Freitag, Februar 17, 2017

Einfalt und Gefahr des Nationalismus

In der europäischen Politik spielt sich etwas Merkwürdiges ab. Nationalismus ist wieder angesagt, Kleinststaatlichkeit. Man könnte meinen, Deutschland vor 1871 mit seinen zwergigen Königreichen, Herzogtümern, Grafschaften usw. sei das angestrebte Modell. Nicht Europa in seiner Vielfalt, in seinem kulturellen Reichtum sei das Ziel, sondern die Einfalt des vermeintlich Nationalen: Deutschland den Deutschen, Frankreich den Franzosen, Italien den Italienern, die ganze Tonleiter rauf und runter, Polen, Ungarn usw. usw. So einfach soll es wieder werden. Aber ist das einfach?

Wenn wir eine Antwort finden wollen, müssen wir ein paar Fragen stellen, am besten so einfach, wie Kinder fragen. Dann bekommen wir vielleicht Antworten, die wir verstehen. Fangen wir an.

Was macht Frankreich zu Frankreich? Die Grenzen? Das leuchtet ein. Da wissen wir, wo es anfängt und wo es aufhört. Aber das kann doch nicht alles sein. Ist es auch nicht. Wir müssen nur weiterfragen.

Die Sprache? Der Bauer in der Bretagne und der Fischer in Marseille haben da gewisse Schwierigkeiten, so wie die Bayern und die Hamburger.  Aber gut: Sprache gilt. Wir wollen nicht kleinlich sein. Trotzdem: Französisch, in welchem Dialekt auch immer, macht noch niemanden zum Franzosen. Fragen wir weiter.

Die Lebensart? Paris, Lyon, Toulouse, Marseille oder Quimper in der Bretagne und Pesmes im Jura, wo es immer noch sehr ländlich zugeht und Andouille Paysenne gelegentlich auf den Tisch kommt und das Bäuerchen sich einen Schuss Rotwein in die Suppe schüttet? Frankreich ist so viel unterschiedliches Frankreich. So viel Unterschied entzweit nicht, sondern verbindet. Frankreich ist so wie andere Länder auch. Also: genehmigt.

Die Herkunft? Sind nur die Franzosen die wirklichen Franzosen, die nachweisen können, dass sie von Karl dem Großen abstammen? Da ist Vorsicht geboten. Karl der Große war so groß, weil er außer französisch auch deutsch war. Für die Scherben, die wir noch heute immer wieder zu kitten versuchen, sind seine Söhne verantwortlich. Diese Herkunft zählt nicht. Auch wer ein bisschen später geboren wurde, könnte Franzose sein. Ob in Paris oder in Algier zur Welt gekommen: Franzose ist Franzose. Stimmt das? Klarheit könnte hier wohl nur ein „Ahnenpass“ bringen – in Deutschland nicht unbekannt, aber aus den meisten Gedächtnissen verdrängt.

Der Pass? Den hat natürlich jeder Franzose, wenn er schon einer ist. Aber die anderen, die gern Franzosen werden würden? Die sollen ihn lieber nicht bekommen. Der Pass. Das ist das Wichtigste.  Der Pass macht den Menschen zum Franzosen. Aber ist der Pass nicht nur ein Stück Papier oder ein bisschen Plastik? Fälschungssicher ist er nicht, weder so noch so. Also muss es auch gefälschte Franzosen geben. Eine schöne Bescherung!

Haben wir verstanden? Nach so vielen Fragen und Antworten sollten wir eigentlich Bescheid wissen, sollten wissen, was Frankreich zu Frankreich macht. Ein bisschen schwierig ist das Ganze schon, und so fragen wir uns, ob es nicht auch einfacher geht. Es geht nicht einfacher.

Aber gibt es da nicht Leute, die das behaupten? Da wären beispielsweise Marine Le Pen, Geert Wilders, die Herren Orbán und Kaczyński, die AfD-Petry, die „Reichsdeutschen“ und die „Identitären“. Die sagen: Nation ist Nation und jede ist die beste, jeder gegen jeden und überhaupt: Sch… auf die anderen.

„Sch… auf die anderen“ – so reden sie auch. Zum Beispiel Akif Pirinçci (SPIEGEL ONLINE, 07. 02. 2017): „Moslem-Müllhalde“, „Úmvolkung“, „Gauleiter gegen das eigene Volk“, „Es gäbe natürlich andere Alternativen, aber die KZ sind ja leider derzeit außer Betrieb.“

Gewiss, nicht alle reden so. Je feinsinniger sie reden, desto gefährlicher sind sie, die Wölfe im Schafsfell wie „Compact“, „Die junge Freiheit“.


Jeder Anstand verbietet es, diesen menschenverachtenden Predigern zu folgen. Es gibt nur eins: Widerstand, Widerstand vor allem.  Nicht lange fackeln! Zu viel Geduld, zu viel Nachsicht werden wir bereuen. Es ist schnell zu spät – wie in Deutschland 1933.