein.

Immer häufiger – das ist mein Eindruck – stelzt die Schreibsprache auf Fremdwörtern daher, die die Schreiber erst gerade erfunden haben – so scheint es wenigstens. Desaströs ist ein Beispiel dafür. Nicht nur die klangliche Nachbarschaft zu kariös macht mir dieses Wort unsympathisch bis zur Unerträglichkeit. 

Wir haben Jahrzehnte gebraucht, um die Katastrophe in unseren Sprachgebrauch einzubürgern, und jetzt desaströs? Die reine Katastrophe!  Erst wenn der letzte der Mohikaner das Katastrophale gegen das Desaströse eingetauscht hat, ist desaströs legitim, muß – notgedrungen – anerkannt werden, hat Asylrecht in der deutschen Sprache. Aber vielleicht wehren sich die Mohikaner. Ich hoffe es. - Widerspruch, Euer Ehren.

Widerspruch abgelehnt. Sie wissen doch gar nicht, wowider, Verzeihung, wogegen ich sprechen wollte.

Doch, ich weiß es. Sie wollen die Sprache voranbringen, Sie wollen sie erneuern, wollen sie mit Einimpfung neuer, von Ihnen erfundener Wörter so richtig auf Trab bringen. Ein bißchen viel Eitelkeit, nicht wahr? Sie wollen, daß man Sie bewundert, aber nicht unbedingt versteht. – Ich protestiere, Euer Ehren.

Protest angenommen, mein Lieber, vorausgesetzt, Sie schreiben ab sofort vernünftig und verständlich und lassen Ihre Finger von desaströs und konfrontativ. Konfrontativ ist das neueste Unwort, heute, am 29. November 2002 in der Zeitung DIE WELT entdeckt. 

Unwörter wie desaströs und konfrontativ kriechen wie die Lava des Ätna über unsere in Ruhe gewachsenen Wörter verheerend und gegensätzlich, widersprüchlich.  Sie ersticken und verbrennen diese einfachen, schönen Wörter. Was bleibt, ist sprachliche Asche.“ 29. 11. 2002