Montag, September 11, 2006

Kaum zu glauben

In diesen Tagen schrieb Herr Spreng in der Hamburger Abendblatt Kolumne
„Schlaglichter – Spreng & Jürgs“: „Wähler, glaubt uns nicht!“

Sollte ein Politiker erfahren wollen, weshalb Union und SPD mitsamt ihrer Großen Koalition „unten durch“ sind, sollte er diesen Beitrag lesen. Der beginnt mit einem Skandal, der an der veröffentlichten Meinung so gut wie nicht zur Kenntnis genommen worden ist.

Da besitzt Herr Müntefering die Chuzpke zu sagen, es sei unfair, die Politik der Großen Koalition danach zu beurteilen, was die Parteien im Wahlkampf versprochen hätten – und ist auch noch beleidigt, als ein paar Journalisten darüber lachen (hoffentlich war es ein Hohnlachen).

Deutlicher kann nicht gesagt werden, dass man Politikern nicht über den Weg trauen darf.

Geschwindelt wurde wohl schon immer in der Politik, und die raffiniertesten Schwindler dürfte man unter den Diplomaten finden. Über die Schwindeleien hinaus wurde auch ganz kräftig gelogen – allerorten. Aber die Lüge zum Prinzip erheben, und diejenigen, die den Lügen auf den Leim geben, auch noch die Schuld zuzuschieben, das ist der Gipfel – ein Politiker würde sagen: eine neue Qualität.

Wenn Herr Müntefering – stellvertretend für andere wie Frau Merkel, Frau Schmidt und die Herren Steinbrück, Seehofer, Stoiber etc. – nur den Parteien schadete, wäre es zwar schlimm genug; aber Parteien kommen und gehen, nur das Volk bleibt bestehen. (Kleine Anleihe, leicht abgewandelt, bei Generalissimus Stalin.)

Aber Herr Müntefering richtet ja viel mehr Schaden an. Er stellt die Demokratie infrage. Er macht sie zum Kasperletheater. Das kann auf die Dauer nicht gut gehen. Aber was ist schon „auf Dauer“? Eine Legislaturperiode nicht. Alle vier Jahre also eine neue Gelegenheit, alte Lügen neu aufzutischen. So lange, bis ein neuer Rattenfänger von Hameln mit seinem Schalmeienspiel wieder in die Katastrophe führt.

Nein, wenn es so weit nicht kommen soll, dann gehört Herrn Müntefering auf die Finger geklopft, und zwar sofort und kräftig. Das gilt auch für alle anderen, die ähnlichen Unsinn von sich geben.

Da schreibt sich die Presse zur Zeit die Finger wund über NATASCHA, das über Jahre in einer Kellerzelle eingesperrte Hascherl und nimmt das Wichtige nicht wichtig. NATASCHA trauert am Grab ihres Entführers. Und wo trauern die deutschen Medien? Es ist schon ein Trauerspiel, auch, was – weitgehend – die Presse angeht.

Beziehungs-Weise – leiser, aber inständig vor sich herzusingender Evergreen: Hermann Schreiber schreibt in seiner Kolumne „Ich sag’ mal“ im Hamburger Abendblatt vom 2. September einleitend von Beziehungen, die man haben musste und auch heute wohl haben sollte, um sich Vorteile zu verschaffen. Dann geht er gemeinerweise zur Einzahl über (Singularis, schreibt er), zur Beziehung.

Was heute – allgemein akzeptiert – Beziehung genannt wird, ist nichts anderes als ein Verhältnis, etwas, das immer etwas Unkorrektes an sich hatte, in der Regel außerehelich stattfand und verheimlicht wurde. Heute ist die Beziehung als limitierte Sexualpartnerschaft zum gesellschaftlichen, jedenfalls zum sprachlichen Standard geworden.

Hermann Schreiber findet das empörend, weil es nicht nur die Gefühlre der Menschen beleidigt, sondern ihr Zusammenleben auf Schnäppchenniveau herunter zerrt. Ich sehe das auch so.

Ich habe das nur notiert, weil in der Welt vom 8. September Andrea Seibel in ihrem „Porträt Frau Krise“, einem Beitrag zu Eva Hermans Eva-Buch, notiert: „Unsere Beziehungen zerbrechen immer schneller.“ Welches Wunder! Beziehung ist auf Zeit angelegt (siehe Hermann Schreiber).

Bei dieser Gelegenheit gleich noch eine meiner Sottisen, meiner Gemeinheiten: Andrea Seibel schreibt von einer neuen „Kultur der Mutterschaft“. Wie oft habe ich mich über den so bequemen Missbrauch des Wortes Kultur aufgeregt. Statt Kultur wäre hier das Wörtchen Auffassung angebracht gewesen.