Mittwoch, Dezember 21, 2016
Zuvor eine kleine Tat, die
Großes bedeutet: ein polnischer Brauch. In Polen, so las ich heute, wird
Weihnachten ein Gedeck mehr aufgelegt, als man Gäste erwartet. Damit gibt man
zu verstehen, dass die Gastfreundschaft auch denen gilt, die noch keinen Platz
gefunden haben: den Verlassenen, den
Einsamen, den Ármen. Das alles ohne große Worte.
Und nun: Große Worte: 12 Tote, 48 Verletzte, einige in
Lebensgefahr. Gestern Abend fuhr ein LKW in den Weihnachtsmarkt bei der
Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin. Ein schreckliches Unglück? Eine
sadistische Tat. Terror. Zurzeit spricht alles für diesen Wahn-sinn.
Wie es weitergeht, weiß zurzeit niemand. Werden die Täter
gefasst? Und wenn es gelingt – was bedeutet das? Werden weitere Anschläge
folgen? Das ist nicht auszuschließen. Es ist wahrscheinlich. Trotzdem ist auf
Weihnachtsmärkten in verschiedenen Städten zu hören: „Jetzt gehen wir gerade
hin.“ Das mag so dahingesagt klingen, aber es scheint mehr dahinter zu stecken
– Entschlossenheit, sich vom Terror nicht klein kriegen zu lassen: Entschlossenheit
der „kleinen Leute“. Das sollte ermutigen.
Die Rolle, die die Politik in diesem Drama spielt, ist
eher entmutigend bis hin zur Verzweiflung über Dummheit und unerträglichen
Zynismus.
Zugegeben: Die Rituale, denen die Politik folgt, werden
erwartet und sind doch in ihrer Häufung und Gleichtönigkeit schwer zu ertragen.
Die Gedanken aller Politiker sind bei den Opfern und ihren Angehörigen.
Wirklich? Das Niederlegen von weißen Rosen am Tatort – zur Schau getragenes,
weil erwartetes Mitgefühl, ein Ritual also – oder doch mehr? Alles das gehört
sich so? Ja. Alles andere wäre
kaltherzig. Und doch bleibt es unbefriedigend. Es ist wie ein Theaterstück, das
im Augenblick ans Herz greift und eben doch nur Theater ist.
Aber nicht alles ist Theater. Was ein Herr Seehofer
treibt, ist kein Theater, sondern Zynismus. Der Herr zeigt auf Frau Merkel und
sagt, dass sie an der Terroraktion in Berlin schuld sei. Herr Seehofer will –
nicht anders ist er zu verstehen – die absolute Mehrheit der CSU erhalten. Politik
der billigsten Sorte – menschenverachtend, eben zynisch. Die innige
Verwandtschaft mit der AfD, die nicht aus der Welt gegriffene Nähe zu den
Identitären alles scheint Herrn Seehofer recht zu sein.
Große Worte auch von den Medien, großes Gehabe. Frau Slonka
im heuteJournal am 19. Dezember: Anderthalb Stunden Weihnachtsmarkt-katastrophe
in Berlin, ohne dass irgendetwas klar war. Zig Wiederholungen von
nichtssagenden Interviews, weil die Interviewten einfach nichts wussten, nichts
wissen konnten. Zig Fragen, auf die es keine Antwort geben konnte. Die dauernd
wiederholte Anmerkung, man wisse natürlich noch gar nicht, ob es sich um eine
Terroraktion oder einen Unfall handle. Eine unglaubliche Sendung. Die
Terroraktion in Nizza am französischen Nationalfeiertag mit etwa 80 Toten, war
den deutschen Fernsehsendern nur wenige Minuten wert.
Und dann diese Floskeln: „Nicht alle (Flüchtlinge) unter
Generalverdacht stellen.“ Schon diese dümmliche Formulierung! Entweder:
„Flüchtlinge nicht unter Generalverdacht stellen“ oder – besser: „Nicht alle
Flüchtlinge unter Verdacht stellen“, oder – einfacher noch – „nicht alle
Flüchtlinge verdächtigen“. Kleinkariert?
Aber nein. Wer alle unter Generalverdacht stellt, reitet einen weißen Schimmel.
Trauer und Schock seien intim, war zu lesen. Dabei ging
es um Trauerrituale der Politik und den nicht feststellbaren Schock der Nation
in aller Öffentlichkeit. Von Intimität kann nicht die Rede sein.
Auch die Werte, die auf den Weihnachtsmärkten für Weihnachten
stehen, mussten in den Nachrichten herhalten. Genauer wurden diese Werte nicht
definiert. Sind unsere Weihnachtsmärkte wirklich so abendländisch-christlich
wertvoll? Sind sie vielleicht nicht auch schon unserer Shopping- und
Vergnügungsleidenschaft zum Opfer gefallen?
Zum Schluss noch ganz kurz die Maybritt Illner-Talkshow am
20. Dezember. Thema: Terroraktion 19. Dezember in Berlin. Frau Künast, die
GRÜNEN, Herr Laschek, CDU NRW, Herr Schulz, Bund deutscher Kriminalbeamter,
Frau Maggie Schaun, Psychologin an der Uni Konstanz, Peter Neumann,
Terrorismus-Experte. Es ist immer wieder erstaunlich, wie viel die Talker über
Dinge sagen können, von denen sie genau so wenig wissen wie die
Fernsehzuschauer.
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