Montag, Dezember 19, 2011

Voll, voller, am vollsten

Ein Glas, eine Tasse, eine Kanne, jedes Gefäß kann beliebig voll sein, zu einem Viertel, zur Hälfte, nur voller kann es nicht sein und am vollsten schon gar nicht.
Frau Merkel schenkt Herrn Wulff ihr vollstes Vertrauen – und wir dürfen davon ausgehen, dass er das auch annimmt.

Warum wird der Mund so voll genommen? Es geht doch auch einfach. Ich vertraue jemandem. Er hat mein Vertrauen. Das genügt doch.

„Es kommt auf den ganzheitlichen Weg an“, sagte kürzlich irgendeine Politikerin in irgendeiner Debatte. Was sie sich darunter vorstellte, sagte sie nicht. Lange und kurze, steinige, gerade, auch krumme Wege, das kennen wir. Aber ganzheitliche? Vielleicht wollte die Dame nur sagen, dass an alles gedacht, dass nichts außer acht gelassen werden, das man nicht einseitig vorgehen solle. Hat sie aber nicht.

Journalisten wird zurzeit Einsicht in einige Akten der Anwälte des Bundespräsiden-ten gewährt, allerdings nur ganz kurz. Es sind wahrscheinlich nur wenige Minuten, die sie in den Akten blättern dürfen. Das liest sich dann so: „Die Journalisten bekommen nur ein kurzes Zeitfenster.“ Dazu ein paar Fragen:

Gibt es auch lange Zeitfenster? Gibt es breite, schmale, und wie steht es mit Sonderausführungen? Ich hätte gern ein Zeitfenster aus bruchfestem Isolierglas mit Wärmedämmung. Gibt es nicht? Gut, dann geben Sie mir einfach ein bisschen Zeit.

Vielleicht ist es Ihnen möglich, mir diese Zeit zeitnah zu geben. Was halten Sie davon? Tja, das wird schwierig. Im Augenblick können wir nur zeitferne Zusagen machen. Zeitfern hieß früher „am St. Nimmerleins-Tag“. Und statt zeitnah „bald, demnächst, in Kürze, so bald wie möglich“ usw.

Im Überschwang der Gefühle gehen wohl mit jedem die Pferde durch, pardon: ich meine die Sprache. Herr Mehdorn erklärte heute, am 19. Dezember, die Beteiligung einer arabischen Fluggesellschaft an der maroden Air Berlin als Leuchtturm in der Luftfahrtgeschichte. Offenbar hat Herr Mehdorn die Luftfahrt mit der Seefahrt verwechselt. Die Seefahrt war auf Leuchttürme angewiesen, in der Luftfahrt handelt es sich um Funkfeuer, die den Weg weisen.

Frage: Führt dieser willkürliche und unkontrollierte Umgang mit der Sprache zu einer Art Geistesverwirrung, oder ist ein in Unordnung geratener Geist die Ursache für sprachlichen Unsinn?

Ich fürchte, irgendetwas stimmt nicht in den Köpfen. Anders ist Frau Merkels Strategie in Sachen Bundespräsidentenaffäre kaum zu verstehen: Der Schaden fürs Amt muss in Kauf genommen werden. Der Schaden fürs Amt? Das Vertrauen in ohnehin schwächelnde Demokratie geht vor die Hunde! Merkt das niemand?