Mittwoch, Juni 18, 2008

Redensunarten

Frau Angela Merkel spricht davon, dass sie mit Monsieur Szarkosy „einen sehr gemeinsamen Weg“ gehen wird. Wie sollen wir uns das vorstellen? Einen gemeinsameren Weg als einen gemeinsamen gibt es nicht. Die Dame hat wohl gemeint, dass sich die beiden über den einzuschlagenden Weg so gut wie einig sind. Aber so einfach zu sprechen, scheint schwierig zu sein.

„Der hat Sichtkontakt gehabt“, mault ein Fernsehreporter, als ein Fußballspieler nicht so spielt, wie der Reporter es sich vorgestellt hat. „Der hat ihn doch gesehen.“ Das wäre einfacher gewesen. Kleinkrämerei? Ich glaube nicht.

Ich sehe eine Fliege an der Wand. Das könnte ich auch so sagen. Aber ich sage:

Ich habe Blickkontakt mit einer Fliege an der Wand. Alles klar? Unsere Sprache ist doch kein Luftballon, den wir aufblasen müssen.

Ob mir da jemand vehement widersprechen wird? Vielleicht gibt es auch nur einen heftigen Widerspruch. Was ist hier das Geheimnis? Fremdwörter schmücken offenbar ungemein; sie zeigen, was man kann, was man weiß, dass man mehr kann und weiß. „Die Causa“ ist so ein Beispiel, das zur Zeit in Mode kommt. „Der Fall“

täte es auch.

So wird unsere Sprache missbraucht. Manchmal allerdings lädt sie auch dazu ein. Wir sind Weltmeister in der Erfindung von Wortungetümen (Wortmonstern). Eines davon heißt „Missbrauchbarkeit“(DIE ZEIT ,15. Mai 2008, Feuilleton 51). Der Satz, in dem dieses Wortmonster vorkommt, heißt: „Sind Sie sich der Missbrauchbarkeit Ihrer Kritik bewusst?“ „Wissen Sie, dass Ihre Kritik missbraucht werden kann?“ wäre doch einfacher und besser.

Wie hieß es gerade in den ZDF Nachrichten? Bundespräsident Horst Köhler wolle sich nicht verorten lassen. Verorten? Er will sich nicht festlegen lassen. Wer kommt nur auf so unsinnige Wörter wie verorten?

Von einem schwankenden Zeitkorridor war vor einiger Zeit schon die Rede. Aber es gibt noch mehr merkwürdige Korridore. Volker Stern, Finanzwissenschaftler beim Karl-Bräuer-Institut,spricht von einem „Belastungskorridor“. Er meint damit die Spannweite der finanziellen Belastungen, unter denen einige Bevölkerungsschichten leiden. (SPIEGEL Nr. 25 / 16. 6. 08, Seite 70)

Die Fantasie kennt offensichtlich keine Grenzen. Genau das zeichnet sie aus. Die Politiker beweisen es täglich mit den „unmöglichsten“ Formulierungen. Da sagt zum Beispiel Elma Brok, CDU-Europaabgeordneter: „Die Inhalte des Reform-Vertrags von Lissabon dürfen nicht neu aufgeschnürt werden.“ Ob neu aufgeschnürt oder nicht: Wie will Herr Brok Inhalte aufschnüren? (Hamburger Abendblatt 14./15. 06. 08, Seite 2)

Das Kleine einmaleins – vom großen sei gar nicht erst die Rede – beherrschen heute nur noch wenige: Kopfrechnen schwach! Und mit dem ABC steht es auch nicht besser. Können die Schreiber nicht mehr richtig lesen? Bringen sie alles durchein-ander? Keine Ahnung!

Jedenfalls ist im Hamburger Abendblatt vom 14./15. Juni 2008 auf Seire 4 die Rede von einem fahlen Beigeschmack (im Zusammenhang mit dem aktuellen Datenmissbrauch führender deutscher Unternehmen). Einen fahlen Beigeschmack gibt es ebenso wenig wie einen fahlen Geschmack. Einen faden Geschmack gibt es allerdings. Da schmeckt etwas so gut wie nach nichts, ist also fade, aber nicht fahl.

Fahl ist nicht fade, sondern bleich, blass, vielleicht sogar leichenblass.

Erledigt. Hamburge Abendblatt-Redakteure erledigen ihre Aufgaben immer öfter ungenügend. Manchmal ist das ganz grausig. Da wird in einer Reportage zum Thema „Kleine Fluchten“ geschrieben, dass in einem Staatsforst in der Göhrde „das Wild für die kaiserlicher Hofjagd in eingezäunen Gebieten zu Massen zusammengetrieben und zum Ruhme des Kaisers in wenigen Stunden erledigt wurde.“ Statt erledigt

war erlegt gemeint, oder sollte der Schreiber tief nachgedacht haben? Hat er vielleicht gemeint, dass „erledigen“ die Tatsache genauer bezeichnet hätte als „erlegen“?

Kostenlos. Noch einmal das Hamburger Abendblatt vom 14./15. Juni 2008, Reise und Touristik: „Der ‚Pass Nantes’ gewährt für 14 Euro 24 Stunden kostenlosen Eintritt in Museen, Benutzung von Bus und Bahn ilm Großraum Nantes sowie Rabatte in Geschäften.“ Also was bitte: 14 Euro sind nicht kostenlos.

Punktuell. Da wollen irgendwelche Politiker punktuell entscheiden. Das heißt: Sie wollen von Fall zu Fall entscheiden. Das ist verständlich und in Ordnung, sie wollen nicht alles über einen Kamm scheren. Aber warum sagen sie „punktuell“? So sprechen wir doch nicht.

Kommt gut. „Dass hier auch ein Familienurlaub gut kommt, wissen aber nur die wenigsten.“ schreibt das Hamburger Abendblatt in seiner Ausgabe vom 14. /15. Juni 2008. Was ist das für ein Stammel-/Stummeldeutsch?

Mit „kommt gut“ dürfte hier gemeint sein: „schön, großartig, wunderbar.“ Das ist ja noch schlimmer als das schrecklich „Hallo“ statt Guten Morgen, Guten Tag, Guten Abend“. Wir verlottern unsere Sprache.

Transparenz. Immer wieder fordern Politiker Transparenz, meist mehr Transparenz. Was wir wollen, ist Klarheit und nicht Transparenz, die gar nicht so

transparent, so durchsichtig und einleuchtende ist, wie es notwendig wäre.

Sensibel. Der Allerweltsbegriff für alles Mögliche: kritisch, problematisch, schwierig, heikel. Alle diese Wörter sagen genauer, was gemeint ist. Aber sensibel lässt das im Ungewissen, was man lieber nicht sagen möchte.

Kultur. Ja, auch das muss noch sein, wenn auch schon oft zur Sprache gebracht.

„Es fehlt in Deutschland an einer Kultur des Unternehmertums, die auch eine Kultur des möglichen Scheiterns einschließt“, sagt Peter Englisch, Partner bei Ernst & Young. Was meint Herr Englisch? Vielleicht dies:

In Deutschland fehlt der Mut, etwas zu unternehmen. Es fehlt der Mut, etwas zu riskieren.