Montag, August 29, 2016

Geschichten aus dem Morgenland


Eine Kindergeschichte für Erwachsene

Der Kalif von Ankara hieß Egowahn und war ein mächtiger Kalif. Er hatte sein Kalifat groß und stark gemacht, und den Menschen dort ging es von Jahr zu Jahr besser. Dafür waren sie ihm dankbar. Trotzdem sollte er gestürzt werden.

Die Soldaten, die das versuchten, hatten keinen Erfolg damit, und die meisten Bürger waren für ihren Kalifen. Der griff durch – mit eiserner Hand. Er steckte nicht nur Soldaten ins Gefängnis, sondern auch viele Bürger, denen er misstraute. Es sollen Abertausende gewesen sein.

Die Herrscher des Abendlands waren froh, dass der Umsturz nicht gelungen war. Sie wollten ja auch nicht gestürzt werden. Niemand trennt sich gern von der Macht. Da sind sich alle einig. Nicht allen gefiel es, wie der Kalif von Ankara dann mit seinen Leuten umging, die nicht mehr seine Leute waren. Aber niemand wollte sich einmischen. Dafür gab es gute und schlechte Gründe.

Der gute Grund: Niemand konnte Dichtung und Wahrheit, die der Kalif verbreitete, auseinanderhalten. Man wollte vermeiden, dass man befürchteten Ungerechtigkeiten im Kalifat noch eigene hinzufügte.

Der schlechte Grund: Die Herrscher des Abendlands hatten Angst vor den vielen Menschen, die aus ihren Ländern vor Krieg, Gewalt und Tod wegliefen und Schutz im Abendland suchten. Da haben sie mit dem Kalifen von Ankara ein schmutziges Geschäft abgeschlossen. Er hält ihnen die Schutzsuchenden vom Hals, und sie kaufen sich mit viel Geld frei von der Menschlichkeit. So sollte jeder seinen Vorteil haben.

Den Vorteil hatte aber nur der Kalif Egowahn. Er konnte die Herrscher des Abendlands erpressen. Er konnte ihnen vorschreiben, was er wollte, und sie mussten es tun, jedenfalls hatten sie das Gefühl. Sie hatten vergessen, dass man nicht nur dem Gefühl folgen soll, sondern auch dem Verstand. Der Mensch braucht beides. Das Eine wie das Andere ist den Herrschern des Abendlands abhanden gekommen.

Die Ankündigung, der Kalif werde mit einem Rat der Abendländer darüber reden, wie seine Bürger in den Gefängnissen behandelt werden, löst Freude und Zufriedenheit aus. Der Kalif ist zu Gesprächen bereit. Was er sagen wird, ahnt niemand. Vielleicht nicht das, was da Abendland erwartet. Aber die Vorfreude soll ja die schönste sein.

Es ist nicht leicht, sich gegen Erpresser zur Wehr zu setzen. Aber es ist möglich.