Dienstag, August 06, 2013

Wahnhafte Furcht vor dem Staat?

„Wahnhafte Furcht vor dem Staat“ wirft der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily im SPIEGEL-Gespräch am 29. Juli vor. Anlass für das Gespräch ist die weltweite Spionage der NSA, der National Security Agency der USA, der Englischen Spionage und der Deutschen Geheimdienste.

In den deutschen Medien, vor allem in der Presse, ist die Empörung groß. Die Bundesregierung tat zunächst ahnungslos, rückte dann wie üblich mit diesem und jenem Geständnis heraus. Die SPD möchte ein Wahlkampfthema daraus machen. Die Regierung blockt und will davon nichts wissen. Beides ist ziemlich billig.

Die Bedeutung des Themas geht weit über einen Wahlkampf hinaus. Es geht darum, ob die Demokratie die Bezeichnung Demokratie wirklich verdient oder nicht. Es geht darum, ob das Volk regiert mit den Institutionen, die es für das Regieren bestimmt hat, oder ob die Regierungen machen, was sie oder die hinter ihnen wirkenden Lobbys wollen – unter dem Mäntelchen Demokratie.

Herr Schily sagt klipp und klar: „In einem demokratischen Rechtsstaat spionieren Geheimdienste keine Bürger aus, sondern dienen der Gefahrenabwehr.“ Zynischer geht es kaum.

Wir müssen die Wörter nur ein wenig umsortieren, um zu begreifen, was gemeint ist. Wenn Geheimndienste eines demokratischen Rechtsstaats die Bürger ausspionieren, dann spionieren sie in Wirklichkeit gar nicht – sie schützen die Bürger, fragt sich nur: vor was?

Und wer sagt, wovor die Bürger geschützt werden müssen? Wer hat das Recht, darüber zu verfügen?  Die Geheimdienste selbst doch wohl nicht. Sollten sie es tun, dann handeln sie gegen Grundrechte, die in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland festgeschrieben sind.

Wenn wir den Verpflichtungen unserer Verfassung folgen, dürfen Geheimdienste, Nachrichtendienste, Spionagedienste nur im Auftrag der Regierung arbeiten. Diese Aufträge sind vom Parlament, vom Bundestag zu prüfen und zu genehmigen. Was genehmigt oder abgelehnt werden soll, ist öffentlich zu diskutieren. Geheimniskrämerei in diesem geheimnisvollen Bereich ist Gift, das die Demokratie zumindest beeinträchtigen, vielleicht sogar lähmen kann.

Natürlich ist diese Betrachtung zwar nicht gerade kindlich, aber doch sehr einfach. Das soll sie auf jeden Fall sein, damit jeder die Probleme versteht. Eine populistische Vereinfachung ist es nicht.

Von dieser Einfachheit sind die politischen Dispute, sind die Berichte und Kommentare der Medien weit entfernt. Außerdem, und das ist noch viel schlimmer, scheint sich kaum ein Bürger für das Probleme wirklich zu interessieren. Es ist so abstrakt, und anscheinend kann sich kaum jemand vorstellen, was es bedeuten kann, unter ständigem Generalverdacht zu leben. Jeder Deutsche ein potentieller Verbrecher? So kann man das sehen. Aber wer die Welt so sieht, sprengt die Welt in die Luft. Ein Zusammenleben ohne Vertrauen ist die Hölle.

Ach, wenn es doch so einfach wäre! Aber es ist so einfach. Wir brauchen uns nur nach unserer Verfassung zu richten, und die gibt jedem von uns die Freiheit, von der Demokratie lebt. Heute nennt man das informationelle Selbstbestimmung.

Klar, dass mit diesem Wortmonster keiner etwas anfangen kann, dass sich kaum jemand betroffen fühlt. Deshalb ist es an der Zeit, das scheinbar Komplizierte in ein paar einfachen Sätzen auszusprechen, vielleicht so: Jeder hat ein Recht auf Privatleben. Darin hat niemand herumzuschnüffeln, auch der Staat nicht. Das gilt, solange wir uns an die Regeln unserer Verfassung halten.  Dieses Recht müssen wir verteidigen.

Scheinbar sieht das auch die Bundeskanzlerin so; denn sie sagt, dass in unserer Bundesrepublik unser Recht gilt und kein anderes. Aber das sagt sie nur. Sie handelt nicht danach. Dabei ist sie dazu verpflichtet. Sie lässt zu, dass die Spionagedienste der Freunde unserer Republik jeden von uns unter die Lupe nehmen, wenn es ihnen wichtig und richtig erscheint. Ich denke, das ist Pflichtvergessenheit.

Ich spioniere, du spionierst… wir spionieren. Angeblich das zweitälteste Gewerbe der Welt. Klar, jeder will wissen, was der Andere denkt. Und wenn der es nicht sagt, dann spioniert man eben. Klare Spielregeln also. Aber das Ausspionieren der eigenen Bürger durch andere Staaten gestatten? Das geht zu weit.

Aber es sind doch unsere Freunde, die das machen, denen wir es gestatten. So ein Unsinn! Freunde in der internationalen Politik gibt es nicht, Verbündete ja. Wie haben wir hier Barak Obama angehimmelt – noch sentimentaler als wir scheinen mir nur die Russen zu sein – und haben dabei vergessen, dass er der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika ist und der muss sich für die USA einsetzen, nicht für uns.

Irgendwann hört die Freundschaft auf, manchmal fängt sie gar nicht erst an, auch wenn es so aussieht.  Auf jeden Fall ist das in der Politik so. Genau genommen, hatte Freundschaft da nie einen Platz. Gemeinsame Interessen sind keine Freundschaft, auch wenn wir uns das so gern einreden oder einreden lassen.

Jeder spioniere so gut er kann. Aber der Staat, der seine eigenen Bürger von anderen Staaten ausspionieren lässt. ist unanständig.

04. 08. 2013