Freitag, September 19, 2014

Von Zeit zu Zeit

Bildhaft und damit lebendig zu schreiben, ist eine Fähigkeit, die nicht jedem gegeben ist. Jeder möchte es können, den wenigsten gelingt es. Zur Mehrheit der Unfähigen, oder sagen wir Unbegabten, scheinen vor allem Politiker und Manager zu gehören.

Vielleicht sind sie davon überzeugt, dass ein Bild mehr sagt als tausend Worte. Worüber man streiten kann; denn ein Wort kann auch tausend Bilder vor Augen führen. Wahrscheinlich stimmt beides.

Wie auch immer: Der Versuch, sich bildhaft auszudrücken, geht oft gründlich daneben. Das passiert natürlich nicht nur Politikern. „Deswegen stecken wir unser Herzblut in die Firma.“ hat eine Jungunternehmerin von sich gegeben. (Steckblut als neue Blutkonserve?) Und „Am 26. Mai fällt der erste Spatenstich…“ ist einem Hamburger Abendblatt-Redakteur  eingefallen. (Er kann sich nur freuen, dass die Spaten nicht vom Himmel fallen. Das wäre sehr gefährlich.)

Aber, wie schon angedeutet, Politiker lassen sich da nicht lumpen. Roland Koch, seinerzeit Ministerpräsident von Hessen, stellte fest: „Der Rettungsschirm ist noch nicht völlig ausgeschöpft.“ (Er muss den Schirm verkehrt herum getragen haben, und der ist voll Wasser gelaufen? Wie peinlich!

Was Roland Koch konnte, kann auch Manuela Schwesig, zurzeit Bundes-familienministerin. „Die gläserne Decke werde nicht von selbst aufweichen.“, sagte sie. Nein, natürlich nicht, man muss sie erst mal zum Schmelzen bringen. Überhaupt: eine gläserne Decke! Um Architektur ging es nicht. Wo sonst ist eine gläserne Decke vorstellbar? Vielleicht bei Schneewittchen?

Ein anderer Politiker – ich habe versäumt zu notieren, wer es war – stellte fest: „Das Zeitfenster droht sich zu schließen.“ Ich frage mich, warum das so schlimm sein soll. Ein bisschen frische Luft, die durch das offene Fenster hereinweht,  kann doch nicht schaden – wenigstens, wenn es um unsere Sprache geht.

Vielleicht wirbelt sie die vielen Zeit-Wörter mal tüchtig durcheinander, und wir ordnen sie dann versuchsweise nach Sinn und Unsinn. Damit kommen wir endlich zum Titel „Von Zeit zu Zeit.“

Zeitraum – das Wort ist uns vertraut. Es sagt uns, dass in einer bestimmten Zeit etwas gemacht, passieren muss. Zeitlinie – da fällt es schon schwerer, sich etwas darunter vorzustellen. Zeitstrahl – ist ähnlich wie die Zeitlinie? Zeitfenster – da fängt es an, komisch zu werden, weil es meist mit zu schmal, mit zu eng, mit zu klein bezeichnet wird. Mindestens genauso schlimm ist es mit dem Zeitkorridor. In der Regel wird er als zu eng bezeichnet. Über seine Länge hat sich anscheinend noch niemand Gedanken gemacht.

Zeitgefühl, Zeitgeist, Zeitgenosse sind eine ganz andere Zeitwortsorte. Damit können wir gut umgehen, obgleich viel Unfug damit getrieben wird.

Von hier zum Spintisieren ist nur ein kurzer Weg. Gibt es die Zeit auch in der Mehrzahl?  Gibt es Zeiten? Eigentlich, so nach dem Gefühl, hat die Zeit keinen Anfang und kein Ende.

Weil das vielleicht ein wenig unheimlich ist, teilen wir die Zeit in kleine Zeiten ein – die Tageszeit, die Jahreszeit. Wenn wir von zeitlos sprechen, meinen wir Dinge, die sich über viele Zeiten erstrecken: Es gab sie schon lange und wird sie auch noch lange geben.  Zeitverlust – ein merkwürdiges Wort. Wie können wir Zeit verlieren? Wir haben sie doch gar nicht. Sie hat uns.

Zeitvertreib – das ist etwas, was wir – bei Licht besehen – gar nicht können. Die Zeit ist allgegenwärtig – immer und ewig. Wie wollen wir sie vertreiben?

Zeitalter, Zeitwende, Zeitverlauf, Gleitzeit, Teilzeit – wie viele Zeiten gibt es? So ganz genau wird es wohl niemand wissen. Dann kommen ja noch andere Zeitwörter hinzu wie Zeitnehmer (der hält fest, wie schnell jemand in welcher Zeit gelaufen ist, beispielsweise), Zeitlupe (das schöne deutsche Wort für slow motion). Zeitraffer (verwandt mit Zeitlupe) Zeitgeschehen, Uhrzeit und  Eiszeit.  Es nimmt kein Ende. Das allerdings ist zeitgemäß.

Und dann: Keine Zeit. Es gibt Menschen, die haben mehr Geld als Zeit, habe ich heute gelesen. Aber Zeit hat doch jeder von uns. Allerdings weiß niemand, wie viel Zeit er hat, bis er sich für alle Zeiten verabschieden muss.

Wie ist eigentlich das Verhältnis von Zeit zu Ewigkeit. Haben die etwas miteinander zu tun? Und wenn ja – was?

Ob  ich jemanden finde, der sich mit mir mal über Zeit unterhält? Ich glaube, wir könnten zusammen eine ganze Menge über die Zeit herausfinden.

19. 09. 2014