Mittwoch, Oktober 10, 2012

Die Reichensteuer - Fluch und Segen

Das Reizwort Reichensteuer hat wieder mal Hochkonjunktur. Alle hacken aufeinander ein. Die Reichen fühlen sich ungerecht hoch besteuert, den Armen kann die Steuer für die Reichen gar nicht hoch genug sein. Offensichtlich ein unüberbrückbarer Gegensatz. Deshalb wird so erbittert hin und her debattiert. Aber vielleicht gibt es einen Ausweg. Machen wir doch mal einen kleinen Gedankenausflug.

Bevor wir ihn beginnen, bevor wir den ersten Schritt tun, sollten wir uns die Stelle anschauen, von der aus wir uns auf den Weg machen wollen. Was sehen wir? Da hat doch jemand zwei Wörter in den Sand gemalt: Reichtum das eine, Armut das andere. Ein Gegensatz, so groß wie zum Beispiel rechts und links. Aber dieser Anfang sollte uns nicht entmutigen. Allerdings sollten wir uns Klarheit darüber verschaffen, was diese beiden Wörter wirklich bedeuten.

Wann ist man reich? Wann ist man arm? Hier geht es wohlbemerkt um die materiellen Inhalte der beiden Begriffe. Es gibt ja auch einen anderen Reichtum als den geldlichen, so wie es auch andere Armuten gibt, zum Beispiel die geistige.

Die Statistiker der EU haben recht genaue Vorstellungen von finanzieller Armut. Wer im Monat über 940,00 € verfügen kann, – das sind 60 % des durchschnittlichen Nettoeinkommens – wird als armutsgefährdet bezeichnet. Wer nur 50 %, also etwa 750,00 €, im Monat hat gilt als relativ einkommensarm – wobei ich das Relative hier nicht verstehe. Mit monatlich 600,00 € gilt man als arm. In der Schweiz wird anders gerechnet. Wer nach Bezahlung der Mietkosten einer zweckmäßigen Wohnung und der Krankenversicherungsprämie über etwa 822,00 €  verfügen kann, gilt dort als arm. Jetzt wissen wir wenigstens ungefähr, was unter arm zu verstehen ist.

Wie sieht es nun mit dem Reichtum aus? Wann ist man reich – was das verfügbare Geld angeht? Ganz allgemein könnten wir sagen, dass derjenige reich ist, der mehr hat, als er zum Leben braucht. So ungefähr würde das wohl ein Armer Mensch sehen, und es wäre gar nicht so einfach, ihm zu widersprechen.

Wenn wir auf die Armutszahlen zurückgreifen, könnten wir zu dem Ergebnis kommen, dass jeder reich ist, der im Monat über 1.500,00 € verfügen kann. Schließlich verfügt er über 900,00 € mehr als der nach Stastistikerberechnungen Arme. Aber reich ist man mit 1.500,00 E monatlich verfügbaren € wohl doch nicht.
Und selbst, wenn man jeden Monat davon etwas zurücklegen kann, reich wird man so kaum.

Was zu befürchten war: Es ist viel schwieriger zu sagen, wo Reichtum beginnt. Bei der Armut ist das, wie wir gesehen haben, viel einfacher. So bleibt uns wohl nichts Anderes übrig als zu raten, wir könnten auch sagen, zu spekulieren. Probieren wir es einfach mal.

Ist man mit 10.000,00 € im Monat reich? Oder liegt die Untergrenze eher bei 20.000,00 € pro Monat? Schwer zu sagen. Nur eins dürfte sicher sein: So viel zu  essen und zu trinken ist schlicht unmöglich. Eine hochanständige Wohnung, ein nicht allzu bescheidenes Auto, hübsche Urlaube und noch ein paar Annehmlichkeiten, alles das dürfte sich erübrigen lassen. Fängt hier der Reichtum an?

Seien wir nicht kleinlich. Erhöhen wir auf 40.000,00 € im Monat. Damit erreichen wir im Jahr fast eine halbe Million. Das sollte eigentlich reichen. Da dürfte der Reichtum anfangen, der Einkommensreichtum.

Vom ererbten Reichtum, dem Reichtum, der ohne jede Arbeit, ohne jede eigene Anstrengung den bereits Reichen zufließt, ist hier noch nicht einmal die Rede.

So schwierig es zu sagen ist, was Reichtum ist, zu einer gewissen nicht ganz
weltfremden Vorstellung sind wir gekommen.

Bevor wir uns nun dem Reizwort Reichensteurer zuwenden können, braucht es noch eine kleine Zwischenbetrachtung, die zugegebenermaßen mit Faustzahlen arbeitet.

Ein Jahreseinkommen von einer halben Million € ist zurzeit mit 43 % Einkommen-steuer belegt. Da gehen also schon mal 215.000,00 € an den Staat. Bleiben 285.000,00 €. Stimmt aber nicht. Die 43 % lassen sich durch Abschreibungen – das sind ganz legale Tricks – runterrechnen. Es bleibt also genug übrig, um sternenweit von der Armutsgrenze entfernt zu bleiben.

In aller Ruhe betrachtet: 50 % Einkommensteuer und der Fortfall der kaum noch überschaubaren Abschreibungsmöglichkeiten würde keinen Einkommensreichen an den Bettelstab bringen. Ganz im Gegenteil: Sie könnten sich als verantwortungs-bewusste Bürger sehen, könnten stolz darauf sein, wie viel sie zum Allgemeinwohl beitragen und würden so an einem Reichtum teilnehmen, der den Wert des Geldes weit übertrifft. Sie würden der Erkenntnis folgen, dass Geld nicht alles ist im Leben.

Das klingt verdächtig nach Nächstenliebe, mischt sich aber mit Eigenliebe. Unmut, Streit und ständige Spannungen zwischen Arm und Reich würden abnehmen, viel-
leicht sogar verschwinden. Wenn die Sache nicht einen Haken hätte.

Was wird der Staat, die jeweils amtierende Regierung (wir haben ja 17 Regierungen in Deutschland), mit den Mehreinnahmen machen? Wird das Geld wieder so ver-pulvert, wie es die Rechnungshöfe Jahr für Jahr notieren und beklagen? Schon diese Vermutung wäre für die Reichen ein verständlicher Wunsch, nein zu sagen. Verprassen können wir das Geld auch selbst.

Vielleicht macht der Staat aber auch etwas ganz Anderes. Vielleicht gibt er das Geld an die Bedürftigen weiter, holt sie so aus der Armutsgefährdung und sogar aus der Armut heraus. Bevor jetzt jemand begeistert in die Hände klatscht: Das wäre falsch.
Das wäre Umverteilung und würde das Problem nicht lösen. Und die Reichen hätten mit ihrem Misstrauen und ihrer Ablehnung Recht.

Es darf nicht darum gehen, einfach Geld zu verteilen. Es kommt darauf an, aus den Armen Bürger zu machen, die ihr gutes Einkommen haben. Das hätte einen nicht zu unterschätzenden Vorteil: Auch sie würden Steuern zahlen, was sie zurzeit nicht können, und niemand könnte sagen, dass sie den Reichen auf der Tasche liegen.

Das klingt so ein bisschen nach „fordern und fördern“, bedeutet aber etwas ganz anderes als diese zu kurz greifende Idee. Es geht darum, das Geld der Reichen in die Bildung zu stecken, in die Schulen, in bessere und mehr Lehrer, bessere Universi-täten oben drauf, in alles, was klüger und tüchtiger macht. Wenn wieder alle lesen und schreiben und rechnen können, hat sich das Reizwort Reichensteuer erledigt. Allen geht es besser. Auch den Reichen. Die können ihren wohlverdienten und angemessen besteuerten Reichtum in aller Ruhe genießen.

10. 10. 2012