Dienstag, Oktober 09, 2012

Kulturbeuteleien

Aller Anfang ist – leicht. Und wenn nicht, dann machen wir es uns leicht, so wie hier.
Fangen wir mal nicht dem Ergebnis an, sondern damit, wie man zu einem Ergebnis kommt. Schreiten wir sozusagen zur Tat und fangen mit kultivieren an, einem Verb, anders gesagt einem Tu- oder Tatwort.

Kultivieren heißt, etwas urbar machen. Ein Stück Land dem natürlichen Zustand entreißen. Kultivieren heißt, aus etwas Grobem etwas Feineres zu machen. Das gilt auch für Menschen. Wer kultiviert ist, hat bessere Manieren, weiß sich zu benehmen, hat Anstand usw. usw.

Dazu gehört nicht nur der Umgang mit anderen Menschen, sondern auch der Umgang mit sich selbst. Man will sich in seiner Haut wohl fühlen und möchte, dass auch die anderen einen „gut riechen“ können.

Natürlich muss man dafür etwas tun. Also ist Körperpflege angesagt. Eine selbstver-
ständliche und einfache Sache, wenn man zu Hause ist. Aber unterwegs? Da fehlt sogar in hochklassigen Hotels dies und jenes, das im eigenen Bad selbstverständlich ist. Denken Sie nur mal an Ihre Zahnpasta. Mit dem überall vorhandenen Fön kann ich mir nicht die Zähne putzen.

Für dieses Problem gibt es seit zig Jahren eine Lösung – den Kulturbeutel, auch Reisenecessaire genannt, was eigentlich zutreffender, aber leider ein Fremdwort und nicht so einfach auszusprechen ist.

Die Frage, was in einen Kulturbeutel hineingehört, kann hier nur oberflächlich beant-wortet werden. Da spielen viel zu viele ganz persönliche Ansichten und Bedürfnisse eine Rolle.

Die Zahnbürste. Die Zahnpasta. Ein Stück Seife oder die bevorzugte Waschlotion.
Eine Nagelschere und Nagelfeile, Ach, es gibt so vieles bis hin zum Lippenstift und Kondom. Erkenntnis: Den Inhalt des Kulturbeutels bestimmt jeder selbst. Schließ-
lich ist Kultur etwas ganz Persönliches.

Mit diesem Persönlichen komme ich endlich auf das Problem, das mich seit einiger Zeit beschäftigt. Es gibt so viele Kulturen, dass sie nicht alle in einen Beutel passen.
Das sollten wir uns jetzt mal genauer ansehen.

34 Kulturen habe ich hier notiert. Ob wir mal versuchen herauszufinden, welche „Kulturen“ wir wirklich brauchen und welche nicht. Vielleicht passt das, was übrig bleibt, in unseren Kulturbeutel.


1)    Sprachkultur
2)    Verdrängungskultur
3)    Streitkultur
4)    Trauerkultur
5)    Entlassungskultur
6)    Diskussionskultur
7)    Sterbekultur
8)    Brotkultur
9)    Gratiskultur
10)    Stillkultur
11)    Esskultur
12)    Verfassungskultur
13)    Einbürgerungskultur
14)    Lesekultur
15)    Rauchkultur
16)    Kommunikationskultur
17)    Debattenkultur
18)    Wirtschaftskultur
19)    Alltagskultur
20)    Fehlervermeidungskultur
21)    Baukultur
22)    Aktienkultur
23)    Konsenskultur 
24)    Schreibkultur
25)    Tarifkultur
      26) Kultur des Tricksens
27) Kultur der Zurückhaltung
28) Kultur des Zweifelns
      29) Kultur des Hinsehens
      30) Kultur des Respekts
      31) Kultur der Verschwendung
      32) Kultur von Stabilität
      33) Kultur des Weniger
      34) Kultur der Fakelaki


In vielen Fällen ist nur der Umgang mit irgendetwas gemeint. Zum Beispiel wie wir schreiben, was wir von der Verfassung unserer Republik halten, ob wir lesen können oder nicht – und wenn ja, wie. Legen die jungen Mütter ihr Kind an die Brust, oder geben sie ihm lieber die Flasche – kurz: wie gehen sie mit ihrem Kind um.

Die meisten dieser Kulturunwörter, wenn nicht alle, sind Ausdruck der Bequemlich-keit, der Denkfaulheit, oder – schlimmer noch – der Unfähigkeit, das richtige Wort zu finden.

Von der Verfeinerung, vom Ursprünglichen des Begriffs Kultur – keine Rede.