Montag, Juli 04, 2016

Dahingeplappert



„Einem rot-rot-grünen Bündnis fehlt bisher eine innere Daseinsberechtigung, eine Erzählung, die es politisch begründet, sein Existenz zwingend erforder-lich macht.“ schreibt Peter Dausend (DIE ZEIT, 23. Juni, Seite 5). Geschrieben wie auf Stelzen. Da bleibt einem die Spucke weg.

Eine Erzählung fehlt? Wenigstens spricht Dausend nicht vom Narrativ. Nee, Herr Dausend, noch ein Politmärchen fehlt uns nicht. Und was meinen Sie mit „innere Daseinsberechtigung“? Wahrscheinlich meinen Sie Inhalt. Dann schreiben Sie es doch! Sie schreiben: „Der Kampf gegen rechts, ein Bündnis der progressiven Kräfte gegen die Feinde der liberalen Demokratie ist eine solche Erzählung.“ Wenn Sie das ernst meinen, dann „gute Nacht“! Wie gesagt: Wir brauchen keine Erzählungen. Wir brauchen Inhalte und nicht viele Worte.

Mit dieser bösen Anmerkung ist die Katze aus dem Sack. Jetzt weiß es jeder: Zumindest was die Sprache angeht, priorisiere ich das Einfache, das Ehrliche. Priorisieren. Was für ein scheußliches Wort! Was würden Sie sagen, wenn ein Ober Sie fragt: „Mein Herr, haben Sie schon gewählt? Was priorisieren Sie?“ Vermutlich würden Sie in schallendes Gelächter ausbrechen, vielleicht sich aber auch an die Stirn tippen und das Lokal verlassen, um in einem anderen Restaurant zu sagen, welches Menü Sie bevorzugen würden.

Wie Politiker mit raffinierter Wortwahl uns an der Nase herumführen, unsere Zustimmung, unser Kopfnicken ergaunern, hat Finanzminister Wolfgang Schäuble kürzlich zum Besten gegeben. Er sagte (DIE ZEIT, 30. Juni – „Verscherbelt die Regierung unsere Autobahnen?“): „Die Autobahngesellschaft müsse ein Schritt sein, ‚um die Nutzung öffentlicher Infrastruktur, besonders der Autobahnen, allmählich stärker nutzerorientiert zu finanzieren.“ Nutzer-orientiert sieht auf den ersten Blick ausgesprochen positiv aus, so nach Nutzen für den Autofahrer. Irrtum! Die Autofahrer sollen zur Kasse gebeten werden.

Ich staune immer wieder darüber, wie viele Menschen und Unternehmen sich neu erfinden. Das klingt immer ziemlich aufregend, sagt aber nur, dass man sich ändern will oder muss. Ziemlich langweilig, nicht wahr? Ähnlich geht es mir mit dem in Mode gekommenen Lebensentwurf. Sicherlich hat jeder Mensch eine Vorstellung von seiner Zukunft. Aber ist das gleich ein Entwurf? Ein Entwurf meint doch eigentlich etwas Neues, noch nicht Dagewesenes. Das dürfte den meisten Lebensläufen fehlen. Ich bin gespannt, wann das Wörtchen Lebensentwurf so abgewirtschaftet ist, dass stattdessen von Lebensdesign die Rede ist. Lange kann das nicht dauern, nehme ich an. 04. 07. 2016