Dienstag, März 15, 2016

Lesen, lesen, lesen...

Lesen, lesen, lesen… und dabei reiche Ernte eingefahren. Das Schönste: Es gibt noch Menschen, die liebevoll und einfallsreich mit unserer Sprache umgehen. Dazu gehört Udo Lindenberg mit seiner Bemerkung „Wörter, die es nicht im Kaufhaus gibt.“ Dazu gehört auch Iris Radisch mit ihrem Text „Kullerrunde Freude“ im ZEIT REISEN-Magazin 12 2016 . Da schreibt sie einen zauberhaften Satz: „Das kleine Gedicht ist voller kullerrunder Freude…“. Sie meint das Kurt Tucholsky-Gedicht „Park Monceau“. Hier ist es:

„Hier ist es hübsch. Hier kann ich ruhig träumen. – Hier bin ich Mensch – und nicht nur Zivilist. – Hier darf ich links gehn. Unter grünen Bäumen – sagt keine Tafel, was verboten ist.

Ein dicker Kullerball liegt auf dem Rasen. – Ein Vogel zupft an einem hellen Blatt. – Ein kleiner Junge gräbt sich in der Nasen – und freut sich, wenn er was gefunden hat.

Es prüfen vier Amerikanerinnen, - ob Cook auch recht hat und hier Bäume stehn. – Paris von außen und Paris von innen. – sie sehen nichts und müssen alles sehn.

Die Kinder lärmen auf den bunten Steinen. – Die Sonne scheint und glitzert auf ein Haus. – Ich sitze still und lasse mich bescheinen – und ruh von meinem Vaterlande aus.“

Andere schöne Wörter, woanders aufgegabelt: Singsang-Serie, Plapperprogramm, laborkittel-ernst, himmelblau dumm, Hoolygänse.

Wie schrecklich dagegen das Imponier- und das Moraldeutsch und die lockere Sprache der Hallogesellschaft. (CICERO, Dezember 2015, „Aber hallo, das ist kein Thema“, Roland Kählbrandt).

Beispielhaft für Imponierdeutsch: Struktur, Vision, Mission, Potenzial – für Moraldeutsch: Studierende, Studierendenausweis, StudierendensprecherIn, Kursteilnehmende, Lehrende, Mitarbeitendenjahresendgespräch.

Und dann das Hallodeutsch. Du als Anrede anstelle des Sie. Und dann das Hallo. Das sagte man früher am Telefon, wenn man den anderen Teilnehmer plötzlich nicht mehr hörte und die Leitung vielleicht tot war. Oder man rief es, wenn man auf sich aufmerksam machen wollte – oder um in der Dunkelheit herauszufinden, ob da jemand sei.

Hallo heute: billiger Ersatz für Guten Morgen, Guten Tag, Guten Abend oder auch Ausdruck des Erstaunens „aber Hallo!“ Als Klassiker des Halllodeutsch gilt „Ich sag mal.“ Was anschließend kommt, ist nicht etwa eine Meinung, eine Feststellung, sondern nichts anderes als unverbindliches Geplappere: Ich denke, ich meine, es könnte sein, vielleicht, vielleicht aber auch nicht – usw. usw.

Gleich weiter im Text. Diesmal in Chrismon (Das evangelische Magazin), Ausgabe 03. 2016 mit der Kolumne „Erledigt“. Hier geht es um den unsinnigen Gebrauch von dürfen: „Die Arzthelferin sagt: ‚Sie dürfen ich jetzt hinlegen.‘ Die Seminarleiterin sagt: ‚Sie dürfen jetzt die Fenster schließen.‘

Die Schreiberin fragt zu recht: warum dürfen? Warum nicht ‚Bitte legen Sie sich hin!‘? Warum nicht ‚Bitte schließen Sie die Fenster.‘? Was soll dieses Drumrumgerede? Wenn etwas getan werden soll, warum wird dann gesagt, dass es getan werden darf? Eine berechtigte Frage.

Ach so, wer sich gestresst fühlt, soll (darf?!) umdenken. Daher weht der Wind. Also nicht mehr ‚Ich muss heute 13 Anrufe machen, ein Meeting überstehen, die Kollegin vertreten und bei Rewe an die Mülltüten denken‘, sondern ‚ich darf‘ das alles. Spätestens bei den Mülltüten kommt man sich ausgesprochen albern vor, nicht wahr? Lassen wir diesen Firlefanz, sprechen wir klar und deutlich!