Dienstag, März 15, 2016

Das Staatsatom

Vor fünf Jahren Fukushima, von dreißig Jahren Tschernobyl. Unsichere Atommeiler in Belgien und Frankreich, direkt an unserer Grenze, jenseits des Rheins, in Sichtweite. Das sind die, von denen wir wissen. Die Vermutung, es seien in Wirklichkeit sehr viele mehr, dürfte nicht abwegig sein. Da können die Atomenergieunternehmen sagen und schreiben, was sie wollen.

Ihnen geht es ums Geld. Jahrzehntelang floss es ihnen nur so zu. Jetzt versiegt der Strom. Und – schlimmer noch – allen graust vor den Abriss- und Entsorgungskosten, das Wort Endlagerung mag man schon gar nicht mehr in den Mund nehmen. Kein Wunder, dass die Unternehmen Himmel und Hölle – mehr geht nicht – in Bewegung setzen, um die gewaltigen Kosten von sich abzuwenden. Der Staat soll zahlen, also wir Bürger.

Weil zumindest wir Bürger das für unanständig und unzumutbar halten, sind wir auf die Atomindustrie alles andere als gut zu sprechen. Die haben jahrzehntelang kassiert, jetzt sollen sie mal zahlen, auf Heller und Pfennig, sprich Euro und Cent. Das ist doch zu verstehen, oder?

Ja, das ist zu verstehen, aber nicht ganz. Spätestens dann nicht, wenn man in WELT AM SONNTAG vom 6. März 2016 „Das Staats-ATOM“ gelesen hat. Da reibt man sich vor lauter kindlichem Staunen die Augen.

„Die Konzerne waren es eigentlich gar nicht, die die Atomkraft einführen wollten.“ Das waren andere wie zum Beispiel der Philosoph Ernst Bloch („Ikone der neomarxistischen Schule“). Er schrieb: ‚Wie die Kettenreaktionen auf der Sonne uns Wärme, Licht und Leben bringen, so schafft die Atomenergie aus Wüste Fruchtland, aus Eis Frühling. Einige hundert Pfund Uranium und Thorium würden reichen, die Sahara und die Wüste Gobi verschwinden zu lassen, Sibirien und Nordamerika, Grönland und die Antarktis zur Riviera verwandeln.‘ „

„Das war 1957, da regierte noch „Das Prinzip Hoffnung“, wie auch der Titel von Blochs Buch lautet, aus dem die Zeilen stammen.“

„Es war die Zeit, in der vor allem die damals oppositionelle Sozialdemokratie auf die Kern-energie setzte. Leo Brandt, technologiepolitischer Vordenker der Partei, bezeichnete die Atomkraft als ‚eines der kostbarsten Geschenke, das die Natur für den Menschen bereithält, mit dem man zum Beispiel die Kultivierung der Urwälder anpacken könne.“ Kurz und gut: Die Begeisterung kannte keine Grenzen.

Konrad Adenauer sah die Sache eher zurückhaltend. Er und Franz Josef Strauss waren mehr daran interessiert, sich mit der Atomenergie eine militärische Option offen zu halten. Grund genug für die Gründung eines Atomministeriums, erst unter Strauss, dann unter Siegfried Balke. Der propagierte: „Wer keine Atomkraft im Angebot hat, wird auch keine Staubsauger mehr verkaufen.“

Aus heutiger Sicht überraschend: Skeptisch waren die Energieversorgungs-unternehmen, darunter auch RWE. Sie wollten an das goldene Zeitalter nicht glauben.

Die Vorbehalte gegen die Kernspaltung richteten sich auf Atomwaffen. Die Wissenschaftler warnten vor nuklearer Aufrüstung, verlangten aber die friedliche Nutzung zu fördern – „mit allen Mitteln“.

Die Energiewirtschaft blieb skeptisch. Die Unternehmen hatten mehrere Gründe. Heinrich Schöller, Vorstandsmitglied bei RWE, warnte vor den Kosten für die Beseitigung des Atommülls, die er so hoch schätzte wie die Stromerzeugung selbst. Das wurde von der Wissenschaft weitgehend verdrängt.

„Der Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker meinte noch 1969, der ganze Abfall des Jahres 2000 werde in einen Kasten passen, und ab damit in ein Bergwerk – ‚Problem gelöst‘. Die AEG dagegen warnte, vor der ‚Illusion, dass der Bau von Atomkraftwerken  eine Art technischer Sonntagsspaziergang sei.‘

Die betroffenen Branchen waren skeptisch, ob die anvisierten Zuwachsraten beim Energieverbrauch – alle zwölf Jahre eine Verdoppelung – eintreten würden. Die damals beschworene ‚Energielücke‘ wurde von den EVU angezweifelt. ‚In den 50er und frühen 60er-Jahren fürchtete die Energiewirtschaft das noch nicht übersehbare Betriebsrisiko der Kernkraftwerke sowie die Konkurrenz dieser Technologie gegenüber den zahlreichen im Zuge des Wiederaufbaus neu errichteten Kohlekraftwerken‘, schreibt Radkau.“

Es ginge beim Werben (der Politik) nur um Exportbedürfnisse, von der Energiewirtschaft könne man daher keine Risikobeteiligung erwarten. Es wurde nicht einmal ausgeschlossen, dass der Atomstrom viermal so teuer wie der konventionelle werden könnte – so die Unternehmen. Nicht mal mit staatlichen Subventionen wollte man die neue Energiequelle entwickeln. Aber die Politik wollte es. Von den Kosten des Baus von Gundremmingen (erste Großanlage die gebaut wurde) musste die Betreibergesellschaft aus RWE und Bayernwerk nur ein Drittel übernehmen. Es wurde alles getan, bis hin zu Abnahmegarantien, um den EVU den Einstieg in die ungeliebte Technik zu finanzieren. Das Ergebnis über die Jahrzehnte hinweg: Die Atomindustrie scheffelte Milliarden, wehrte sich mit allen Mitteln gegen den nach Fukushima politisch in Gang gesetzen Ausstieg aus der Atomenergie und wies die Übernahme der Folgelasten einschließlich Endlagerung weit von sich. – Manchmal stehen die Dinge wirklich kopf.