Montag, Dezember 19, 2016
Als ich ein kleiner Junge war, hatte Deutschland schon
lange keine Kolonien mehr, aber
Kolonialwarengeschäfte gab es immer noch. Natürlich gab es die nicht an jeder
Straßenecke. Sie waren etwas Besonderes. Nicht nur ihre Inhaber waren davon
überzeugt. Kunden, die nicht auf den Pfennig achten mussten, sahen das auch so.
Dort konnte eben nicht jeder kaufen.
Ich erinnere mich daran, dass es an der Kreuzung
Kommandantenstraße / Weddingenweg in Berlin-Lichterfelde-West eine Bäckerei
gab, ein Milchgeschäft, eine Fleischerei, ein von alten Damen betriebenes Schreibwarengeschäft
und eben den Kolonialwarenhandel Behrendt. Der lag schräg gegenüber der
Kommandantenstraße 88.
Ich kann mich nicht daran erinnern, was an dem Angebot kolonial
war. Waren es nur Bananen? Im Zweifelsfall hätte das genügt.
Kleine Abschweifung – ich bitte um Vergebung: Das kleine
Schreibwarengeschäft der alten Damen lief hervorragend. Nur ein paar Schritte
über die Kreuzung hinweg befand sich die 13. Volksschule. Das erklärt alles.
Die beiden alten Damen haben vor Jahrzehnten das Zeitliche
gesegnet. Das Kolonialwarengeschäft gibt es nicht mehr. Die Bäckerei? Und das
Milchgeschäft? Vergangenheit!
Das ist der Lauf der Zeit? Ja, sicherlich. Fragt sich
nur, ob wirklich alles unter die Räder kommen muss. Im Kolonialwarenschäft
Kommandantenstraße / Weddingenweg kannte man die Jahreszeiten. Spargel zu Pfingsten, die ersten Erdbeeren,
der erste zarte Salat – je weiter das Jahr fortschritt, desto mehr war im Angebot.
Frühling, Sommer, Herbst, jede Zeit gab ihr Bestes. Und für den Winter musste
man vorsorgen. Es gab noch die vier Jahreszeiten, und jeder kannte sie.
Und heute? Erdbeeren zu Weihnachten, im Januar Spargel
aus beheizten Beeten. Die Jahreszeiten: abgeschafft. Vorfreude: abgeschafft.
Das ist die neue Armut, die wir für Reichtum halten.
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