Samstag, November 27, 2010

Authentisch

Ich fange mal mit Sprachschnipseln an. Da wird die Frage aufgeworfen, wie man jemandem authentisch begegnen kann. Da fällt einem zunächst nichts ein, außer dass authentisch sich neuerdings zu einem Modewort mausert, das man gern benutzt. Da ist jemand authentisch, zum Beispiel. Auch hier bleibt authentisch rätselhaft, man weiß nicht so recht. Wenn wir stattdessen glaubwürdig sagen, wird auf einmal klar, was eigentlich gemeint ist. Warum nicht gleich zu Hause, im einfachsten Deutsch bleiben.

In diesem Zusammenhang fällt mir Heiner Geißler ein, der bei einem seiner Schlichtungsgespräche jemanden zur Ordnung rief. Indem er sagte, er verstünde wohl, was der Redner sagte, aber er solle doch bitte so sprechen, dass es jeder versteht.

Unsere Sprache hat einen Hang zu Bandwurmwörtern. Energieleitungsausbaugesetz gehört noch zu den kürzeren. Zerlegen wir das Wort, liest es sich so: Gesetz zum Ausbau der Energieleitungen. Geht vielleicht nicht so flott von der Zunge, klingt nicht so beeindruckend, dürfte aber klarer sein. Oder?

Zu den Wörtern, die ich nicht mag, gehört verorten. Es ist noch nicht lange her, dass es mir das erste Mal begegnete, jetzt springt es mir immer öfter entgegen. Ich finde es einfach schrecklich, wenn ein Mensch verortet wird. Das klingt so technisch und macht den Menschen zur Sache. Also, ich mag verorten nicht. Punkt!

Da ist das Wort bestandpunkten schön richtig komisch. Frau Merkel, wenn ich mich recht erinnere, hat da mal jemanden bestandpunktet. Wie sie das gemacht hat? Ich nehme an, sie hat festgestellt, welchen Standpunkt derjenige vertritt, den sie …
na ja, lassen wir das. Und noch so ein Unwort: vergemeinschaften. Wenn alle Geschäftspartner gemeinsam ein Risiko tragen sollen, dann wird das Risiko vergemeinschaftet – das ist wohl gemeint. Neue Wörter sind willkommen. Sie zeigen, dass unsere Sprache lebendig ist. Aber müssen es unbedingt so hässliche Ausgeburten sein?

Noch komischer wird es, wenn ein Sprachdilettant wie der Bundestagspräsident Norbert Lammert eine Mann des Wortes wie Martin Luther verbessern will. Wie einfach und kraftvoll spricht Martin Luther: „Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Unser täglich Brot gib uns heute…“

Und was hat Herr Lammert daraus gemacht? „Vater im Himmel, groß ist dein Name. Dein Reich kommt, wenn dein Wille geschieht auch auf Erden.“ Nein, das täglich Brot möchte Herr Lammert nicht und sagt: „Gib uns, war wir brauchen.“ Und in „Versuchung“ will sich Herr Lammert auch nicht „führen lassen“. „Mach uns frei, wenn es Zeit ist, von den Übeln dieser Welt.“ Wer soll das verstehen? (Gelesen im Hamburger Abendblatt, Karasek, im November.)