Montag, September 24, 2012

Vom Irrsinn umzingelt?

Allein die Lektüre der heutigen Hamburger Abendblatt-Ausgabe (22. September 2012) lässt das vermuten, und zwar ohne Fragezeichen.

„Hunderte Menschen stehen Schlange“, „Schlange stehen für ein Handy mit Macken“ schreibt das Abendblatt, der Leitartikel „Apfel der Erkenntnis“ spricht Bände, wenn auch nach meiner Meinung mehr als einen Hauch großmütig. Das Innovative des Apfelunternehmens scheint sich auf die Öffentlichkeitsarbeit verlegt zu haben. Diesen Gedanken legt der Hinweis nahe, dass das so hysterisch begrüßte neue iPhone 5 nicht gerade für Innovation steht, zeigt die Feststellung „eigentlich sei die neue Ausgabe nur leichter und kleiner, der Rest sei doch irgendwie ähnlich wie beim Vorgänger.“ Dafür scheint das neue Smartphone einige Macken zu haben. Die allerdings haben offenbar auch die Menschen, die sich wie die Irren benehmen und sich eine Nacht um die Ohren schlagen, nur um als eine der ersten, dieses Teil kaufen zu können. Und das ist nicht mal die ganze Wahrheit dieses Irrsinns. Ein 26-jähriges Student mit dem  Tarnnamen Ille findet es in Ordnung, dass dieses Gerät
ohne Vertragsbindung 679 Euro kostet. Das kann man, muss man aber nicht so sehen. Was mich wundert ist, dass ein Student mal so eben 679 Euro hinblättert für eine recht fragwürdige Sache. Am Hungertuch scheinen unsere Studenten nicht zu nagen. Eine sozusagen vorweg genommene Bestätigung stand kürzlich ebenfalls im Hamburger Abendblatt. Eine Studentin sagte, dass sie im Internet schon mal ganz locker 300 Euro für Klamotten ausgibt – im Monat! Da kann ich in Erinnerung an ein altes Liedchen nur sagen: „Lustig ist das Studentenleben…“ – Das war der Irrsinn No. 1.

Beim Irrsinn No. 2 geht es um Niedersachsens Gipfel. Das ist der 971 Meter hohe Wurmberg. Nomen est omen: Da scheint wirklich der Wurm drin zu stecken.  Für 10 Millionen Euro sollen dort – so sieht es die Stadt Braunlage vor – moderne Wintersportanlagen mit Liften, Schneekanonen und Pistenbeleuchtung entstehen. Dafür sollen 16 Hektar Wald gerodet werden.

Frage: Braucht ein Wintersportler einen Lift, um auf eine Höhe von 971 Metern zu gelangen?  Wenn ja, dann ist er alles andere als ein Sportler. Und wofür die Pisten-beleuchtung? Welchen Grund gibt es, nach Einbruch der Dunkelheit auf die Piste zu gehen? Einen vernünftigen wohl kaum.

Irrsinnsthema No. 3: Auch hier könnte man in die Luft gehen. Nicht, weil es sich um Flugreisen handelt (Hamburger Abendblatt, „Reisen und Entdecken, Bordkarte mit Botschaft“), sondern um den Irrsinn, den sich wohl  nur Juristen ausdenken können.
Dieser Irrsinn liest sich auf der Rückseite einer Bordkarte so:

„Bei einer Reise mit einem endgültigen Bestimmungsort oder einer Zwischenlandung in einem anderen Land als dem Abflugsland kann die Beförderung des Fluggastes dem Warschauer Abkommen oder dem Montrealer Übereinkommen unterliegen, die in der Regel die Haftung des Luftfrachtführers für Tod, oder Körperverletzung sowie für Verlust oder Beschädigung von Gepäck beschränken.“ Alles klar, nicht wahr?

Der Autor Matthias Gretzschel stellt da ein paar Fragen, die einfach gefragt werden müssen: „Aber wer ist eigentlich der Luftfrachtführer?  „…gelten Passagiere nach dem Warschauer Vertrag als Fracht?“ Wer gibt die Antwort?

Vom nächsten Irrsinn, No. 4, berichtet das Abendblatt auf Seite 11: „Rechtradikales Attentat in Bergedorf“. Mal abgesehen davon, dass Attentate weder rechts- noch linksradikal sein können, sondern immer nur die Attentäter (wer schnell schreiben muss, schreibt nicht immer genau): Der Attentäter befindet sich nach dem Bericht
wegen einer psychischen Erkrankung in ärztlicher Behandlung. Ein Strafbefehl des Amtsgerichts Bergedorf gegen ihn liegt „wegen des Verbreitens rechtsradikaler Schriften“ bereits vor. – Psychische Erkrankung dürfte bei dieser Art von Irrsinn das Schlüsselwort sein. Wäre es nicht irrsinnig vernünftig, alle Extremisten einer ärztlichen Behandlung zuzuführen – rechts wie links, religiöse Extremisten, gleich welcher Konfession (Islam, Christentum und Judentum) eingeschlossen?

Irrsinn No. 5 stellt den letzten Rest der Vernunft infrage. Abendblatt, Seite 35, „Der stärkste Ferrari für die Straße“, Thomas Geiger. Zitat: „Von jetzt auf sofort wechselt der Zwölfzylinder die Tonart. Während von vorn zwei Soundpipes die Ansauggeräu-sche in den Innenraum leiten und von hinten die vier Endrohre posaunen, schnellt die rote Nadel nach oben.“

Das muss man sich mal auf die Ohren geben: Zwei Soundpipes leiten die Ansaug-geräusche des Motors in den Innenraum. Weil der Motor zu leise ist. Man möchte sein Röcheln hören. Fahren nur Disco-Taube dieses Auto? Der neue Ferrari – das Auto mit zwei Orgelpfeifen. Mit Verlaub: Ich finde, dass Herr Geiger wieder mal alle automobile Vernunft so richtig vergeigt hat;  er schreibt so häufig nervtötend unkritisch. Schreibt er für die Abendblatt-Leser oder für die Auto-Lobby?

No. 6: Die Quote. Vorweg: Ich halte nichts von der Quotierung von Frauen, weil ich glaube, dass sie den Frauen nur Nachteile bringt. Ich glaube das, aber ich weiß es nicht. Ich fürchte, es wird heißen: „Hier zählte wieder mal die Quote. Was man (Mann) kann, ist nicht entscheidend. Welche Frau möchte als Quotenfrau durch die Gegend rennen? Blöde Frage. Dann stelle ich sie anders: Welcher Mann möchte denn als Quotenmann durch die Gegend rennen. Seh’n Sie den Unterschied? Na also!

Ich halte die Diskussion der Frauenquote schlicht für verlogen, was die Politik angeht. Die Damen und Herren der Politik machen es sich mal wieder zu bequem.
In diesem Fall muss ich sagen: wie immer.

Um ein viel wichtigeres Problem machen sie einen großen Bogen, so groß, dass kaum jemand darüber spricht: die unterschiedliche Bezahlung  von Frauen und Männern für ein und dieselbe Leistung. Das ist ein Skandal. Das ist eine Gemeinheit.

Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat die Unterschiede aufge-listet. Die Liste ist so lang, dass sie hier keinen Platz findet. Die Frauen schneiden immer deutlich schlechter ab. Was machen sie schlechter? Was machen wir Männer besser? Was rechtfertigt den Unterschied?

Wenn ohne Wenn und Aber Gerechtigkeit verlangt werden kann, dann hier. Welche Partei setzt sich dafür ein? Welche Gewerkschaft? Wenn die Kerls in den Parteien und Gewerkschaften das schon nicht wollen – gibt es denn da keine tatkräftigen Weibsbilder?

PS: Was mir so irrsinnig erscheint – vielleicht ist das alles normal.  Der Irrsinn äußerte sich früher vielleicht anders. Aber Irrsinn bleibt, was er ist: Irrsinn.