Dienstag, Januar 22, 2013

Selbstbestimmte Lebensläufe

Immer wieder lese ich, dass man selbstbestimmt leben sollte, ein Recht darauf hat. Das vor allem. Und dann ist die Rede von Lebensentwürfen, wobei unterstellt wird, dass jeder Mensch einen solchen Entwurf hat. Ich habe da meine Zweifel.

Selbstbestimmt? Wenn wir klein sind, bestimmen Mama und Papa über uns. Von Selbstbestimmung keine Rede. Dann bestimmen Lehrer darüber, was wir zu lernen haben. So geht das munter weiter. Bis es uns reicht. Bis wir sagen: Jetzt bestimme ich selbst, was ich will, was ich nicht will. Das ist ein ganz wichtiger Schritt in unserem Leben. Aber kommen wir damit zum selbstbestimmten Leben? Das gelingt wohl nur wenigen. Die Mehrheit weiß zwar, was sie möchte, passt sich dann aber notgedrungen den Verhältnissen an und ist mehr fremd- als selbstbestimmt.

Hoppla! Das ist ja nur die materielle Seite der Medaille. Es gibt da auch noch die ideelle. Und die ist wohl vor allem gemeint, wenn von selbstbestimmt die Rede ist.
Da schwingt etwas ganz anderes mit, die Idee, sich von allen anderen zu unterschei-den,  sich von ihnen abzuheben – in der Höhe natürlich, im Niveau.

Von hier ist es nicht weit zu einem anderen Modewort: Lebensentwurf. Wenn man sich durch die Zeitungen und Zeitschriften liest, wenn man fernsieht und radiohört, dann bekommt man den Eindruck, jeder, aber auch  jeder von uns hat einen Lebens-entwurf, und wenn er noch keinen hat, dann arbeitet er daran. Und wenn auch das nicht, dann sollte er das schleunigst tun.

In Wirklichkeit ist davon so gut wie nichts zu sehen. Von Entwurfsarbeiten kann keine Rede sein. Wie sollte es auch? Natürlich haben wir Wünsche, Pläne, Ideen, Träume. Aber Lebensentwürfe?

Nee! Selbstbestimmt und Lebensentwurf sind Erfindungen von Menschen, die es verlernt haben, Einfaches einfach auszusprechen. Es kann gar nicht fein und edel
und gelehrt genug sein. Es ist wie mit der Technik, die erbarmungslos zur Technolo-gie hochgeschrieben wird. Die Verführung, den Mund zu voll zu nehmen, ist zu groß.