Mittwoch, Dezember 28, 2016

Brauchen wir Visionen?

Brauchen wir Visionen, oder genügt Vernunft? Diese Frage ging mir dieser Tage durch den Kopf, und ich überlegte. Was sind Visionen? Wirre Gedanken, Hirngespinste, irgendwelche Ideen, die irgend-etwas mit der Zukunft zu tun haben? Ich habe mich dann entschlossen zu sagen: Visionen sind eine Vorstellung davon, wie unsere Welt, vielleicht auch nur Teile von ihr, wie unsere Welt sein sollte. Wunschdenken also.

Damit ist es natürlich so eine Sache. Eine Vision kann sich auch als Illusion herausstellen, ein Trugbild. Eine sichere Angelegenheit ist das also nicht. Da ist es vielleicht besser, sich auf die Seite der Vernunft zu schlagen.

Ich will nicht sagen, dass Visionen und Vernunft Gegensätze sind. Darum drehten sich meine Gedanken eine ganze Weile. Und dann habe ich mir gesagt: Die beiden gehören zusammen. Wir brauchen beides, um mit dem Leben fertig zu werden. Es geht also nicht um ein Entweder-Oder, sondern darum Visionen und Vernunft miteinander zu verbinden.

Wie es der Zufall will, und das Leben ist voller Zufälle, brachte der Deutschlandfunk am 24. Dezember ein Gespräch mit Heiner Geißler zum Thema „Ohne Utopie gibt es keinen Fortschritt.“ Ich denke, wir können die Begriffe Vision und Utopie als Ein-und-dasselbe betrachten. Wir können das eine Wort gegen das andere austauschen.

Heiner Geißler nennt das Evangelium, die Bergpredigt, eine Utopie, auch eine neuen Weltwirtschafts- und friedensordnung zählt er dazu, ebenso eine Gesell-schaft, in der die Frauen vollkommen gleichberechtigt sind. Er  fügt dem Begriff Utopie aber auch das Wort Entwurf zu. Nach meinem Verständnis meint er mit Entwurf, was ich in meiner Frage als Vernunft bezeichnet habe: die Überlegung, wie eine Vision, wie eine Utopie Wirklichkeit werden kann, welche Schritte dafür notwendig sind.

Heiner Geißler weiß, wovon er redet, hält die Dinge nicht in der Schwebe, im Ungewissen, sondern nennt in diesem Gespräch ein Beispiel für eine verwirklichte Utopie.

Zitat: „Auch nach dem Krieg zum Beispiel, die soziale Marktwirtschaft war natürlich zunächst mal eine utopische Vorstellung. Und trotzdem ist durch die Verbindung von Ethik, der katholischen Soziallehre, der evangelischen Sozialethik und dem Ordoliberalismus der Freiburger Schule etwas entstanden, was die alte soziale Frage, nämlich die Arbeiterfrage gelöst hat, zumindest bei uns in Deutschland.

Ohne solche Entwürfe und Konzepte gibt es keinen Fortschritt auf der Erde und deswegen braucht man ja auch für eine bessere Entwicklung gegen Bürgerkriege, gegen Ausbeutung, Gegenentwürfe zum kapitalistischen Wirtschaftssystem eben Vorstellungen, die kann man auch als Utopien bezeichnen, aber die man anstreben muss. Ohne solche Konzepte kann man gar keine Politik machen.“

Wer Heiner Geißler kennt, weiß, dass der Mann kein Blatt vor den Mund nimmt. Und so antwortet er auf die Frage nach den Utopien, die sich mit dem Weihnachtsfest verbinden, „dass der christliche Glaube nicht darin bestehen kann, dass man fromm ist, die Hände faltet und nach oben schaut und Posaune bläst und Lieder singt und den Leuten ein Sündenbewusstsein einhämmert.“

Man solle sich daran erinnern, dass Jesus auf der Seite der kleinen Leute stand und nicht nur Gottesliebe, sondern die Nächstenliebe gepredigt hat. Und deshalb sagt er, Zitat: „Und wenn das die Kirchen mehr in den Vordergrund schieben würden und Caritas und Diakonie nicht so die Unterabteilungen der Ordinariate, der Oberkirchenräte werden würden, sondern wieder die zentrale Botschaft des Evangeliums darstellen würden, dann wäre das eine große Hilfe.“

Und nun? Helfen wir mit der uns zur Verfügung stehenden Vernunft, die Visionen, die Utopien zu verwirklichen, die dem Wohlergehen aller Menschen dienen. Hüten wir uns davor, unsere Visionen, unsere Utopien zu Ideologien verkommen zu lassen.