Freitag, Februar 10, 2012

Falsch verstanden

Vielleicht ist keine andere Sprache so reich wie die deutsche. Vielleicht bietet keine andere Sprache so viele Möglichkeiten zu schummeln, an der Nase herumzuführen, ja, zu betrügen. Eine wunderbare Möglichkeit, Gutgläubigkeit auszunutzen. Und die wird ausgenutzt, wie das Hamburger Abendblatt Anfang dieses Jahres (2012) unter der Zeile „Die Tücken der Katalogsprache“ mit vielen Beispielen zeigte. (Es ging um um die Texte von Internet-Reisebüros und in Katalogen. Hier einige davon:

„Meerseite“ bedeutet nicht Meerblick. Der Unterschied besteht in Hochhäusern, durch die die Aussicht versperrt ist.

„Zentral gelegen“ bedeutet fast immer ziemlich laut. Der „kurze Transfer vom Flughafen“ kann bedeuten, dass das Hotel mitten in der Einflugschneise liegt. Ist von einem „aufstrebenden Ferienort“ die Rede, sollte man vorsichtshalber mit vielen Baustellen rechnen.

So geht das „stundenlang“ weiter: Eine Unterkunft „an der Strandpromenade“ garantiert hupende Autos und Straßenlärm. Bei „unaufdringlichem Service“ sollte man damit rechnen, dass sich niemand blicken lässt. Und ein „beheizbarer Swimmingpool“ bedeutet noch lange nicht, dass er auch wirklich beheizt wird.

Ist die Sprache von „wöchentlicher Folklore“, dann dürfte schlicht nichts los sein,
Langeweile pur. Bei „touristisch gut erschlossen“ sollte man vorsichtshalber von einer Ballung von Hochhäusern ausgehen. (Benidorm dürfte dafür das schlagende Beispiel sein.) „Landestypische Bauweise“ weist darauf hin, dass du nachst nicht zur Ruhe kommst. Du hörst jedes Wort aus den Nachbarzimmern und alles, was die Nachbarn nachts so (im Bett) treiben.

Die „internationale Atmosphäre“ weist darauf hin, dass es Skandinavier, Briten und Russen im Hotel hoch hergehen lassen (Hamburger Abendblatt). Das finde ich gemein, denn wir Ballermann-Deutsche sind nicht besser.

Ja, ich finde es wirklich aufregend, was wir mit der Sprache machen können. Und dazu gehört auch dies: Statt „Gestensteuerung“ „Fuchtelsystem“ sagen. Ich glaube, das muss ich erklären, was allerdings nicht einfach ist.

Am Anfang war die Sprachsteuerung. Die erlaubte es Autofahrern zu sagen, was ihr Auto machen sollte – das habe ich natürlich sehr vereinfacht gesagt. Zu Beginn musste man sehr deutlich und vor allem Hochdeutsch sprechen. Den bayerischen Dialekt oder das Hamburger Missingsch verstand das System nicht. An der Lösung dieser Probleme wurde hart und hartnäckig gearbeitet, und ich bin überzeugt, dass die aktuellen Sprachsteuerungssysteme auch den Obernuschler Til Schweiger verstehen, was nicht für Herrn Schweiger spricht, der besser schweigen sollte, sondern für das System.

Aber wie es so geht. Warum eigentlich sprechen? Geht das nicht auch anders? Mit Hand- und Armbewegungen, ja sogar mit einem Fingerzeig müsste man doch noch besser fahren.

Gedacht, getan. So entstand die Gestensteuerung. Du zeigst nach rechts und das Auto biegt in die nächste nach rechts abbiegende Nebenstraße ein. Du zeigst nach rechts und es geht andersrum. Du zeigst mit dem Zeigefinger (linke oder rechte Hand?) nach oben, und schon hebt dein Auto ab. Rote Ampeln werden so überflogen, ganz legal und ohne einen Flensburger Punkt zu riskieren.

Aber sind das nun wirklich Gesten, mit denen du dein Auto steuerst, fragten sich einige aufmerksame Menschen. Ist das nicht eine einzige Fuchtelei?

Natürlich ist es das. Und deshalb finde ich, dass „Fuchtelsystem“ eine geniale
Worterfindung ist. Ich hoffe, dass es davon noch viel mehr geben wird, damit wir wieder erfahren, wohin wir gehören: Mit beiden Füßen auf die Erde!

Und zum Schluss für heute noch etwas ganz anderes. Wir können mit unserer wunderbaren Sprache die Dinge auch genau beim Namen nennen. Das geht übrigens auch in anderen Sprachen, beispielsweise im Russischen.

Da haben in diesen Tagen Demonstranten in Moskau Transparente in die Luft gereckt, auf denen stand „Wir sind keine Opposition. Wir sind eure Arbeitgeber.“
So einfach und klar und unmissverständlich kann man sprechen. Man muss es nur tun. (Demonstriert wurde in Moskau gegen die Betrügereien, die Herr Putin angezettelt hat. Er will am 6. März zum Präsidenten Russlands gewählt werden.)