Montag, November 14, 2016

Mit Blindheit geschlagen

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat im SPIEGEL vom 12. November seinen Auftritt als Journalist. In seinem Gastbeitrag versucht er zu erklären, „warum die Sozialdemokraten Konsequenzen aus dem Sieg Trumps ziehen müssen.“ Ist das nicht ein bisschen weit hergeholt? Selbstkritik und Selbsterkenntnis wären notwendig. Aber dafür hat Herr Gabriel, wie zu lesen ist, nicht den richtigen Blick.

Der erfolgreiche Wahlampf Trumps, so Herr Gabriel, „…zeigt, wie wichtig es ist, sich auch heute um die Menschen zu kümmern, für die unsere Partei vor über 150 Jahren gegründet wurde… Es ist im Kern unsere Aufgabe als Sozialdemokraten, die Interessen der Arbeitnehmerschaft zu vertreten und dadurch die Demokratie zu stärken.“ Das ist sicherlich richtig. Aber man muss es nicht nur sagen, sondern auch tun.

Es nützt eben nichts, nur die Enttäuschung vieler Menschen über die gewachsene Ungleichheit festzustellen und die immer stärker werdende Distanz zwischen der wirtschaftlichen und politischen Führung und den Bürgern. Wohin das führt, wenn man nur redet und nichts tut, oder das Falsche, zeigt der Bericht in DIE ZEIT vom 10. November „Herr Reil schwenkt um.“

Guido Reil, ein Sozialdemokrat in der dritten Generation, hat festgestellt, dass seine SPD nicht mehr die Alte ist, die Partei, die sich für den kleinen Mann einsetzt: Im Essener SPD-Vorstand saßen dann vor allem Beamte, Stadtangestellte, Leute mit Uniabschluss oder ‚zumindest solche, die mal angefangen hatten, irgendetwas zu studieren‘. Sie waren die Aufsteiger. Die Probleme – die schlecht bezahlten Jobs, die hohe Zuwanderung – hätten diese Leute nicht mehr verstanden – so Guido Reil.

Im Grunde sagt Sigmar Gabriel nichts anderes. Die SPD hat sich ihren Mitgliedern entfremded. Sie fremdelt mit ihrer Gründungsidee. Mehr noch: Diese Idee scheint ihr fremd geworden zu sein.

Als Wirtschaftsminister der Republik  beweist er das immer wieder. Im Zweifelsfall ist der Gewinn der Aktionäre wichtiger als der Lohn der Arbeitnehmer. Die Wirtschaft droht mit dem Verlust, dem Entzug, von Arbeitsplätzen, und schon dreht der Bundeswirtschaftsminister bei. Er sieht das aber ganz anders.

„Wir haben (in der Großen Koalition) … die soziale Ungleichheit in den Mittelpunkt  der Politik der Bundesregierung gerückt“ (wir, die SPD). „Durch den Mindestlohn, die Begrenzung der Leih- und Zeitarbeit, die Mietpreisbremse und höhere Investitionen in öffentliche Schulen.“ Gut gebrüllt, Löwe. Nur: Nicht einmal die Hälfte stimmt.

Der Mindestlohn reicht vorn und hinten nicht. Das neue Gesetz zu Leih- und Zeitarbeit lädt zu Betrügereien ohne Ende ein, und von Bildungsoffensive ist nirgendwo etwas zu sehen.

Zugegeben: Die SPD hat sich bemüht. Ohne sie wäre alles vielleicht noch schlimmer geworden. Aber das reicht nicht.

Notwendig ist: Reinen Tisch machen. Nie mehr Juniorpartner einer Großen Koalition. Opposition ist nicht der Mist, den Herr Müntefering so hasste. Die SPD ist aus der Opposition heraus entstanden. Völlig vergessen, nicht wahr?