Donnerstag, Januar 24, 2013

"Wir sind unendlich traurig"

Der Umgang mit dem Tod ist schwierig, heute möglicherweise mehr denn je. Früher haben Leben und Tod enger zusammengehört. Man wurde zu Hause zur Welt gebracht und starb dort auch. Das hat sich im Laufe vieler Jahrzehnte geändert. Die meisten von uns kommen in einem Krankenhaus zur Welt und verlassen diese Welt in – einem Krankenhaus. Geburt und Tod haben sich so von uns entfernt. Der Tod hat seine Selbstverständlichkeit verloren. Das lässt sich auch an vielen Todesanzeigen ablesen, die an jedem Wochenende in den Lokalzeitungen erscheinen.

Diese Anzeigen sind „professioneller“ geworden. Sie lassen ahnen, dass nicht nur der Tod aus dem Haus gegeben wird, sondern auch der Nachruf. Der immer häufiger anzutreffende Satz „Wir sind unendlich traurig“ deutet darauf hin. Eine Empfehlung des Bestattungsinstituts, das bis ins letzte Wort alles regelt? „Wir sind unendlich traurig“ hat „In stiller Trauer“ abgelöst. In stiller Übereinkunft aller Trauernden? Oder weil der „Undertaker“ es so vorgeschlagen hat?

Ein weiterer Hinweis: Immer öfter, auffallend oft, werden die Anzeigen mit Zitaten bekannter Dichter und Schriftsteller geschmückt:

R. M. Rilke: „Nie erfahren wir unser Leben stärker als in großer Liebe und in tiefer Trauer.“

Franz von Assisi: „Der Tod ist das Tor zum Licht am Ende eines mühsam gewordenen Weges.“

Joseph von Eichendorff: „Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus, flog durch die stillen Lande, als flöge sie nach Haus.“

Hermann Hesse: „Einschlafen dürfen, wenn man müde ist, und eine Last fallen lassen, die man lange getragen hat ist eine wunderbare Sache.“

Paul Claudel: „Nicht kann den Menschen mehr stärken als das Vertrauen, das man ihm entgegenbringt.“

Immanuel Kant: „Wer im Gedächtnis seiner Lieben lebt, ist nicht tot. Er ist nur fern. Tot ist nur, wer vergessen ist.“

Annette von Droste-Hülshoff: „Tot ist überhaupt nicht: Ich glitt lediglich über in den nächsten Raum. Ich bin ich, und ihr seid ihr. Warum sollte ich aus dem Sinn sein, nur weil ich aus dem Blick bin? Was auch immer wir füreinander waren, sind wir auch jetzt noch. Spielt, lächelt,  denkt an mich. Leben bedeutet auch jetzt all das, was es auch sonst bedeutet hat. Es hat sich nichts verändert, ich warte auf euch, irgendwo, sehr nah bei euch. Alles ist gut.“

So viel Bildungsbürgertum auf drei Seiten einer Wochenendausgabe? Woanders ist Bildungsbürgertum nicht viel zu lesen. Sollten wir seine Renaissance den Beerdi-gungsinstituten verdanken?
Der Hinweis auf die professionellen Handlanger und Wortgeber mag respektlos erscheinen, dürfte aber seine Berechtigung haben. Das legen die beiden folgenden Zitate nahe.

„Alles hat seine Zeit, es gibt eine Zeit der Freude, eine Zeit der Stille, eine Zeit der Trauer und eine Zeit der dankbaren Erinnerung.“

„Es gibt im Leben für alles eine Zeit, eine Zeit der Freude, der Stille, der Trauer und eine Zeit der dankbaren Erinnerung.“

Wer hat da wo abgeschrieben oder ungenau zitiert?

Das Gottvertrauen scheint sich recht weit zurückgezogen zu haben, aber es begegnet uns immer noch hier und da.

„Dienet einander, ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat.“ 1. Petrus 4,10

„Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ Matthäus 28,20

„Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein.“ Jesaja 43, Vers 1

„Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.“ 1. Korinther, 13

Zum Schluss ein Zitat ohne Namen:

„Wenn Liebe einen Weg zum Himmel fände und Erinnerungen Stufen hätten, stieg ich hinauf und holte Dich zurück.“

Wenn dies nicht abgeschrieben ist, wenn es sich nicht ein Beerdigungsunternehmer ausgedacht hat, was ich nicht glauben kann – wenn diese Zuneigung von einem Herzen kam, dann verneige ich mich.

PS: Natürlich lassen sich die Todesanzeigenseiten auch aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachten. Wie oft geht es nur um die Erfüllung einer vermeintlichen lästigen Pflicht? Wie viel schlechtes Gewissen bittet hier um Verzeihung? Und wie viel ist der Vanity Fair, dem Jahrmarkt der Eitelkeiten, geschuldet: „Seht mal, wen wir verloren haben, und seht mal, wer wir sind.“

Das aber sind andere Themen.

23. 01. 2013