Sonntag, Januar 22, 2012

Todesanzeigen

Todesanzeigen sind eine eigenartige Lektüre. Nirgendwo sonst wird man diese Mischung von Trauer und Niedergeschlagenheit, von routiniertem Bedauern,
Selbstdarstellung der Hinterbliebenen, ein Jahrmarkt der Eitelkeit ganz besonderer Art – nirgendwo sonst findet sich eine solche untrennbare Mischung von Ehrlichkeit und Verlogenheit.

Zwei mir bemerkenswert erscheinende Beispiele aus der Welt zwischen den Toten und den Lebenden fallen mir ein. Das erste muss ich aus der Erinnerung schildern, wobei ich zugeben muss, dass mein Gedächtnis nicht das allerbeste ist.

Ein in Deutschland durchaus bekannter Unternehmer hat seine eigene Todesanzeige geschrieben und für die Veröffentlichung im Großformat in bedeutenden Zeitungen gesorgt. Das haben viele als stillos, als geschmacklos, empfunden. Jedenfalls war das ungewöhnlich. Die kleine Gruppe von Friedhofsbesuchern, die die Grabreihen abschreiten und den Grabsteinen ablesen, was sie mitzuteilen haben, wird das möglicherweise anders gesehen haben. Immer wieder sind Inschriften zu entdecken, die offenbar von den Toten stammen, Texte, die sie natürlich zu Lebzeiten notierten und deren Wiedergabe auf dem Grabstein sie vermutlich testamentarisch verfügten.

Das zweite Beispiel ist eine Anzeige, die ich seit drei Jahren aufhebe. Sie wurde im Hamburger Abendblatt vom 3. Januar 2009 veröffentlicht. Betrauert wird in einer recht großen und teuren Anzeige Werner Quast, der am 24. November 1928 zur Welt kam und sie am 31. Dezember 2008 verließ.

Diese Anzeige ist in verschiedener Hinsicht bemerkenswert. Herr Quast starb am 31. Dezember, die Trauerfeier fand aber schon am 8. Januar um 11.30 Uhr in der St. Jacobi-Kirche in Hanstedt statt, so der Text der Anzeige. Wie voraussschauend!

Der Anzeige lässt sich entnehmen, dass Werner Quast ein Pferdeliebhaber, vielleicht sogar ein Pferdennarr, war. Der folgende Text legt diese Vermutung nahe: „God forbid that I should go to heaven where there are no horses“. Pferde kommen demnach nicht in den Himmel, was ich allerdings für ein Gerücht halte; schließlich: wozu hatte Pegasus Flügel?! Zum Umkehrschluss, das Werner Quast in der Hölle gelandet ist, will ich mich aber nicht versteigen.

Das, was meinen Blick vor drei Jahren fesselte, stand herausgehoben mitten in der Anzeige: „Er starb wie er gelebt hat: Erfüllt und voller Leidenschaft.“ Da war ich doch überrascht und bin es heute noch: Wie kann man erfüllt und leidenschaftlich sterben?

(Dummer Nachgedanke: Erfüllt und voller Leidenschaft sterben heute vielleicht die Selbstmordattentäter, die sich – vermeintlich – ins Paradies sprengen und alle anderen ins Grab. Aber jetzt will ich erst mal Schluss machen.)

20. 01. 2012