Donnerstag, Juni 25, 2009

Systemisch, verorten und - verstoffwechseln

Systemisch, verorten und - verstoffwechseln

Wahrig Deutsches Wörterbuch kennt weder „systemisch“ noch „verorten“. (Ausgabe 1986, jetzt 23 Jahre alt). Da ich keine neuere Ausgabe habe, halte ich mich an die alte, was nicht ganz ungefährlich ist und mir vielleicht berechtigte Vorwürfe einbringt. Das muss ich in Kauf nehmen.

Was mich ärgert und aufregt: Ganz plötzlich taucht ein Wörtchen wie „systemisch“ auf und ist auf einmal überall zu lesen und zu hören, ganz aktuell im Zusammenhang mit der so genannten Finanz- und Wirtschaftskrise. Vorher war gar nichts „systemisch“, jetzt auf einmal stellt selbst das popeligste, von seinem Management gegen die Wand gefahrene Unternehmen unser Wirtschaftssystem infrage. (Dieser Unsinn ist – systemisch!)

Beim „verorten“ ist es nicht so dramatisch, im Grunde genommen aber genau so schlimm: Sprachschluderei bis zur Unerträglichkeit. Und vor allem die Faulheit, die Sprachfaulheit!

Manchmal wird mit „verorten“ einordnen gemeint. Manchmal finden. Dann wieder

bestimmen. Auch entdecken oder festlegen. Das sind alles unterschiedliche Dinge, aber sie werden über einen Kamm geschoren: „verorten“. So wird unsere Sprache arm.

Klar, zum Leben der Sprache gehört auch das Sterben. Früher wichtige Begriffe verkümmern und gehen schließlich dahin, neue ersetzen sie.

Aber wenn ein Wort zig andere ersetzt, verdrängt, ins Abseits stellt und ausradiert, dann hat das mit Leben nichts zu tun. Dann regieren Faulheit, Oberflächlichkeit und Dummheit.

Wie nah Faulheit und Erfindungsreichtum beieinander liegen, zeigt das Wort „verstoffwechseln“ (Getränkeindustrie 6/2009).

Da hat ein findiger Kopf der Brauerei Göller ein alkoholfreies Getränk mit „ernäh-rungsphysiologischen Eigenschaften“ erfunden. Das Getränk enthält ein spezielles funktionelles Kohlenhydrat, das einzige, das „voll verstoffwechselt“ wird – sagt die Brauerei. Gemeint ist wohl, dass die Inhalte dieses Getränks ganz und gar in Energie umgesetzt werden. So eine Art Kraft durch Freude in flüssiger Form.

Vor allem aber haben wir mit „verstoffwechseln“ ein neues Wort, allerdings eins, bei dem einem schlecht wird, so schrecklich ist es, noch schlimmer als „verorten“. Auch von einem alkoholfreien Bier kann einem schlecht werden, sofern es verstoffwechel-fähig ist. Prost!