Donnerstag, September 01, 2016

"Gesoffen und gefickt wird immer."

Das sagte ein Vater seinem Sohn, als der ihn fragte, wohin er sich beruflich orientieren solle. DIE ZEIT und DER SPIEGEL drücken sich nicht so gewöhnlich aus, wenn es um solche Dinge geht. Ich auch nicht. Was aber die beiden Blätter unter den Rubriken „Strafjustiz“, „Geschichte“ und „Feuilleton“ schreiben, lässt sich wirklich nicht kürzer, nicht besser als unter diesem Zitat zusammenfassen.

DIE ZEIT 34, 11. August, ab Seite 37: „Was hat dieser Mann getan?“ wird gefragt, und dann weiter: „Der amerikanische Internetaktivist Jacob Appelbaum soll in Berlin Mitstreiterinnen missbraucht haben.“

Der Anfang der Geschichte: „Das Jahr 2016 ist erst wenige Stunden alt, als die Orgie in der Berliner Altbauwohnung von Jacob Appelbaum am Prenzlauer Berg richtig losgeht. Im Wohnzimmer hat jemand das Sofa ausgeklappt, zwei Paare haben dort gleichzeitig Sex… Ein drittes Paar ist im Schlafzimmer zugange.“ Genug? Es geht noch weiter.

Als Appelbaum fragt, ob er eine Skulptur mit Blut beschmieren sollte, mit dem von jüdischen Aktivisten oder seinem eigenen, sagt eine Journalistin „oder mit Menstruationsblut“. Leider habe sie gerade ihre Tage nicht, fährt sie fort. Das sei doch in anderer Hinsicht vorteilhaft, findet Appelbaum und verschwindet mit ihr im Schlafzimmer. Dort liegt eine junge, bisher unbeteiligte Amerikanerin bereits im Bett. Die drei haben Sex miteinander. „Mit diesem Abend und zwei weiteren, die Appelbaum mit der Amerikanerin verbringt, ist sein gesellschaftlicher Untergang besiegelt. Auf einmal tauchen im Internet die abenteuerlichsten Geschichten auf: Appelbaum, das Sexmonster, der Vergewaltigern und was weiß ich. Appelbaum – Absturz aus dem Himmel in die Hölle, aus dem All ins Nichts. Es ist genau das, was er sich ausgesucht hat. Kein Mitgefühl daher, sondern nur Verwunderung, wie man ein solches Leben führen kann. Was fand DIE ZEIT daran so wichtig?

DIE ZEIT 36, 25. August, Seite 17: „Die Tage der Happy-Valley-Clique“. Ein Artikel von Felix Schürmann, Universität Kassel. Er lehrt und forscht dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Deshalb wohl hat DIE ZEIT seinen Betrag in die Rubrik „Geschichte“ eingeordnet. Für mich ist er genauso gut unter dem Stichwort Gesellschaft unterzubringen, so wie die Appelbaum-Geschichte.

In aller Kürze: Wer von Adel und Geldadel in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts in Großbritannien nicht Fuß fassen konnte, fand in der Kolonie Kenia das Paradies. Golf, Polo, Tennis… und wenn nicht das, dann Lunchparties und Großwildjagd.

„Mit der Dunkelheit beginnt die Zeit der Dinner- und Cocktailpartys, an die sich rauschhafte Bälle anschließen. Man nimmt Kokain so selbstverständlich wie anderswo Schnupftabak und ertrinkt förmlich in Champagner- 1926 leeren bei einer Dinnerparty des alteingesessenen Großgrundbesitzers Baron Delamere 250 Gäste zusammen 600 Flaschen.“ Vor allem aber schläft jeder mit jeder und umgekehrt. Und doch gibt es eine Art von Anstand. Die Bereitschaft, konsequent zu sein. „Auffallend viele haben sich selbst getötet. Alice de Janzé bittet in ihrem Abschiedsbrief um eine Cocktailparty an ihrem Grab, bevor sie sich erschießt.“

Wie lächerlich und unter jedem Niveau dagegen das Theater um Gina-Lisa Lohfink. DER SPIEGEL schreibt darüber in Ausgabe 34 vom 20. August mit der Überschrift „Alles Schweine“. Ist das Botoxlippen-Mädchen  vier SPIEGEL-Seiten wert? Das Mädchen ist offen-bar bettlägerig und hat daraus das Beste gemacht: eine Story Eine Story, die sich auch DER SPIEGEL  nicht verkneifen konnte.

Drei Geschichten und immer dieselbe: Ob Weiße, Schwarze, Rote oder Gelbe – sie alle wollen dasselbe. Die Mädchen und die Jungs.