Samstag, September 06, 2014

Humanität hat Hochkonjunktur

Mord und Totschlag überall. In Syrien, im Libanon, im Irak, in Libyen, in Israel/Gaza, in der Ukraine und ich weiß nicht, wo sonst noch. Das alles erscheint uns schrecklich. Aber es ist doch nur die eine Seite der Medaille, von der in solchen Fällen die Rede ist. Die andere Seite ist geprägt durch Humanität, durch Menschlichkeit. Das sollten wir doch, bitte schön, nicht vergessen.

Ukrainische Soldaten seien durch einen humanitären Korridor geflohen, schreibt das Hamburger Abendblatt am 3. September 2014. Kurden haben einen humanitären Korridor eingerichtet, um die vom IS-Kalifat verfolgten Jesiden zu retten, war überall in diesen Tagen zu lesen. Das sind nur zwei Beispiele von vielen.

All diese Menschlichkeit würde es doch gar nicht geben ohne die Unmenschlichkeit, die ihr vorausgegangen ist. Sie wäre nicht nötig.

Wir schlachten uns gegenseitig ab, und dann kommen ein paar Unbeteiligte und versuchen den wenigen übrig gebliebenen humanitäre Hilfe zu leisten, humanitäre Korridore zu schaffen? Ist das nicht irre?!

Unsere humanitäre Hilfe sollte dort anfangen, wo die Unmenschlichkeit beginnt, und das sofort. Fragt sich nur, wo der Anfang ist und wie wir ihn erkennen. Der Versuch, das herauszufinden, dürfte sich lohnen. Probieren wir es mal.

Fremdem und Fremden begegnen wir mit Misstrauen. Das ist verständlich. Unverständlich ist, dass wir nur selten bereit sind zu prüfen, ob unser Misstrauen gerechtfertigt ist. So entstehen Vorurteile, und  die sind hartnäckig.

Sinti, Roma, Juden, Russen, Polen – gegen alle ist etwas zu sagen. Jeder weiß doch, wie die sind. Sie sind nicht so wie wir. In vielen Dingen vielleicht nicht. Aber leben sie nicht genau so gern wie wir? Wollen sie nicht glücklich sein, genau so wie wir? Sie beten anders als wir oder vielleicht gar nicht? Sie leben anders? Und das gilt nicht nur für die „Zigeuner“, die heute Sinti und Roma genannt werden, obgleich nicht alle Sinti und Roma das gut finden. Unser Vorurteil gilt für alle, die uns fremd sind.

Einigen wir uns darauf, dass jeder nach seiner Fasson leben darf – unter einer Bedingung: Keiner darf den andere kujonieren. Niemand darf dem anderen seinen Willen aufzwingen. „Meine Freiheit hört da auf, wo deine anfängt.“ Das ist nicht immer von vornherein klar, lässt sich aber herausfinden – ohne Mord und Totschlag und ohne humanitäre Korridore und sonst welchen Unfug. 04. 09. 2014