Freitag, Dezember 30, 2016

TV--Giganten

Wenn in unserer eiligen Zeit eine Zeitschrift 70 wird, dann darf sie bei ihrem Geburtstag schon mal über die Stränge schlagen. Das gilt auch für  die HÖRZU.

Wenn das Geburtstagsblatt seine eigenen Regeln aufstellt, ist das in Ordnung. „Unsere größten Stars“, so schreibt das Blatt,  sind die HÖRZU-Stars, aber nicht unbedingt meine. Das sollten wir uns ins Gedächtnis rufen, natürlich jeder für sich, also ich an dieser Stelle für mich.

Habe ich überhaupt Stars? Stars sind dazu da, angehimmelt zu werden, das sagt schon das Wort. Das mit dem Anhimmeln habe ich nie fertig gebracht, und das Wort „TV-Giganten“ wäre mir nie eingefallen. Ich lebe da bis heute ein paar Etagen unter HÖRZU-Niveau. Deshalb wird mir nichts anderes übrig bleiben, als die HÖRZU-Gigantenliste für mich neu zu sortieren.

HÖRZU eröffnet ihre Starparade mit Iris Berben. Und wirklich: Sie dürfte die jüngste, verführerischste ältere Fernsehdame sein. Das Foto lässt keinen Zweifel daran. So gemein, wie ich das schreibe, meine ich es nicht. Wirklich nicht!

„Ist Iris wirklich super?“ fragte HÖRZU 1971. Doch, ja, sage ich. Aber eine TV-Gigantin? Nee, das finde ich nicht. Mir fällt zu ihr nichts ein. Aber das liegt an mir, nicht an ihr.

Curd Jürgens und Lilli Palmer, die sagen mir was. Rudi Carrell, Heinz Rühmann, ja, Senta Berger, heute noch auf Achse. Günther Jauch? Ach, lieber nicht. Romy Schneider, nicht die Sissi, sondern „die Schneider“. Bewundernswert. Das „Schätzchen“ Uschi Glas – eine TV-Gigantin? Peter Alexander? Den habe ich falsch eingeschätzt. Erinnerungen und Respekt für Kuhlenkampf, Joachim Fuchsberger, Harald Juhnke und Ingrid Steeger – Ehrhardt, Frankenfeld, Loriot – fabelhaft! Otto (Waalkes): nicht mein Fall. Aber Hochachtung davor, wie er sein Ding durchzieht.

Was das Internationale angeht, wird es bei HÖRZU etwas dünn. Ein bisschen Michael Douglas, Steven Spielberg, Cate Blanchett, Gérard Depardieu, Robert de Niro…

Habe ich etwas vermisst? Oh ja. Die Ponderosa. Dr. Kimble auf der Flucht. Peter Falk, Columbo. Die viel zu kurze US-Serie „Dünner Mann“ mit dem hinreissend unauflöslich zerstrittenen, stets besoffenen Ehepaar und seinem verrückten Terrier. Das Eiskalte Händchen. Das und noch ein paar mehr waren die  TV-Giganten, hinter denen ich her war, und denen ich gern wieder begegnen würde.

Zum Schluss wechselt die HÖRZU-Geburtstagsausgabe zu etwas Boden-ständigerem, das mir mehr sagt. Drei Seiten gehören dem Karikaturisten Marunde. Der macht sich über sich selbst und uns lustig und meint das auch noch ernst.

Und dann Kurt Ard, „Der König der Cover“. Dieser Mann zeigte uns, wie wir wirklich sind: Liebenswert bis zur Unerträglichkeit. Welch eine Verführung! Jedes seiner Titelbilder hatte ich ins Herz geschlossen. Da sind sie heute noch, zum Beispiel "Suchkind 312".

Vorsicht oder Hysterie?

Beides ist manchmal kaum noch voneinander zu unterscheiden. Zwei Asylbewerber, Vater und Sohn, haben in Naunheim, Rheinland-Pfalz, ein Paket für Angela Merkel aufgegeben. Der Mitarbeiterin der Postagentur kam das verdächtig vor, sie alarmierte die Polizei.

Die Polizei untersuchte das Paket. Der Inhalt war harmlos: eine Skulptur, die der Vater gemacht hatte „als Dank dafür, dass wir hier sein dürfen“. Vater und Sohn mussten die Skulptur wieder mitnehmen. Sie möchten sie immer noch der Bundeskanzlerin schicken, wissen aber nicht, wie sie das machen sollen. Hätte da nicht jemand helfen können, die Polizei vielleicht, irgendeine andere Behörde oder die  Rhein-Zeitung, die darüber berichtet hatte? Frau Merkel hätte sich gewiss gefreut.

Notieren wir die Geschichte unter Vorsicht. Der Hintergrund aber ist die allgemeine hysterische Stimmung.

Mehr Videoüberwachung, am besten überall. Mehr Polizisten sowieso. Mehr Misstrauen. Nicht zu vergessen: mehr Poller, damit Autos und Lastwagen nicht mehr wie in Berlin durch Weihnachtsmärkte, Wochenmärkte und andere Menschenansammlungen fahren können.

Eine tolle Idee. Nur leider weit hinter dem Stand der Technik zurück. „Gefahr im Verzug“ schrieb DIE ZEIT Mitte Dezember: „Als Weihnachtsgeschenk machen Drohnen Spaß, als Flugobjekt werden sie zum Schrecken im Luftverkehr, als Waffen bedrohen sie die Sicherheit.“

Donnerwetter, ja: Wir brauchen Luftpoller. Dumm ist nur, dass noch niemand sie erfunden hat. Die russischen und amerikanischen Raketenabwehrsysteme wären rein theoretisch eine Lösung. Für Weihnachts- und Wochenmärkte sind sie ein paar Nummern zu groß.

Auf dem überdüngten Acker der Hysterie blüht wirklich jeder Unfug, einer der giftigsten von allen ist das Denunziantentum. Jeder verdächtigt jeden.  Aber das ist vielleicht zu hysterisch gedacht. Nein, ist es nicht! Wir dürfen uns nicht verrückt machen lassen.


Mittwoch, Dezember 28, 2016

Brauchen wir Visionen?

Brauchen wir Visionen, oder genügt Vernunft? Diese Frage ging mir dieser Tage durch den Kopf, und ich überlegte. Was sind Visionen? Wirre Gedanken, Hirngespinste, irgendwelche Ideen, die irgend-etwas mit der Zukunft zu tun haben? Ich habe mich dann entschlossen zu sagen: Visionen sind eine Vorstellung davon, wie unsere Welt, vielleicht auch nur Teile von ihr, wie unsere Welt sein sollte. Wunschdenken also.

Damit ist es natürlich so eine Sache. Eine Vision kann sich auch als Illusion herausstellen, ein Trugbild. Eine sichere Angelegenheit ist das also nicht. Da ist es vielleicht besser, sich auf die Seite der Vernunft zu schlagen.

Ich will nicht sagen, dass Visionen und Vernunft Gegensätze sind. Darum drehten sich meine Gedanken eine ganze Weile. Und dann habe ich mir gesagt: Die beiden gehören zusammen. Wir brauchen beides, um mit dem Leben fertig zu werden. Es geht also nicht um ein Entweder-Oder, sondern darum Visionen und Vernunft miteinander zu verbinden.

Wie es der Zufall will, und das Leben ist voller Zufälle, brachte der Deutschlandfunk am 24. Dezember ein Gespräch mit Heiner Geißler zum Thema „Ohne Utopie gibt es keinen Fortschritt.“ Ich denke, wir können die Begriffe Vision und Utopie als Ein-und-dasselbe betrachten. Wir können das eine Wort gegen das andere austauschen.

Heiner Geißler nennt das Evangelium, die Bergpredigt, eine Utopie, auch eine neuen Weltwirtschafts- und friedensordnung zählt er dazu, ebenso eine Gesell-schaft, in der die Frauen vollkommen gleichberechtigt sind. Er  fügt dem Begriff Utopie aber auch das Wort Entwurf zu. Nach meinem Verständnis meint er mit Entwurf, was ich in meiner Frage als Vernunft bezeichnet habe: die Überlegung, wie eine Vision, wie eine Utopie Wirklichkeit werden kann, welche Schritte dafür notwendig sind.

Heiner Geißler weiß, wovon er redet, hält die Dinge nicht in der Schwebe, im Ungewissen, sondern nennt in diesem Gespräch ein Beispiel für eine verwirklichte Utopie.

Zitat: „Auch nach dem Krieg zum Beispiel, die soziale Marktwirtschaft war natürlich zunächst mal eine utopische Vorstellung. Und trotzdem ist durch die Verbindung von Ethik, der katholischen Soziallehre, der evangelischen Sozialethik und dem Ordoliberalismus der Freiburger Schule etwas entstanden, was die alte soziale Frage, nämlich die Arbeiterfrage gelöst hat, zumindest bei uns in Deutschland.

Ohne solche Entwürfe und Konzepte gibt es keinen Fortschritt auf der Erde und deswegen braucht man ja auch für eine bessere Entwicklung gegen Bürgerkriege, gegen Ausbeutung, Gegenentwürfe zum kapitalistischen Wirtschaftssystem eben Vorstellungen, die kann man auch als Utopien bezeichnen, aber die man anstreben muss. Ohne solche Konzepte kann man gar keine Politik machen.“

Wer Heiner Geißler kennt, weiß, dass der Mann kein Blatt vor den Mund nimmt. Und so antwortet er auf die Frage nach den Utopien, die sich mit dem Weihnachtsfest verbinden, „dass der christliche Glaube nicht darin bestehen kann, dass man fromm ist, die Hände faltet und nach oben schaut und Posaune bläst und Lieder singt und den Leuten ein Sündenbewusstsein einhämmert.“

Man solle sich daran erinnern, dass Jesus auf der Seite der kleinen Leute stand und nicht nur Gottesliebe, sondern die Nächstenliebe gepredigt hat. Und deshalb sagt er, Zitat: „Und wenn das die Kirchen mehr in den Vordergrund schieben würden und Caritas und Diakonie nicht so die Unterabteilungen der Ordinariate, der Oberkirchenräte werden würden, sondern wieder die zentrale Botschaft des Evangeliums darstellen würden, dann wäre das eine große Hilfe.“

Und nun? Helfen wir mit der uns zur Verfügung stehenden Vernunft, die Visionen, die Utopien zu verwirklichen, die dem Wohlergehen aller Menschen dienen. Hüten wir uns davor, unsere Visionen, unsere Utopien zu Ideologien verkommen zu lassen.







Mittwoch, Dezember 21, 2016

Große Worte

Zuvor eine kleine Tat, die Großes bedeutet: ein polnischer Brauch. In Polen, so las ich heute, wird Weihnachten ein Gedeck mehr aufgelegt, als man Gäste erwartet. Damit gibt man zu verstehen, dass die Gastfreundschaft auch denen gilt, die noch keinen Platz gefunden haben: den Verlassenen,  den Einsamen, den Ármen. Das alles ohne große Worte.

Und nun: Große Worte: 12 Tote, 48 Verletzte, einige in Lebensgefahr. Gestern Abend fuhr ein LKW in den Weihnachtsmarkt bei der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin. Ein schreckliches Unglück? Eine sadistische Tat. Terror. Zurzeit spricht alles für diesen Wahn-sinn.

Wie es weitergeht, weiß zurzeit niemand. Werden die Täter gefasst? Und wenn es gelingt – was bedeutet das? Werden weitere Anschläge folgen? Das ist nicht auszuschließen. Es ist wahrscheinlich. Trotzdem ist auf Weihnachtsmärkten in verschiedenen Städten zu hören: „Jetzt gehen wir gerade hin.“ Das mag so dahingesagt klingen, aber es scheint mehr dahinter zu stecken – Entschlossenheit, sich vom Terror nicht klein kriegen zu lassen: Entschlossenheit der „kleinen Leute“. Das sollte ermutigen.

Die Rolle, die die Politik in diesem Drama spielt, ist eher entmutigend bis hin zur Verzweiflung über Dummheit und unerträglichen Zynismus.

Zugegeben: Die Rituale, denen die Politik folgt, werden erwartet und sind doch in ihrer Häufung und Gleichtönigkeit schwer zu ertragen. Die Gedanken aller Politiker sind bei den Opfern und ihren Angehörigen. Wirklich? Das Niederlegen von weißen Rosen am Tatort – zur Schau getragenes, weil erwartetes Mitgefühl, ein Ritual also – oder doch mehr? Alles das gehört sich so? Ja.  Alles andere wäre kaltherzig. Und doch bleibt es unbefriedigend. Es ist wie ein Theaterstück, das im Augenblick ans Herz greift und eben doch nur Theater ist.

Aber nicht alles ist Theater. Was ein Herr Seehofer treibt, ist kein Theater, sondern Zynismus. Der Herr zeigt auf Frau Merkel und sagt, dass sie an der Terroraktion in Berlin schuld sei. Herr Seehofer will – nicht anders ist er zu verstehen – die absolute Mehrheit der CSU erhalten. Politik der billigsten Sorte – menschenverachtend, eben zynisch. Die innige Verwandtschaft mit der AfD, die nicht aus der Welt gegriffene Nähe zu den Identitären alles scheint Herrn Seehofer recht zu sein.

Große Worte auch von den Medien, großes Gehabe. Frau Slonka im heuteJournal am 19. Dezember: Anderthalb Stunden Weihnachtsmarkt-katastrophe in Berlin, ohne dass irgendetwas klar war. Zig Wiederholungen von nichtssagenden Interviews, weil die Interviewten einfach nichts wussten, nichts wissen konnten. Zig Fragen, auf die es keine Antwort geben konnte. Die dauernd wiederholte Anmerkung, man wisse natürlich noch gar nicht, ob es sich um eine Terroraktion oder einen Unfall handle. Eine unglaubliche Sendung. Die Terroraktion in Nizza am französischen Nationalfeiertag mit etwa 80 Toten, war den deutschen Fernsehsendern nur wenige Minuten wert.

Und dann diese Floskeln: „Nicht alle (Flüchtlinge) unter Generalverdacht stellen.“ Schon diese dümmliche Formulierung! Entweder: „Flüchtlinge nicht unter Generalverdacht stellen“ oder – besser: „Nicht alle Flüchtlinge unter Verdacht stellen“, oder – einfacher noch – „nicht alle Flüchtlinge verdächtigen“.  Kleinkariert? Aber nein. Wer alle unter Generalverdacht stellt, reitet einen weißen Schimmel.

Trauer und Schock seien intim, war zu lesen. Dabei ging es um Trauerrituale der Politik und den nicht feststellbaren Schock der Nation in aller Öffentlichkeit. Von Intimität kann nicht die Rede sein.

Auch die Werte, die auf den Weihnachtsmärkten für Weihnachten stehen, mussten in den Nachrichten herhalten. Genauer wurden diese Werte nicht definiert. Sind unsere Weihnachtsmärkte wirklich so abendländisch-christlich wertvoll? Sind sie vielleicht nicht auch schon unserer Shopping- und Vergnügungsleidenschaft zum Opfer gefallen?


Zum Schluss noch ganz kurz die Maybritt Illner-Talkshow am 20. Dezember. Thema: Terroraktion 19. Dezember in Berlin. Frau Künast, die GRÜNEN, Herr Laschek, CDU NRW, Herr Schulz, Bund deutscher Kriminalbeamter, Frau Maggie Schaun, Psychologin an der Uni Konstanz, Peter Neumann, Terrorismus-Experte. Es ist immer wieder erstaunlich, wie viel die Talker über Dinge sagen können, von denen sie genau so wenig wissen wie die Fernsehzuschauer. 

Montag, Dezember 19, 2016

In der Falle

Regelmäßige SPRACHLOS-Leser werden sich beim Thema „Ins Netz gegangen“ gefragt haben, wie wird es weitergehen? Wenn Erich Kästner zu Hilfe gerufen wird, muss die Not schon groß sein. Ist sie auch.

Mit „gesundem Misstrauen“ sollte man sich durch das Internet bewegen – darauf lief die Empfehlung hinaus. Dann wäre schon viel gewonnen.

Das „gesunde Misstrauen“ würde Herr Kästner, der nachdrücklich nach dem Positiven fragte, nicht gerade positiv finden. Er würde  die Stirn runzeln und fra-gen: „Wirklich? Glauben Sie das wirklich? Denken Sie doch mal an den ‚gesunden Menschenverstand‘, würde er sagen und uns damit in Verlegenheit bringen.

Stimmt. Wir reden immer und immer wieder vom „gesunden Menschen-verstand“. Aber wenn wir ihn erklären sollen, fällt uns nichts Vernünftiges ein. Sollte es ihn vielleicht gar nicht geben? Dann wäre es beim „gesunden Miss-trauen“ nicht anders.

Also: Den „gesunden Menschenverstand“ gibt es wirklich. Allerdings ist er eine Mogelpackung. Was darauf als „gesunder Menschverstand“ bezeichnet wird, als etwas Allgemeingültiges, ist nichts anderes als eine persönliche Meinung. Die ist zu respektieren. Zum gesunden Menschenverstand wird sie dadurch nicht.

Dass persönliche Meinungen sich zu Massenmeinungen verbünden, widerspricht dieser Feststellung nicht. Pegida, Identitäre Bewegung, AfD, alle anderen Ideo-logien eingeschlossen, haben mit „gesundem Menschenverstand“ so gut wie nichts zu tun, mit Menschlichkeit und Verständnis füreinander sowieso nicht.


Lieber Dr. Erich Kästner, zufrieden? Wie sagten Sie? „Es gibt nichts Gutes, es sein denn, man tut es.“ Am besten versuchen wir es immer wieder aufs Neue. Einverstanden?

Ins Netz gegangen

Nicht nur Spinnen weben ihre Netze. Wir machen das auch, siehe Internet. Das Dumme ist nur: Wir verfangen uns in den Netzen, die wir spinnen. (Das passiert den Spinnen nie.) Wir sind unser eigenes Opfer.

Das Internet: Möglichkeiten über Möglichkeiten. Jeder kann alles -  alles lesen, alles erfahren, an allem teilnehmen. Die Begeisterung: grenzenlos. Und dann die Falle: Jeder kann mitmachen. So war das erwünscht, erhofft, gewollt.

Und jetzt? Alles ist außer Rand und Band, außer Kontrolle. „Die Geister, die ich rief…“ Goethe hatte schon recht, wir werden sie nicht wieder los.

Wer immer etwas sagen will, kann es tun, und er macht es auch. Was ist schlimm daran? War das nicht immer so? Ja, so war es immer. Es beschränkte sich nur auf die Kneipe, den Stammtisch, wo man die Sau raus ließ.  Am nächsten Morgen rückte man die Dinge wieder gerade, und alles war wieder gut. Das ist im Internet anders.

Im Internet endet die Pöbelei nie. Halbwahrheiten,   Lügen, Verleumdungen, verbreiten sich unaufhaltsam überall hin und sind nicht aufzuhalten. Verbieten, bestrafen? Geht nicht. Einfach alles hinnehmen? Geht auch nicht. Dann wären wir mit dem Missbrauch des Internets einverstanden.

Was nun? Was tun? Jeder muss die Sache für sich selbst regeln – und damit für alle anderen. Bewaffnen wir uns mit „gesundem Misstrauen“! Überlegen wir: Ist das glaubwürdig? Glaube ich das vielleicht nur, weil es meiner Auffassung ent-spricht, möglicherweise aber nicht den Tatsachen? Zum „gesunden Misstrauen“ gehört auch eine gute Portion Selbstkritik, nicht ganz einfach, aber möglich.


So traurig es ist: Die Unendlichkeit des Internets hat uns ganz ohne Absicht in ein Zeitalter des Misstrauens geführt. Das ist nicht besonders schön. Ständiges Misstrauen vergiftet unsere Welt. Spätestens hier würde Erich Kästner fragen: „Wo bleibt das Positive?“ Aber das ist ein anderes Thema.

Deutsche Überheblichkeit

Eine junge Frau, eine 19-jährige Studentin, wird in Freiburg vergewaltigt und ermordet. Der Täter: Ein junger Afghane. So ist es nach seinen Angaben zu vermuten. Er hatte schon in Griechenland eine junge Frau überfallen. Sie überlebte schwerverletzt. Er wurde gefasst, wanderte ins Gefängnis und wurde im Rahmen einer Amnestie sehr bald freigelassen. Dann verschwand er von der Bildfläche und tauchte hier auf. Die griechischen Behörden haben in diesem Fall Fehler gemacht, so sieht es jedenfalls aus.

Wie aber kommt unser Innenminister, Herr de Maizière, dazu, der griechischen Regierung Vorwürfe zu machen? Wie kommt er dazu, sie anzuklagen? Mit welcher Berechtigung?

Wir machen solche Fehler nicht? Herr Minister, Sie sollten sich schämen! Erinnern Sie sich bitte an die unselige und immer noch nicht ausgestandene NSU-Katastrophe! Und bitte, spielen Sie sich nicht als Zuchtmeister Europas auf!

  

Vorsorge. Fürsorge

In der Ferne grummelt bereits der Bundestagswahlkampf 2017. Die Parteien arbeiten an ihren Programmen, feilen daran, wie sie ihre Angebote ihrem „Souverän“, den Bürgerinnen und Bürgern schmackhaft machen können. Da kommt es auf jedes Wort an. Worte sind Waffen. Worte wirken Wunder. Worte sind Wunderwaffen.

Sicherlich ist allen Parteien jede nur denkbare Unterstützung wichtig. Schließlich muss man nicht alles selbst machen, ganz besonders dann, wenn andere es besser können, wie der folgende Slogan zeigt.

„Wir sorgen für die Reichen. Die Armen haben schon ihre Sorgen.“   


Starker Tobak? Ja, gewiss. Aber wer das sagt, kann allen anderen Parteien etwas husten. Bundestagswahlkampf 2017? Bloß nicht zimperlich sein! Es ist ja ein bisschen wie im Karneval: Am Aschermittwoch – pardon – nach der Wahl ist alles vorbei. 

Verehrung anstelle eines Nachrufs

Verehrte gnädige Frau, liebe Frau Hamm-Brücher, so hätte ich die Dame angesprochen, wenn sie nicht vor wenigen Tagen gestorben wäre, am 7. Dezember, mit 95 Jahren. Aber ich hatte keine Gelegenheit dazu, auch keinen Anlass.

Frau Hamm-Brücher habe ich als Politikerin im Gedächtnis, die nicht nur eine Meinung hatte, sondern auch zu ihrer Meinung stand – selbst wenn sie und ihre Partei nicht über-einstimmten. Eigentlich war sie keine Parteifrau, sondern eine Frau, die Partei ergriff für das, was ihr am Herzen lag.

Sie war aber Parteifrau genug, um sich von der FDP ausnutzen, benutzen zu lassen. 1994 wurde sie zur Bundespräsidentenwahl nominiert und zum Schluss von ihrer Partei schmäh-lich in Stich gelassen – verraten.

Die Nachrufe überbieten sich gegenseitig, so wie es sich gehört. Alles und Jedes von ihr und über sie wird ausgebreitet, so oft, dass es langweilig wirkt. Dabei ist das, was diese Dame auszeichnet, in wenigen Worten festgehalten, die Sie 1982 im Bundestag zum Kanzlerwechsel Helmut Schmidt / Kohle äußerte:

 "Ich finde, dass beide das nicht verdient haben: Helmut Schmidt, ohne Wählervotum gestürzt zu werden, und Sie, Helmut Kohl, ohne Wählervotum zur Kanzlerschaft zu gelangen. Zweifellos sind die beiden sich bedingenden Vorgänge verfassungskonform. Aber sie haben nach meinem Empfinden doch das Odium des verletzten demokratischen Anstands."


Dem ist nichts hinzuzufügen. Dieser Anstand ist mit HildegardHamm-Brücher endgültig zu Grabe getragen worden.

Kolonialwaren und die Abschaffung der Jahreszeiten

Als ich ein kleiner Junge war, hatte Deutschland schon lange keine Kolonien  mehr, aber Kolonialwarengeschäfte gab es immer noch. Natürlich gab es die nicht an jeder Straßenecke. Sie waren etwas Besonderes. Nicht nur ihre Inhaber waren davon überzeugt. Kunden, die nicht auf den Pfennig achten mussten, sahen das auch so. Dort konnte eben nicht jeder kaufen.

Ich erinnere mich daran, dass es an der Kreuzung Kommandantenstraße / Weddingenweg in Berlin-Lichterfelde-West eine Bäckerei gab, ein Milchgeschäft, eine Fleischerei, ein von alten Damen betriebenes Schreibwarengeschäft und eben den Kolonialwarenhandel Behrendt. Der lag schräg gegenüber der Kommandantenstraße 88.

Ich kann mich nicht daran erinnern, was an dem Angebot kolonial war. Waren es nur Bananen? Im Zweifelsfall hätte das genügt.

Kleine Abschweifung – ich bitte um Vergebung: Das kleine Schreibwarengeschäft der alten Damen lief hervorragend. Nur ein paar Schritte über die Kreuzung hinweg befand sich die 13. Volksschule. Das erklärt alles.

Die beiden alten Damen haben vor Jahrzehnten das Zeitliche gesegnet. Das Kolonialwarengeschäft gibt es nicht mehr. Die Bäckerei? Und das Milchgeschäft? Vergangenheit!

Das ist der Lauf der Zeit? Ja, sicherlich. Fragt sich nur, ob wirklich alles unter die Räder kommen muss. Im Kolonialwarenschäft Kommandantenstraße / Weddingenweg kannte man die Jahreszeiten.  Spargel zu Pfingsten, die ersten Erdbeeren, der erste zarte Salat – je weiter das Jahr fortschritt, desto mehr war im Angebot. Frühling, Sommer, Herbst, jede Zeit gab ihr Bestes. Und für den Winter musste man vorsorgen. Es gab noch die vier Jahreszeiten, und jeder kannte sie.


Und heute? Erdbeeren zu Weihnachten, im Januar Spargel aus beheizten Beeten. Die Jahreszeiten: abgeschafft. Vorfreude: abgeschafft. Das ist die neue Armut, die wir für Reichtum halten.

Dienstag, Dezember 13, 2016

Grundsätzlich und ein Stück weit

Immer, wenn es ums Grundsätzliche geht, wird es schwierig. Deshalb wird um das Grundsätzliche auch grundsätzlich herumgesprochen.

Wenn gesagt wird, man sei grundsätzlich der Meinung seines Gesprächspartners, dann dämmert jedem, dass das nicht gemeint ist. Im Grundsätzlichen stecken zu viele „aber“, die nicht genannt werden. Was wie Zustimmung klingt, ist in Wirklichkeit Ablehnung. Das sind die Feinheiten unserer Sprache.

Wie überall im Leben geht es auch in der Sprache nicht immer fein zu, eher grob,
wenn wir daran denken, wie die „highbrowed people“ unserer Gesellschaft - Politiker und Manager - so sprechen und schreiben. Sie schlagen unsere Sprache in Stücke und setzen sie nicht wieder zusammen.

Tut mir leid. Als Beispiel für viele muss unsere Bundeskanzlerin Angelika Merkel herhalten. Ich kann nichts dafür, sie aber wohl.

In Ihrer aktuellen Parteitagsrede in Essen sagte sie: „Wir müssen ein Stück weit Flagge zeigen.“ Ein Stück weit? Welches Stück von welcher Flagge. Nehmen wir unsere Nationalflagge: Ein Stückchen Schwarz oder ein Stückchen Rot oder ein Stückchen Gold? Wir werden mit den Stückchen nicht weit kommen. Wir brauchen alles, das Ganze. Das hat Frau Merkel übersehen. Oder hat ihr „das Stück weit“ einer ihrer Ghostwriter vor-geschrieben? Das Eine wäre so schlimm wie das Andere.


So viel zur Sprache. Und nun zur Politik: „Ein Stück weit Flagge zeigen“ – also nur ein bisschen, ein Zipfelchen, bloß nicht zu viel? Jemand könnte erschrecken, vielleicht sogar verschnupft sein und übelnehmen. So macht man aus einem Standpunkt ein Standpünktchen. Das hat einen Vorteil: Man nimmt das Pünktchen nicht ernst.

Eine Standpauke

Jemandem eine Standpaukte halten – das klingt so lutherisch kräftig und zeigt, wie schön unsere Sprache ist. Wir sagen jemandem unüberhörbar, was wir von seinem Tun halten, so unüberhörbar wie die Standpauke eben ist. Sie ist die größte und lauteste aller Pauken und man muss sie kräftig schlagen. Das tun wir, wenn wir eine Standpauke halten.

Natürlich ist nicht die Lautstärke allein entscheidend. Es kommt auch auf die Form am. Uns so sollte es nicht überraschen, wenn eine Standpauke auch wie eine Bitte, fast wie ein Gebet daherkommen kann:

„Bittgespräch eines Protestanten

Verehrter Dr. Martin Luther,
der du bist im Himmel, und
Meister des einfachen Wortes,
erbarme dich unser!

Fahre wie ein Blitz aus dem
Reich des verständlichen Wortes
und tilge die Übel, die überhand
nehmen.

Stopfe den Möchtegernen gründlich
das Maul: Denjenigen, die aus der
einfachsten Technik eine Technologie
machen. Denen, die keinen Anstand
verlangen, sondern eine Anstands-
kultur und alle möglichen Kulturen
darüber hinaus.

Treibe ihnen die Vergötterung des
Englischen aus; denn es schreit wirklich
zum Himmel.

Mit Public Viewing – der öffentlichen
Aufbahrung eines Toten, so weit das
Englische – bezeichnen sie hier eine
Fernsehübertragung auf Riesenbild-
schirmen im Freien. (Ich weiß, das
gab es damals auf der Wartburg und
in Worms noch nicht.)

Ob du es auch fertigbringst, den Wort-
verdrehern, den kleinen und großen
Schwindlern, das Mundwerk zu verbieten?
Sie machen aus der Rüstungsindustrie eine
Verteidigungsindustrie, sie sprechen von
vorläufiger Endlagerung, und sagen nicht,
was sie meinen: die endliche Vorläufigkeit
oder die vorläufige Endlichkeit?

Bitte verbinde denen die Augen, die in
Bildern sprechen möchten und es nicht
können. So ersparst du uns, dass „Droh-
kulissen erhöht“ werden, niemand mehr
„die Summen nach oben deckelt“ (wie
deckelt man sie nach unten?), und dann
müssten wir auch nicht mehr lesen, dass
„Der Schutzschirm bei weitem noch nicht
ausgeschöpft ist“.

Und schließlich: Rufe die zur Ordnung, die
jeder Mode hinterher rennen. Bis vor drei
Jahren konzentrierte man sich auf irgendetwas,
heute fokussiert man sich. Überhaupt wird
alles und jedes in den Focus gestellt.

Wenn du ein Zauberer wärst, würde ich dich
bitten, das Wort Focus jedes Mal in Lokus zu
verwandeln. Das würde helfen.

Aber du bist Dr. Martin Luther, und du bist
weit weg. Trotzdem bitte ich dich um Hilfe.
Vielleicht nützt es.“


Dieses Bittgespräch wurde schon 2010 notiert. Es ist so aktuell wie vor 6 Jahren. Nein, es ist noch aktueller: In wenigen Wochen beginnt das Luther-Jahr 2017. Luther hat uns gutes Deutsch beigebracht. Es wird Zeit, dass wir uns daran erinnern.

Voll kanalisiert

Eigentlich ist das Wörtchen Kanal recht schmucklos und deshalb unauffällig. Trotzdem: Es verleiht der Fantasie Flügel und entführt uns in die weite Welt.

Da wäre beispielsweise der Nord-Ostsee-Kanal. Der ist zwar nicht so weit weg, aber doch eine Erwähnung wert. Ursprünglich hieß er Kaiser-Wilhelm-Kanal, obwohl unser Kaiser dafür keinen Finger krumm gemacht hat. Aber Kaiser-Wilhelm-Kanal klingt doch nach was – oder?

Der Lübeck-Elbe Kanal wäre besser nicht zu erwähnen. Er ist so nutzlos, weil unbenutzt, so  wie der Main-Donau-Kanal auch. Aber die beiden sind nun mal da.

Machen wir einen großen Sprung - zum Suez-Kanal. Wenn das kein Kanal ist! Da ist immer was los, manchmal sogar ein Krieg. Und dann erst der Panama-Kanal. Ach, wie schön ist Panama. Was da alles fließt. Nicht nur Wasser, sondern vor allem Geld. Das kommt aus der ganzen Welt hierher und verwandelt sich von Pfund, Dollar, Euro usw. in Schwarzgeld. Die Welt scheint den Kanal in dieser Hinsicht nicht voll zu bekommen.

So viel Realismus – und die Intelligenz schweigt? Nein, i bewahre! Die Intelligentia meldet sich klar und deutlich zu Wort. „Folgen Sie uns auch auf unseren sozialen Kanälen“ lädt die ZDF-Sendung „Frontal 21“ ein. Facebook, Twitter, Instagramm etc. werden damit gemeint sein.

Sind das soziale Kanäle? So schmutzig das klingt: Die Kanalisation, die Hamburg Ende des 19. Jahrhunderts nach der Choleraepidemie baute – die war ein sozialer Kanal: die Fäkalien flossen nicht mehr in die Elbe, aus der auch das Trinkwasser geschöpft wurde. Gesundheit kehrte zurück.

Die sozialen Kanäle stellen alles auf den Kopf. Alle nur denkbaren Gemeinheiten, Lügen und Verleumdungen werden verbreitet und machen uns krank. Niemand weiß mehr, was wahr ist und was nicht.


Wen wundert es, wenn es heißt: „Ich habe den Kanal voll!“