Sonntag, März 16, 2008

Der Urknall

Im Flur, der zu meinem Büro führt, hängt an einer Tafel mit allem möglichen Seltsamkeiten auch eine Seite der BILD-Zeitung.

Datum: 13. August 1983. Die Zeile, weshalb diese Seite dort seit 25 Jahren hängt: „Paul Dahlke lernt seinem Hund schwimmen.“

Spätestens an diesem Tag fiel mir die Sprachschluderei auf, die in Zeitungen und Zeitschriften, im Fernsehen, in Politikerreden und Manageräußerungen immer neue Blüten treibt. Was den Unsinn angeht, handelt es sich um eine erfolgreiche Entwicklung.

Fritz J. Raddatz notierte in der LITERARISCHEN WELT vom 24. Mai 2003 zwei, drei Hände voll Blödbeispiele unter dem Titel „Ick jewöhne mir an allem, ooch am Dativ“. Er beklagte, wie flüchtig, wie gedankenlos, wie fahrlässig Journalisten mit unserer Sprache umgehen. Seitdem scheint mir alles noch schlimmer geworden zu sein, aber Fritz J. Raddatz findet schon 2003, dass das PISA-Desaster ein Klacks gegenüber diesem Journalismus sei.

Einen der Gründe erwähnt Raddatz. „Schlussredaktionen und –korrektoren scheinen in Zeitungen so wegrationalisiert zu werden, wie seit längerem die Lektoren der Buchverlage.“ So weit ich weiß, haben Computerprogramme die Aufgabe übernommen. Das Ergebnis ist bekannt.

Das allein aber kann es nicht sein. Wir sind Journalisten, Redakteuren und Politikern ausgeliefert, die unsere Sprache nicht beherrschen, die des richtigen Wortes nicht mehr mächtig sind, die auch keinen Wert darauf zu legen scheinen.

Wie sehr diese Oberflächlichkeit, diese Gleichgültigkeit um sich gegriffen hat, zeigt auch der Missbrauch der englischen Sprache, die in unserem Denglisch zum Ausdruck kommt.

Auch hier ein Griff in die Vergangenheit: SPIEGEL 48/2006. „Leben auf prächtig“ heißt es da auf Seite 123. „Englische Reklamesprüche werden von nicht einmal der Hälfte der deutschen Konsumenten verstanden. Manchmal ist das vielleicht besser so.“ heißt es einleitend. So wurde der Sat.1-Spruch „Powered by emotion“ von manchen Befragten als „Kraft durch Freude“ verstanden.

Das Verblüffende: Selbst Sprüche, die sie nicht verstanden, fanden einige der Befragten gut. Der Hang zum Höheren scheint in jedem Menschen zu wohnen. Wenn es um Schein oder Sein geht, wird dem Schein offenbar gern der Vorzug gegeben.

Was das Verständnis des Englischen angeht, sollte ich nicht allzu kleinmütig sein. Schon Mark Twain notierte: „…weil der ganze Rest der deutschen Nation Englisch spricht.“ Das war vor ungefähr 150 Jahren. Warum also sollten wir das Denglische nicht verstehen? Und wenn nicht das, warum sollten wir es nicht lieben? Es ist zum Liebhaben blödsinnig.

Und nun noch einmal ganz platt Deutsch: Zeitfenster. Mal ist es größer, mal kleiner; geschlossen oder geöffnet ist es aber nicht.

Da schreibt die FAZ in ihrer Ausgabe vom 14. März 2008 auf Seite 15 im Beitrag „Endgültig verspielt“: dass das Zeitfenster für die Reform der Pflegeversicherung von Jahr zu Jahr kleiner wird. Ist ein solches Fenster, das immer kleiner wird, überhaupt eine Zulassung? Darf es so etwas geben? Zum Schluss ist das Fenster vielleicht sogar ganz weg oder nur noch ein kleines Guckloch? Schrecklicher Gedanke!

Ja, so geht es, wenn man bildhaft sprechen möchte, ohne es zu können. Unter Zeitraum können wir uns noch etwas vorstellen. Das Wort Zeitspanne verstehen wir. Am schnellsten und besten verstehen wir, wenn man uns in einfachen Worten sagt, worum es geht. Wir haben nur noch wenig Zeit, um dieses Problem zu lösen, beispielsweise. Wir müssen uns beeilen. Wir sollten nicht lange fackeln. Wir sollten jetzt an das Problem herangehen.

Weil es so zieht und ich mir noch einen Sprachschnupfen holen werde, mache ich das Zeitfenster jetzt zu.