Samstag, März 19, 2016

Ein großes Durcheinander

Die befürchteten Ergebnisse der Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt haben die Politik, haben die Politiker mächtig durcheinandergebracht. Jetzt sind sie ratlos, hilflos, kopflos und genau so dumm wie vorher.

Die AfD ist in allen drei Landesparlamenten vertreten. In Sachsen-Anhalt rangiert die AfD unter den Parteien an zweiter Stelle, in den beiden anderen Bundesländern kann sie sich ebenfalls sehen lassen. Überall bleibt die AfD in der Opposition, was zu den merkwürdigsten und vielleicht unglücklichen Koalitionen der anderen Parteien führen kann. Das ist zu befürchten. So viel zur Situation heute.

Wie konnte das alles passieren? Zunächst einmal: Es ist nicht passiert, die Partei-en, die Politiker haben sich das selbst und damit uns eingebrockt. Sie haben sich im Wesentlichen auf die Ausländer- und Flüchtlingshetze der AfD beschränkt. Oberflächlich betrachtet, war das verständlich. Aber es war zugleich auch beschränkt. Die Parteien reduzierten die AfD auf Fremdenhass. Und die AfD spielte dieses schmutzige Spiel ja auch tatsächlich in unerträglicher Weise.  Und doch war das nicht alles. Hinter der Entscheidung für die AfD steckte auch eine immer stärkere Unzufriedenheit mit der aktuellen Parteienpolitik, die sich immer mehr von den Menschen zu entfernen schien. Das jedenfalls war das Gefühl vieler Bürger.

Der entscheidende Fehler aber war, dass die Parteien immer nur Front gegen AfD machten, ohne eine eigene Position zu beziehen. Sie beschränkten sich auf ihren Anspruch, demokratische Parteien zu sein. Ein Allgemeinplatz, eine Selbstverständlichkeit. Kann jemand etwas damit anfangen? Macht das die Parteipositionen, ihre Ziele, klar? Nein. Das ist das aktuelle Übel.

Und das Pochen auf die gute Arbeit, die man doch geleistet hat, die Erfolge? Ehrlich gesagt: geschenkt, weil es schwer fällt, daran zu glauben.

Betrachten wir mal die SPD als Beispiel, stellvertretend für die anderen Parteien in der Großen Koalition: CDU und CSU. Sie, die SPD nimmt für sich in Anspruch, viel durchgesetzt zu haben.  Das kann ja nur die halbe Wahrheit sein, denn, was getan wurde, wurde mit der Union gemeinsam getan.

Sechs Bundesministerien werden von SPD-Mitgliedern geführt: Wirtschaft (Gabriel), das Auswärtige (Steinmeier), Justiz und Verbraucherschutz (Maas), Arbeit und Soziales (Nahles),Familie, Senioren, Frauen und Jugend – und die Männer? (Schwesig), Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (Hendricks). Und was haben sie als Juniorpartner in der Großen Koalition geleistet, welche Erfolge haben sie für ihre Wähler, für die SPD-Anhänger erzielt?

Wenn der Wirtschaftsminister sich für die TTIPP und die undurchsichtigen Verhandlungen dazu einsetzt – schafft das Vertrauen? Wenn die Reichen in Deutschland immer reicher werden und die Armen immer ärmer. Schafft das Vertrauen? Wenn Frauen immer noch 22 Prozent weniger verdienen als Männer bei gleicher Arbeit – schafft das Vertrauen? Wenn vielen Frauen, und nicht nur ihnen, die Altersarmut droht… Was sagen Frau Nahles und Frau Schwesig dazu? Welche Erfolge rechnen sie sich zu? Wer will Frau Hendricks Vertrauen schenken, wenn sie Belgien nur mit erhobenem Zeigefinger droht wegen des leichtfertigen Umgangs mit den Atommeilern dort. Sie kann nicht nach Belgien hineinregieren? Natürlich nicht. Aber sie könnte, sie müsste für Gesundheit und Leben der gefährdeten Bundesbürger energisch eintreten. Hat sie aber nicht.

Noch mehr Beispiele? Lieber nicht, die zu erwartende Litanei würde kein Ende nehmen.

Ganz schrecklich wird es, wenn wir uns dem Grundsätzlichen zuwenden, soweit es um die SPD geht. Sie ist die älteste deutsche Partei. Und sie war lange Zeit die fortschrittlichste und die mutigste, die einzige, die 1933 gegen das Ermächtigungsgesetz stimmte. Sie hat für den 8Stundentag gekämpft, den freien Sonnabend und und und. Sie hat sich für den „kleinen Mann“ eingesetzt, zu dem längst nicht mehr der Arbeiter allein gehört, sondern die Intelligenz.

Die SPD hat ihre Anhänger verraten. Und nun wundert sie sich, dass ihr die Leute weglaufen. Sie ist ein Schatten ihrer selbst. Und das Fatale: Sie hat sich das selbst zuzuschreiben. Sie ist ihrem Herrn Müntefering auf den Leim gegangen mit seinem flotten Spruch „Opposition ist Mist.“ Das mag so sein. Aber manchmal ist Opposition Pflicht. Dieses Pflichtbewusstsein ist der einst so stolzen Partei abhanden gekommen und das Ehrgefühl anscheinend gleich noch mit.

Während der Begriff Volkspartei immer auch und zuallererst mit Größe und Bedeutung in Verbindung gebracht wird, interpretiert Herr Gabriel, der SPD-Vorsitzende als eine Partei, die für das Volk da sei? Größe spielt auf einmal keine Rolle mehr.

Diese Ansicht teilt auch Frau Kraft, Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen. „Mit zehn Prozent kann man noch Volkspartei sein“ sagt sie über das schlechte Abschneiden der SPD in Sachsen-Anhalt. „Es geht darum, wie weit man die Interessen der Bevölkerung abdeckt“, fährt sie fort. Was soll man dazu sagen?