Dienstag, Dezember 23, 2014

Es braut sich etwas zusammen

Pegida. Tausende, zehntausende, und es werden immer mehr, marschieren montags durch die Dresdener Innenstadt, missbrauchen die Montagsdemonstrationen von 1989, verbreiten Angst und Schrecken und Begeisterung. Pegida: Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes. Vom Abendland reden, aber ins Morgenland fliegen, um dort Urlaub zu machen und faul am Strand herumzuliegen. Na, prima! Wer geht denn heutzutage in die Kirche? Wer ist denn noch Christ? Was soll da verteidigt werden?

Als wenn das nicht genug wäre: Bogida. Noch so eine „Bewegung“. Angezettelt von Melanie Dittmer, einer 36-Jährigen mit bewegter Nazi-Vergangenheit: NRW-Landesvorstand der rechten Nachwuchsorganisation  „Junge Nationaldemokraten“. Redaktionelle Mitarbeit in „Ruhrstürmer“ und „Schwarze Fahne“. (Quelle SPIEGEL ONLINE  21. Dezember 2014). Bogida: „Bonn gegen die Islamisierung des Abendlandes.“

An Deutlichkeit fehlt es nicht. Zitat: „Für mich ist es völlig unerheblich, ob es den Holocaust gegeben hat. Das ist 70 Jahre her.“ Dittmers Ziel war (und ist vielleicht) ein sogenannter „Nationaler Volksstaat“. „Es wird dann auf jeden Fall Arbeitslager für Mörder, Dealer und Volksschädlinge geben.“ Dass Melanie mit ihren Ansichten selbst ein „Volksschädling“ ist, das ist ihr noch gar nicht aufgefallen. Trotzdem: Ab ins Arbeitslager! Dummheit schützt vor Arbeitslager nicht. Das was schon immer so.

Wenn es so weiter geht, wird sich bald jedes Dorf in Deutschland eine Initiative gegen die Islamisierung des Abendlandes leisten, auch dort, wo noch kein Moslem gesehen wurde. Dummheit, Dumpfheit, kennt keine Grenzen. So blähen sich Pegida und Bogida zu Popanzen auf, wobei zum Schluss die Politik der einzige Popanz bleibt. Da bläht sich etwas auf, vor dem die Politik, vor dem die Politiker in sich zusammenfallen. Das ist ziemlich blöd und wenig hilfreich.

Begrenzt scheint dagegen die Fähigkeit der Politik zu sein, das Notwendige zu sagen und zu tun – kirchliche und andere sich berufen fühlende Institutionen einge-schlossen. Außer hilflosem Gebrabbel, außer billigen Vorschlägen ist nichts zu hören.

Man dürfe die Demonstranten nicht über einen Kamm scheren. Selbstverständlich  nicht. Warum also das Selbstverständliche zur Sprache bringen? Gespräche seien notwendig. Man müsse die Sorgen der Bürger ernst nehmen. Welche Sorgen, bitte?

So wird geredet, hin und her, rauf und runter. Und wenn dann irgendetwas davon in der Zeitung steht, dann hat man seinen Beitrag geleistet? Denkste! Mit diesem Gerede wird die Sache nur noch schlimmer. Weil es nur Gerede ist und nicht Tat. Weil vieles nicht ehrlich gemeint ist. Und weil mit Wörtern so gespielt wird, dass wir sie nicht oder falsch verstehen.

Wie lange hat es gedauert, bis gesagt werden durfte, dass Deutschland ein Ein-wanderungsland ist! Das wurde dann auch gleich hübsch garniert mit der Erklärung, dass wir nur so unseren Wohlstand sicherstellen können. Das leuchtet ein.

Aber es bleiben Zweifel. Da kommen ja nicht nur die, die wir brauchen, sondern auch die, die uns missbrauchen, heißt es. Jedenfalls fürchten wir das. Sie könnten, sie werden uns zur Last fallen. Haben wir nicht schon genug Sorgen?

Was heißt überhaupt Einwanderungsland? Das dürfte eine der wichtigsten Fragen sein und eine, die bisher nicht beantwortet wurde. Ausland, Inland – das sind bekannte Begriffe, aber Einwanderungsland?

Das ist ein Fremdwort, mit dem kaum jemand etwas anfangen kann. Ist das eine Bedrohung? Ist das ein Vorteil? Wer weiß das schon? Und weil das niemand weiß (viele wollen das auch nicht wissen), haben wir das verdammte Pegida- und das verdammt Bogida-Problem.

Appell an unsere Politiker: Macht die Augen auf, wenn die Sonne aufgeht und nicht erst dann, wenn sie untergeht! Meldet euch nicht nur zu Wort, sondern auch zur Tat! Macht endlich mal Politik und nicht Parteipolitik!

Appell an uns Bürger: Macht unseren Politikern die Hölle heiß! Nicht, um sie zu rösten, sondern um ihnen Mut zu machen, unsere Auffassung zu vertreten und nicht die der Fraktion. 

Damit zu einem Stichwort, das das Hamburger Abendblatt in seinem Leitartikel in der Ausgabe vom 22. Dezember 2014 notiert hat: „Weg mit den Ritualen! Die Parlamente müssen lebendiger werden. „ Kaum jemand hört oder sieht sich noch Parlamentsdebatten an, weil Langeweile angesagt ist – anders als früher. Eine Krise. „Die Gründe für die Krise sind vielfältig Eine zentrale Ursache aber ist  und bleibt der Fraktionszwang. Weil jeder Abgeordnete (gegen den Geist der Verfassung) gezwungen wird, alles zu vertreten und zu verteidigen, was seine Fraktion entschieden hat, wird jede offene Diskussion in den Parlamenten verhindert.“

„Mehr Demokratie wagen“, wie es Willy Brandt sich gewünscht hat? Vielleicht sollten wir wieder von vorn anfangen, ganz klein, aber beherzt und frei von Zwängen, die der Demokratie im Weg stehen. Frei von Fraktionszwang und Vorurteilen.  Das wird schwierig, ist aber kein Grund, es nicht zu versuchen.
22. 12. 2014