Samstag, August 31, 2013

Spielregeln

Unser Zusammenleben klappt nur, wenn wir bestimmte Spielregeln befolgen. Diese sollten nicht willkürlich festgesetzt sein, nicht von oben nach unten. Alle sollten mit ihnen einverstanden sein.

Spielregeln zeigen uns, wie wir uns verhalten müssen, damit wir alle gut miteinander auskommen. Das wird uns nicht immer gefallen. Manchmal möchten wir uns über eine Spielregel hinwegsetzen, weil sie uns nicht einleuchtet oder aus Trotz, einfach weil wir bockig sind.

Ein Beispiel dafür habe ich im Hamburger Abendblatt vom 22. August 2013 gelesen.
„Bei einem mündlichen Vokabeltest sieht sie, (die Lehrerin, die eigentlich eine Journalistin ist), wie eine Schülerin eine andere tritt. Sie stellt das Mädchen zur Rede. ‚Darf man andere treten?’, fragt sie. ‚Ja’, sagt das Mädchen. ‚Möchtest du, dass man dich tritt?’ Die Schülerin bejaht auch diese Frage mit einem fast schon belustigten Unterton. Reschke (die Lehrerin) ist am Ende. ‚Ich habe nichts in der Hand’, sagt sie im Off. ‚Ich fühle mich wie ein Versager. Und diese Kinder sind erst zwölf.’“

Hier scheint guter Rat teuer. Zumindest ist Nachdenken angesagt.

Ich hätte dem Mädchen am liebsten eine Backpfeife gegeben. Das wäre angemessen gewesen, jedenfalls nach den Spielregeln, die dieses Mädchen für sich in Anspruch nimmt. Als ich in die Schule ging, wäre wahrscheinlich genau das passiert, und niemand hätte etwas dabei gefunden, nicht mal meine Eltern. Einen Rüpel wollten sie nicht zum Sohn haben.

Heute geht das nicht. Das wäre Körperverletzung, und ich würde von der Schule fliegen, nicht das Mädchen. Verkehrte Welt? Nein, nur die Spielregeln stimmen nicht.

Das kleine Mädchen, das sich so unverschämt benommen hat, hat am wenigsten schuld, eigentlich überhaupt keine Schuld. Das Mädchen richtet sich nach den Spielregeln, mit denen es großgezogen – sozialisiert heißt das heute – wurde; es weiß es nicht besser und benimmt sich deshalb so schlecht.

Nein, schuld haben die Eltern und alle, die jedem jede Freiheit ohne irgendeine Rücksicht zugebilligt haben. Aus diesem Irrtum haben wir uns bisher nicht befreit. Das ist auch nicht einfach. Schlechte Gewohnheiten sind wie alle Gewohnheiten: hartnäckig, und es braucht viel Energie, um sie loszuwerden. Weil das so ist, will auch niemand so richtig an das Thema ran.

Falsch scheint mir jedenfalls zu sein, was in dem Abendblatt-Artikel „Wenn Lehrer überfordert sind“ als Problemlösung erwähnt wird. Da ist plötzlich von unterschiedlichem Lernniveau der Schüler die Rede, Klassenarbeiten müssten in zwei Fassungen geschrieben werden (um allen Schülern gerecht zu werden). Das alles dürfte ziemlich daneben sein.

Es geht hier nicht um Intelligenz, es geht um Erziehung und Anstand. Es geht um Spielregeln. Und diese Spielregeln gelten nicht nur für die eine verzogene Schülerin, die hier den Sündenbock abgibt, nicht nur für ihre Lehrer und ihre Schule. Diese Spielregeln gelten für alle.