Dienstag, August 06, 2013

Europas Zukunft

Am 2. August brachte das Hamburger Abendblatt eine ganze Seite unter dem Titel „Sie bauen Europas Zukunft. Zitiert wurden Meinungen, Vorstellungen, Wünsche von 10 jungen Europäern. Die Einleitung dazu schrieb Christian Unger.

Zwei, drei Tage später las ich den Leserbrief hierzu von Andreas Kaluzny – ich zitiere:

„Erfrischend analytisch, diese Stellungnahmen der jungen Europäer. Diesen Jungen gehört die Zukunft. Wir Alten sollten mit unserer Euro-Skepsis und unserem Gejammer nach D-Mark und rheinischer Republik verschämt in den Spiegel schauen und uns fragen, ob wir wirklich auf dem richtigen Weg sind. Man mag von den Kanzlern Adenauer, Brand und Kohl halten, was man will, aber deren Ansicht, Deutschland habe nur in Europa eine Zukunft, ist nach wie vor richtig.. 68 Jahre ohne Krieg zwischen den ehemaligen europäischen Großmächten sind eine hervorragende Rechtfertigung für jede weitere Anstrengung. Sei sie noch so teuer. Es ist nur Geld.“

Ja, das kann man so sehen. Jedenfalls war dieser Brief Anlass für mich, mir die Abendblattseite noch einmal vorzunehmen.

Die einleitenden Wort von Christian Unger lesen sich so: „Europa schafft es auf die Titelseiten der Zeitungen, ins Fernsehen und in Radio. So weit die gute Nachricht. Die schlechte: Es geht fast immer um die Krise. Um Schulden, die Staaten angehäuft haben, um Rettungspakete und um Länder, deren Wirtschaftskraft von Rating-Agenturen bewertet werden. Die Euro-Krise lässt die Stimme der Menschen Europas verstummen. Vielleicht ist das die allerschlechteste Nachricht.“

Ich denke, eine schlechtere Nachricht gibt es wirklich nicht: Wirtschaft, Wirtschaft über alles, über alles in der Welt! Wer das Wörtchen Wirtschaft gegen ein anderes austauscht, wird sich daran erinnen, in welche Katastrophe das missbrauchte Original geführt hat. Aber erst wollen wir mal sehen, was unsere jungen Europäer gesagt haben (die Zitate sind Auszüge aus ihren Äußerungen).

James Kilcourse, 25, Irland: „Früher führte die Vielfalt an Religionen, Sprachen und Kulturen zu Konflikten in Europa. Heute ist es unser größtes Kapital.“

Letitia Díez Sanchez, 25, Spanien: „Die Menschen verlieren das Vertrauen in die nationalen und europäischen Institutionen. Die Enttäuschung bahnt einer Euro-Skepsis den Weg. Nicht nur die Löhne müssen in Europa angeglichen werden. Was
der Kontinent benötigt, ist ein einheitlicher Steuersatz…“

Lotta Schneidemesser, 25, Österreich: „Für mich ist es schwer, mich mit Europa zu identifizieren. Es müssen mehr Möglichkeiten geschaffen werden, damit man sich stärker als Europäer fühlt. Man könnte beispielsweise mit Schülern intensiver über unser Europa sprechen – und so die Grundlage für ein starkes demokratisches Europa schaffen!“

Veronika Sobolová, 22, Polen: „Europa heißt für mich Heimat, Reisen ohne Grenzen, eine gemeinsame Geschichte.“

Heide Beha, 28, Deutschland: „Leider ist Europa ein Konzept des Westens. Der Osten ist nicht als gleichberechtigter Partner aufgenommen… Die Krise wird nicht durch Hilfpakete für den Arbeitsmarkt gelöst. Es liegt nicht an den Jugendlichen, deren Ausbildung oder Haltung. Es liegt an der Wirtschaft. Die Wirtschafts-, Industrie- und Finanzpolitik muss überdacht werden.“

Theodora Matziropoulou, 25, Griechenland: „Diese Krise ist nicht nur eine wirtschaftliche. Es ist eine soziale, politische und eine Krise der Institutionen. Die Menschen verlieren Vertrauen in den Staat. ber die Bürger eines Landes vertrauen auch nicht mehr den Nachbarn in den anderen EU-Staaten.“

Enja Saethren, 22, Norwegen: „Es ist ziemlich schwierig zu sagen, was Europa eigentlich bedeutet. Denn es fehlt eine gemeinsame Identität, die alle Europäer teilen.“

Dorau Toma, 28, Rumänien: „Europa ist der Ort, den ich mein Zuhause nenne und der mit ein Gefühl von Sicherheit gibt.“

Marta Remacha, 25, Frankreich: „Hört doch auf, Europa nur als Wirtschaftsraum zu sehen! Es ist eine kulturelle und soziale Union. Viele der aktuellen Probleme resultieren aus dem Unwillen der Regierungen zusammenzuarbeiten.“

Michails Kozlovs, 26, Lettland: „Europa braucht zudem eine starke Zivilgesellschaft, um die Menschen mehr über Europa aufzuklären. Klar, der Kontinent erlebt derzeit Konflikte. Das passiert in jeder Familie.“

Kleine Zusammenfassung: Nur Letitia Diéz beschränkt sich auf wirtschaftliche Gesichtspunkte. Die kommen zwar auch bei den anderen vor, spielen aber eine untergeordnete Rolle.

Ist das nicht wunderbar? Lässt das nicht hoffen? Wenn diese jungen Menschen Europas Zukunft bauen, müssen wir uns um diese Zukunft keine Sorgen machen.

Aber wir sollten nicht alles auf sie, auf ihr Engagement abladen. Wir sollten selbst zur Vernunft kommen. Wir sollten alles tun, um den Tanz ums Goldene Kalb zu beenden. Wir sollten endlich etwas anderes denken als Bruttoinlandsprodukt, Lohnstückkosten, Exportweltmeisterschaft, Wachstum ohne Ende. Und wir sollen etwas tun. Wir sollen beispielsweise dem SAP Marketing-Chef Jonathan Becher auf die Finger klopfen, wenn er sagt „Wir wollen nicht mehr nur dazu beitragen, Unternehmen besser zu steuern. Wir wollen die Welt neu erfinden!“ (Danke, Mr. Becher, darauf verzichte ich gern.)

Gibt es einen Kontinent, der mehr Dichter und Schriftsteller, der mehr Wissen-schaftler, Erfinder, mehr Maler, Bildhauer, Künstler, Komponisten zu seinen Bürgern zählen kann?  Ich denke, weit und breit ist keiner zu sehen, was uns nicht hochmütig machen sollte.

Wie viele Staaten, Länder, Menschen haben wir in Europa? Ich bin zu faul, das durchzuzählen. Aber ich weiß, dass wir eine Europa-Hymne haben. Sie ist wortlos, wie könnte es bei der babylonischen Vielfalt unserer Sprachen auch anders sein? Aber sie lässt das Herz eines jeden Europäers höher schlagen. Beethoven ist eben auch Deutscher, vor allem aber Europäer.


05. 08. 2013