Sonntag, Juli 20, 2008

"... unter schwachem Wachstum leiden."

Nicht zum ersten und bestimmt nicht zum letzten Mal war neuerdings wieder die Schreibe und die Rede davon, daß die Wirtschaft unter schwachem Wachstum leidet.

Wie kommt das? Wieso leidet sie? Wenn wir an unsere Jungenszeit denken, dann haben wir eher unter zu starkem Wachstum gelitten, gelegentlich jedenfalls. Wir merkten das an einem unangenehmen Ziehen in den Kniekehle. Junge, hieß es dann, du wächst zu schnell.

Unter zu schwachem Wachstum haben wir höchsten seelisch gelitten, wenn Schulkameraden auf einmal schneller wuchsen als wir selbst. Vielleicht leidet auch die Wirtschaft nur seelisch unter zu schwachem Wachstum, weil sie dem Wahn nachläuft, daß alles immer größer werden müßte. Aber wachsen ohne Ende gibt es nicht.

Vielleicht sollten wir einmal der Frage nachgehen, ob die Wirtschaft nicht unter zu starkem Wachstum leidet – nicht im Augenblick, aber manchmal wächst sie ja atemberaubend schnell. Was da passiert sieht toll aus, ist aber gar nicht so lustig. Weil allen alles aus den Händen gerissen wird, langt auch jeder kräftig zu, was die Preise angeht, die Preise für die Waren, die Preise für die Arbeit, die Preise für alles. Auf die Dauer bereitet das Schmerzen; denn auf einmal geht es nicht mehr steil nach oben.

Und dann beginnt die Wirtschaft unter schwachem Wachstum zu leiden. Nicht jeder Preis wird erzielt, den man verlangt, vielleicht muß man sogar ein paar Abstriche machen. Ist das unter schwachem Wachstum leiden?

Schauen wir uns mal die Jahresringe eines Baumes an. Die gibt es richtig starke und richtig schwache und so alle möglichen Zwischenstärken. Von leiden würde ein Baum sicherlich nicht sprechen, da er weiß, daß er nicht in den Himmel wachsen wird, und daß nicht jedes Jahr ein gutes Jahr ist. Das müssen wir Menschen noch lernen.

23. 12. 2001