Mittwoch, August 21, 2013

Nicht tief genug gegraben

Demokratie ist die Kunst des Kompromisses. So können wir diese Regierungsform wohlwollend beschreiben. Das Dumme daran scheint mir nur zu sein, dass sich hinter dem Kompromiss nicht selten Kungelei versteckt. Und wenn nicht gekungelt wird, dann fliegen die Fetzen. Jeder behauptet recht zu haben, und hat doch – wenn überhaupt – nur ein bisschen recht.

Das ging mir durch den Kopf, als ich den SPIEGEL-Artikel „Äußerst sensible Belange“ gelesen hatte (Ausgabe 34 vom 19. 08. 2013). Thema: Rechtsextremismus, der Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses.

„Selten hat ein Untersuchungsausschuss, über Fraktionsgrenzen hinweg, so einträchtig und so intensiv an der Aufklärung eines Skandals gearbeitet“ – ist zu lesen.

Ich zitiere weiter: „In zentralen Fragen zeichnet sich unter den Parlamentariern zwar Einigkeit ab: Polizei, Verfassungsschutz und Justiz habe massiv versagt…“

Aber das ist ja nur die Oberfläche. Warum haben sie versagt? Welche Gründe gab es? Organisation ist nicht alles. Im Zweifelsfall ist Organisation nichts. Und hier haben wir einen Zweifelsfall.

Nein, mir scheint das kein Zweifelsfall zu sein, sondern ein Gewissheitsfall.

Manchen Kripo-Beamten wird vorgeworfen (von der SPD), „sie seien bei den Er-mittlungen zur Mordserie unbewusst diskriminierend gegen ‚Personen mit Migra-tionshintergrund’ vorgegangen…“. Schon die Namen der Sonderkommissionen „Bosporus“ und „Halbmond“ deuteten darauf hin. Ist daran zu zweifeln?

Die Sicherheitskräfte (welch ein Wort!) hätten sich nicht „aus den bestehenden routinisierten, teilweise rassistischen, Verdachts- und Vorurteilsstrukturen“ befreien können (SPD-Obfrau Eva Högl).
Der Untersuchungsausschuss hat sich da nicht rangetraut. Er hat sich selbst belogen und belügt uns. Dabei ist die Wahrheit doch ganz einfach:

Furcht, Angst vor Fremden – das ist nichts Neues. Das gibt es seit es Menschen gibt. Und dass die Angst sich in Feindschaft und Hass entwickeln kann, ist ebenfalls nicht neu. Aber zwangsläufig ist das nicht.

„Die Türken“, die „Italiener, „die“ Franzosen, „die“ Polen usw. usw. – sie gibt es doch gar nicht – so viel sie auch miteinander verbinden mag. Sind wir nicht alle Menschen, die ihr kleines Leben leben möchten, unabhängig davon, ob wir Türke, Italiener…sind?

Urteile? Vorurteile! Die sind das Problem. Der Einzelne wird damit allein vielleicht nicht fertig. Aber wir alle zusammen? Wir müssten das doch fertigbringen.

Von Staats wegen scheint das nicht zu funktionieren. Der Untersuchungsausschuss ist an der Oberfläche geblieben. Er hat nicht tief genug gegraben. Das sollten wir nicht hinnehmen. Damit sollten wir nicht einverstanden sein. Sorgen wir dafür, dass es bei uns keine „unbewusst“ rassistischen Polizisten gibt. Wer außer uns sollte das tun?!