Montag, Oktober 15, 2012

Ghostwriter's Nachtgedicht

Ich bin der Ober Flächlich, der Oberkellner

Ich serviere meinen Gästen schon seit über 30 Jahren.
Man liebt mich, obgleich ich oberflächlich bin.

Ich nehme jeden Auftrag gern entgegen und serviere,
jeder weiß es, was die Herrschaft wünscht.

Das Heiße kalt, das Kalte heiß noch einmal aufgekocht?
Ein jeder Wunsch ist mir Befehl.

Ich diene meinen Gästen schon seit über 30 Jahren.
Für meine Gäste ist mir alles recht.

Die Fliege in der Suppe ist ein alter Witz.
Den gibt es bei mir nicht.

Entscheidend ist der Schwindel in der Brühe.
Und den serviere ich. Die Brühe ist umsonst.

Gnä Frau, mein Herr, ich rate Ihnen nicht zu zögern.
Bestellen Sie, bevor die Küche schließt.

Nur dann genießen Sie, was Sie schon immer wollten:
Die kleinen Lügen mit den allerschönsten Folgen.

Natürlich hat dies süße Leben seinen Preis.
Den zahlt der Herr von Welt aus seiner Westentasche.

Das denkt der Herr von Welt und irrt.
Er zahlt mit einer peinlichen Erkenntnis:

Er fand die richtigen Worte nicht und gab den Auftrag,
sie zu suchen.  Der Diener fand sie, nicht der Herr.

Jetzt weiß der Herr, wie schwach er ist: Denn nur der
Diener hat die Kraft, die aus der Unwahrheit eine
Wahrheit schafft.

Anmerkung: Wenn Herr Grass seine letzten Ergüsse – siehe Hellmuth Karasek im Hamburger Abendblatt vom 13. Oktober 2012 – als Gedichte bezeichnet (schon seine Israel-Beschimpfung stolperte ungelenkt dahin und sollte doch ein Gedicht sein) – wenn das so ist, dann sind die paar Worte, die ich über den Ghostwriter verloren habe, allemal ein Gedicht.. Da will ich kein(en) Grass drüber wachsen lassen.

Wenn mir jemand sagt: „Ich verstehe nicht, was Sie da sagen wollen – Gedicht hin und her, was meinen Sie denn nun wirklich?“ Dann, ja dann, muss ich aus der Schule plaudern:

Ghostwriter wirken im Hintergrund. Sie legen ihren Auftraggebern die Worte in den Mund, die die Herren oder Damen nicht gefunden haben. Das hört sich gut an, und es liest sich auch gut. Eine feine Sache, aber nur so lange, wie alle den Mund halten, ihre Karten nicht auf den Tisch legen.

Im Allgemeinen ist das auch so. Man schreibt und schreibt und wird mehr für das Schweigen und weniger für das Schreiben bezahlt. Wie so vieles ist auch dies eine Frage des Geldes.