Samstag, September 29, 2012

Armutszeugnis

„Soziale Konflikte werden hier auf dem Stand der achtziger und neunziger Jahre verhandelt.“ (Zitat aus irgendeinem Artikel aus irgendeiner Ausgabe des Hamburger Abendblatts.) Stimmt an dieser Formulierung irgendetwas nicht? Nein, alles ist korrekt, und doch stört mich etwas: das Wörtchen verhandelt.

Verhandeln ist zu einem Passepartoutwort verkommen. Es frisst die vielen anderen Wörter auf, die sich bisher in unserer Wörterlandschaft tummelten und für Abwechslung sorgten, nicht selten auch für größere Treffsicherheit.

Beraten, bereden, besprechen, diskutieren, debattieren, erörtern, zur Sprache bringen – alles wird immer häufiger auf das Wörtchen verhandeln geschrumpft.
Ich finde das schade, und ich frage mich, woran das liegt.

Müssen die Zeitungen und Zeitschriften, die Online-Nachrichten und was weiß ich sonst noch, schneller geschrieben werden als gestern oder vorgestern? Das würde erklären, weshalb Passepartoutwörter und damit das Fastfooddeutsch auf dem Vormarsch sind. So ganz glaube ich das nicht. Unter Zeitdruck wird in Redaktionen seit jeher gearbeitet.
Welche anderen Gründe könnte es geben? Gleichgültigkeit? Das möchte ich nicht unterstellen. Faulheit? Das könnte sein. Oder ist es vielleicht Dummheit? Sind die Schreiber etwa nahe dem Niveau der Schulabbrecher?

Ich weiß, das ist ein gemeiner Gedanke. Aber wenn ich lese, dass ein Redakteur des Hamburger Abendblatts von einer strafbewährten Maßnahme schreibt anstelle einer strafbewehrten Maßnahme – dann darf ich annehmen, dass Dummheit hier eine ganz wichtige Rolle spielt.

Nein, ich will jetzt keinen Ausflug in die Bildungs- und Schulpolitik machen. Ich will nur versuchen, auch in Zukunft kein Opfer des Fastfooddeutschen zu werden. Ich möchte meine Sätze auch morgen noch selbst köcheln und hoffen, dass sie schmack-haft sind und auf der Zunge vergehen.