Samstag, Dezember 26, 2009

Ich kann mich nicht fokussieren

Das kommt davon, wenn man ein paar Tage nichts notiert: Von dem, was täglich auf einen einstürzt, kann man nur weniges festhalten und auch das nur in Stichworten. Aber vielleicht ist das ganz gut so. Sonst würde man sich die Finger wund schreiben.

Ich fange mal mit den Redewendungen und Wörtern an, die mir in diesen Tagen über den Weg gelaufen sind, manche zum ersten Mal, andere sind gute, nein, schlechte Bekannte, die sich nicht abschütteln lassen.

In einer Fernsehprogrammzeitschrift begegne ich einem für mich ganz neuen Wort: „Showacts“. In einer Sendung werden zwischendurch „Showacts“ gezeigt, heißt es. Was sind „Showacts“? Kunststücke? Auftritte von Akrobaten? Kabarettistische Auftritte? Keiner hat es mir verraten. Ich habe die Sendung nicht gesehen und auch nicht die „Showacts“.

Ebenso schleierhaft ist mir das Wörtchen „covern“ geblieben, gelesen im Hamburger Abendblatt. Da hat Wencke Myhre einen Film oder einen Song gecovert. („I Saw Mommy Kissing Santa Claus“). Ich habe hin und her überlegt, aber ich habe nicht rausbekommen, was „covern“ wirklich bedeutet. Ich habe beim Abendblatt nachgefragt. Aber die „Denglish-Abteilung der Redaktion hat mir bis heute nicht geantwortet.

Ich cruise, du cruist, er, sie es cruist und so weiter. Nein, ich habe noch nicht gecruist, aber irgendjemand hat es in einer der letzten STERN- SPIEGEL- oder
manager magazin-Ausgaben getan. Er hat weder mit einer Jolle gegen den Wind gekreuzt, noch war er auf einem Kreuzfahrtdampfer unterwegs, er ist einfach mit seinem Auto ganz entspannt gefahren – dahingeglitten, könnte man sagen. Aber gecruist? Wenn schon, dann bitte wie mit Cakes und Keks: ich kruse, du krust, er, sie es krust…

So wird ständig neuer Unsinn generiert – pardon: produziert, hervorgebracht, in die Welt gesetzt. Einer plappert’s dem anderen nach, und so sind schließlich alle auf das Wörtchen generieren fokussiert.

Aber den totalen Sieg über „konzentrieren“ hat „fokussieren“ noch nicht errungen. Noch habe ich nicht gehört oder gelesen: „Ich kann mich nicht fokussieren.“ (Wäre eigentlich der zeitgemäße Ersatz für „Ich kann mich nicht konzentrieren“.

Noch etwas, was das Nachplappern angeht: „Sich neu erfinden.“ Alle Welt erfindet sich heute neu, oder soll oder muss sich neu erfinden. Bei allen oft überraschenden Fähigkeiten, über die wir verfügen: Sich selbst erfunden hat noch kein Mensch, einfach, weil das menschenunmöglich ist.

Immer, wenn von sich selbst neu erfinden die Rede ist, meint man sich neu orientieren, neue Wege gehen, neue Möglichkeiten suchen, einen neuen Anfang machen.

Aber Fastfood-Deutsch – und dazu gehört „sich selbst neu erfinden“ – macht das Schreiben so leicht. Man muss nicht nach den passenden Wörtern suchen; der
Sprachdoppelwopper bringts. So wird jedem das Maul gestopft.