Sonntag, November 27, 2016

Kampf gegen Populismus

Das neue Selbstbewusstsein der EU“. So titelt SPIEGEL ONLINE heute in der Rubrik „Topmeldungen“. Außer der Empörung des belgischen Europaparlament-Abgeordneten  Guy Verhofstadt kommt da aber nicht viel: ein bisschen Gesäusel.

Um was, genauer, um wen geht es? Es geht um die Populisten Marine Le Pen, Geert Wilders, Frau Petry, AfD, Herrn Orban, Herrn Kaczyński usw. – alles Rechte, Rechtsaußen. Von linken Populisten ist zurzeit nicht die Rede. Das ist deshalb erstaunlich, weil Populismus ja nicht zwangsläufig rechtsorientiert ist. Das geht auch links, wie wir wissen.

Auf jeden Fall macht die EU jetzt gegen „den“ Populismus mobil. Da werden kühne Reden geschwungen, wie man gegen diesen Populismus vorgehen muss. Da wird  so viel geredet. Das viele Gerede wird für ein neues  Selbstbewusstsein. Dabei ist es nichts anderes als das Pfeifen im dunklen Wald: die reine Angst.

Das Dumme ist nur, alles vor sich hin pfeifen, alles Gerede wird nicht nützen. Und warum? Weil nur geredet wird. Die Populisten handeln. Allein ihre Existenz ist eine Tat. Klar, dann reden sie auch. Aber erst handeln sie. Wie wir wissen, ist mit guten Worten gegen schlechte Taten nichts auszurichten. Man muss selbst etwas tun.


Und was könnte man gegen den Populismus tun? Die Augen aufmachen, die Ohren auch. Sich  nicht in Parteischützengräben verschanzen. Farbe bekennen. Nicht nur sagen, was man will, sondern auch das, was man kann. Und erklären, warum es oft nicht mehr sein kann. Eine klare Sprache sprechen, so dass jeder alles versteht. So einfach ist das und so schwierig zugleich.

Dienstag, November 15, 2016

Anfang und Ende

„Und die Erde war wüst und leer, und es war finster auf der Tiefe…“.* So, glauben wir, war der Anfang. So, wissen wir, wird das Ende sein. Das Eine wie das Andere? Ja, es gibt keinen Unterschied. Am Ende wir die Erde so sein, wie sie am Anfang war: wüst und leer und finster.

Das hat nichts mit glauben zu tun, sondern mit wissen. Am 8. August 2016 war „World Overshooting Day“, der Tag, an dem wir unser Konto überzogen hatten. Alles danach, vom 9. August bis zum 31. Dezember, haben wir uns gepumpt. Und der Scheck, den wir zücken, ist ungedeckt.

Wir haben uns daran gewöhnt, auf Pump zu leben und mit ungedeckten Schecks zu zahlen. Deshalb wird der Tag, an dem wir unser Jahreskonto überzogen haben, immer weiter nach vorn rücken. Die Erfahrung sagt: bis zum ersten Tag des Jahres. Das ist dann der letzte. Die Erde: wüst und leer und finster.

(1987 hatten wir am 19. Dezember alles verbraucht, was die Erde hergibt. 1990 war es schon am 7. Dezember so weit, 2005: 20. Oktober usw. Und  heute: 8. August. Rechenaufgabe für Mathematiker: Wann haben wir den 1. Januar erreicht? Das wäre dann – für die Gläubigen - der  „doomsday“, der Tag des Jüngsten Gerichts.)

Du lieber Himmel! Das dauert doch noch. Richtig. Unsere Generation dürfte das nicht erleben, wenn wir nicht noch etwas unvorhersehbar Vorhersehbares veranstalten, zum Beispiel einen Atomkrieg. Dann ginge alles viel schneller.

Mal abgesehen davon.: Die nächste Generation, die übernächste und alle die anderen, die noch folgen? Unsere Kinder, unsere Enkelkinder, die uns voller Vertrauen anschauen? Missbrauchen wir nicht ihr Vertrauen?

Halt! Jetzt ist es höchste Zeit, Schluss zu machen mit der Schwarzmalerei. Wir haben doch den Klimaschutzvertrag von Paris und jetzt im November die Klimaschutzkonferenz in Marrakesch (Marra-Cash, wer zahlt wie viel?). Wir haben doch den Atomwaffensperrvertrag, um wenigstens das Allerschlimmste zu verhindern. Wir kämpfen doch überall für den Frieden, zum Beispiel im Nahen Osten – allerdings mit Waffen. Das machen wir bestimmt nur aus Gewohnheit.  Und was die unantastbare Würde des Menschen angeht, natürlich sind wir dafür, auch wenn wir damit nicht jeden Menschen meinen.

Ja, ja, ja. Wir sind ja so humanitär (siehe humanitäre Hilfe), so menschlich, so mörderisch hilfsbereit. Richtig. Menschlich sind wir. Genau das ist unser Unglück, auch wenn wir es im Augenblick als Glück empfinden.

Alle Tiere auf der Erde haben sich unserer Erde angepasst.  Habe genommen, was sie bietet und geben zurück, was sie können. Alles im Gleichgewicht. Nur einer hat das nicht begriffen: der Mensch.
Wir machen sie uns untertan. Wir plündern sie aus. Wir, die Allmächtigen. Warum haben wir die Götter, den Gott oder den oder den, erfunden, wenn wir selbst doch Gott sind?
*1. Mose, I


Montag, November 14, 2016

Mit Blindheit geschlagen

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat im SPIEGEL vom 12. November seinen Auftritt als Journalist. In seinem Gastbeitrag versucht er zu erklären, „warum die Sozialdemokraten Konsequenzen aus dem Sieg Trumps ziehen müssen.“ Ist das nicht ein bisschen weit hergeholt? Selbstkritik und Selbsterkenntnis wären notwendig. Aber dafür hat Herr Gabriel, wie zu lesen ist, nicht den richtigen Blick.

Der erfolgreiche Wahlampf Trumps, so Herr Gabriel, „…zeigt, wie wichtig es ist, sich auch heute um die Menschen zu kümmern, für die unsere Partei vor über 150 Jahren gegründet wurde… Es ist im Kern unsere Aufgabe als Sozialdemokraten, die Interessen der Arbeitnehmerschaft zu vertreten und dadurch die Demokratie zu stärken.“ Das ist sicherlich richtig. Aber man muss es nicht nur sagen, sondern auch tun.

Es nützt eben nichts, nur die Enttäuschung vieler Menschen über die gewachsene Ungleichheit festzustellen und die immer stärker werdende Distanz zwischen der wirtschaftlichen und politischen Führung und den Bürgern. Wohin das führt, wenn man nur redet und nichts tut, oder das Falsche, zeigt der Bericht in DIE ZEIT vom 10. November „Herr Reil schwenkt um.“

Guido Reil, ein Sozialdemokrat in der dritten Generation, hat festgestellt, dass seine SPD nicht mehr die Alte ist, die Partei, die sich für den kleinen Mann einsetzt: Im Essener SPD-Vorstand saßen dann vor allem Beamte, Stadtangestellte, Leute mit Uniabschluss oder ‚zumindest solche, die mal angefangen hatten, irgendetwas zu studieren‘. Sie waren die Aufsteiger. Die Probleme – die schlecht bezahlten Jobs, die hohe Zuwanderung – hätten diese Leute nicht mehr verstanden – so Guido Reil.

Im Grunde sagt Sigmar Gabriel nichts anderes. Die SPD hat sich ihren Mitgliedern entfremded. Sie fremdelt mit ihrer Gründungsidee. Mehr noch: Diese Idee scheint ihr fremd geworden zu sein.

Als Wirtschaftsminister der Republik  beweist er das immer wieder. Im Zweifelsfall ist der Gewinn der Aktionäre wichtiger als der Lohn der Arbeitnehmer. Die Wirtschaft droht mit dem Verlust, dem Entzug, von Arbeitsplätzen, und schon dreht der Bundeswirtschaftsminister bei. Er sieht das aber ganz anders.

„Wir haben (in der Großen Koalition) … die soziale Ungleichheit in den Mittelpunkt  der Politik der Bundesregierung gerückt“ (wir, die SPD). „Durch den Mindestlohn, die Begrenzung der Leih- und Zeitarbeit, die Mietpreisbremse und höhere Investitionen in öffentliche Schulen.“ Gut gebrüllt, Löwe. Nur: Nicht einmal die Hälfte stimmt.

Der Mindestlohn reicht vorn und hinten nicht. Das neue Gesetz zu Leih- und Zeitarbeit lädt zu Betrügereien ohne Ende ein, und von Bildungsoffensive ist nirgendwo etwas zu sehen.

Zugegeben: Die SPD hat sich bemüht. Ohne sie wäre alles vielleicht noch schlimmer geworden. Aber das reicht nicht.

Notwendig ist: Reinen Tisch machen. Nie mehr Juniorpartner einer Großen Koalition. Opposition ist nicht der Mist, den Herr Müntefering so hasste. Die SPD ist aus der Opposition heraus entstanden. Völlig vergessen, nicht wahr?


Sonntag, November 13, 2016

Gutes Regieren

Darüber hat Pierre Rosanvallon ein kluges Buch geschrieben, wie Andreas Zielcke am 12. November 2016, DIE ZEIT, Seite 60, schreibt.

Andreas Zielcke notiert zwar in seiner Buchbesprechung es: „bleibt das Problem, dass Krankheitsdiagnosen einfacher zu haben sind als Therapien“, aber das stellt die Diagnose von Rosanvallon nicht infrage.

In aller Kürze: „Die Exekutive regiert die Legislative“, stellt Rosanvallon fest.  Das war ursprünglich anders gedacht.

Die Aufgabe des Parlaments: Gesetze entwerfen (Legislative) und die Regierung (Exekutive) mit der Durchführung beauftragen. Heute kommen die meisten Gesetzentwürfe von der Regierung, und die Rolle des Parlaments wird beschränkt auf Zustimmung oder Ablehnung. Das ist die Praxis. Die Rollen sind vertauscht. Kann das ein gutes Ende nehmen? Zweifel sind angesagt.

Ausnahmsweise ist die anzuwendende Therapie in diesem Fall einfach: Der unzulässige Rollentausch muss rückgängig gemacht werden. Das ist die Aufgabe des Parlaments. Der Regierung wird das nicht gefallen. Das macht aber nichts. Sie hat zu gehorchen. Das Parlament entscheidet.

Sollte Pierre Rosanvallon in seinem Buch über das Ziel hinausgeschossen sein? Das letzte Buch von Roger Willemsen „Das Hohe Haus. Ein Jahr im Parlament“ sagt eher: Rosanvallon hat recht.



Schiss, ganz einfach Schiss

Wir trauen uns immer noch nicht, in den Spiegel zu sehen und zu betrachten, was uns da aus dem „Tausendjährigen Reich“ entgegengrinst. Diese Angst führt immer wieder zu einem lächerlichen Verhalten. Wenn es doch nur lächerlich wäre! Es ist ärgerlich.

DIE ZEIT berichtet unter dem Titel „Dunkle Idyllen“ am 10. November 2016 über eine Ausstellung in Bochum. Die zeigt Kunst, vielleicht auch nur „Kunst“ aus der Zeit des Nationalsozialismus. Dem ZEIT- Artikel folgend, dürfte es sich um Harmlosigkeiten handeln, nicht eigentlich nationalsozialistische Propaganda.

Und schon rührt sich hier, so sieht es aus, das schlechte Gewissen. Damit es beruhigt oder geweckt wird, je nachdem, zeigt die Ausstellung gleich im Eingang ein schreckliches Foto aus Bergen-Belsen. Dabei  hat das Eine mit dem Anderen in diesem Fall nichts zu tun.

Im Treppenhaus der nationalsozialistischen Kunst hat es oft genug nach Kohlsuppe gerochen, Folklore vom einfachen Leben, das es in Wirklichkeit nicht gab. Warum jetzt also dieses Theater?


Voll entschleiert

Anne Will hatte in ihre letzte Talkshow die Schweizer Konvertitin Nora Illi eingeladen, nicht zum ersten, sondern zum zweiten Mal. Warum hätte sie das nicht tun sollen? Weil Frau Illi eine Konvertitin ist und deshalb Glaubenssachen besonders streng und ohne Rücksicht vertritt? Nein. Anne Will hatte recht, die Vollverschleierung, die Gesichtslosigkeit, von Frau Illi hinzunehmen.

Das wurde von vielen kritisiert. Vielleicht beruht diese Kritik auf  einem Missverständnis, auf der Vermutung, hier würde der Islamismuspropaganda freier Lauf gelassen. Angsthasen können das so sehen. Aber Anne Will ist kein Angsthase. Sie sagt in einem Gespräch mit der Wochenzeitung DIE ZEIT: „Únd wenn wir es mit der politischen Korrektheit übertreiben, nehmen wir uns die Chance, uns souverän und selbstbewusst anzuschauen, was es in unserer Gesellschaft auch gibt.“

Bravo! Dem ist nichts hinzuzufügen.


Samstag, November 12, 2016

Kauder-Welsch

Vor dem Hintergrund der Wahl von Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA äußert sich Volker Kauder, Fraktionschef der Union im Bundestag auch zum Thema Demagogie und Populismus und erklärt, dass der Kampf dagegen eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung sei. Zitat (SPIEGEL ONLINE 12. 11. 2016):

„Hier sind viele gefordert: Parteien, Gewerkschaften, Wirtschaftsverbände, die Medien, die Schulen. Wir müssen alle Kanäle nutzen, um aufzuklären und dagegen zuhalten. Politik muss besser erklärt werden und zwar in verständlicher Sprache.“

Donnerwetter, Herr Kauder, das ist mal ein Wort! Leider ist das, was Sie sagen, Kauder-Welsch, also schwer bis gar nicht verständlich. Bitte betrachten Sie die folgenden Anmerkungen als Versuch, Sie zu verstehen.

Erstens: Nicht viele, alle sind gefordert - auch die Kirchen, die Religionen und alle Bürger. Zweitens: Wen wollen Sie aufklären? Nur die Bürger, die Sie gar nicht erwähnen, oder auch die Institutionen, die Sie aufgezählt haben? Drittens: Politik muss nicht besser erklärt werden; sie muss besser gemacht werden. Erklären Sie mal zukünftigen Rentnern die sie erwartende Altersarmut. Erklären Sie den Bürgern die vorbildliche Rolle unseres Landes in Sachen Umweltschutz, während die EU mit Strafzahlungen droht, weil das Trinkwasser in Deutschland mit Nitraten vergiftet ist. Erklären Sie in diesem Zusammenhang nicht nur die Massentierhaltung als Ursache, sondern auch die Gülle-Importe aus den Niederlanden. Erklären Sie, weshalb immer mehr Reiche noch reicher werden und immer mehr Arme noch ärmer. Zig Dinge hätten Sie zu erklären. Das wäre nicht nötig, die richtige Politik vorausgesetzt. Das ist der springende Punkt.


Freitag, November 11, 2016

Lehrstunde

Am 9. November 2016  brachte 3SAT die Zweieinhalbstunden-Dokumentation „Die Deutschen und die Polen.“

Polen – mal groß und bedeutend, mal klein, mal gar nicht vorhanden, vier Mal geteilt, auf der Landkarte auch verschoben, hin und her, von Ost nach West und immer wieder auferstanden. Seit jeher auch mit anderen Ländern – in der Vergangenheit oft durch Heiraten – innig verbunden, Kultur,  Kultur, Kultur!

Vor allem aber das Zusammenleben von Menschen unterschiedlichen Glaubens – christlich in den verschiedenen Richtungen, jüdisch – unterschiedlicher Ethnien – Polen, Litauer, Russen, Ukrainer, Deutsche, Hinzugezogene oft von weit her – Frankreich zum Beispiel. Alles nebeneinander, auch durcheinander. Niemand musste seine Eigenheiten aufgeben, niemandem wurden sie weggenommen. Geschichtsbuchjargon: Polen, ein Vielvölkerstaat. Die unterschiedlichsten Kulturen, Lebensarten miteinander, nebeneinander. Polen hat immer wieder gezeigt, dass das geht und wie es geht.

Reibereien, Kräche, Kämpfe, oft sogar bis aufs Blut? Ja, die hat es auch immer wieder gegeben, stand aber dem Miteinander nicht dauerhaft entgegen. Und wenn Polen heute ziemlich bockig erscheint, auch engstirnig nationalistisch, so ist das doch vor allem die Regierung.

Jedenfalls zeigt die Geschichte der Deutschen und Polen, dass der heute immer häufiger gepredigte Nationalismus – in Polen, bei uns, in Ungarn, Tschechien, Frankreich, den Niederlanden – der reine Unfug ist, ein Unfug, der sich zu einem Unglück entwickeln kann.

Die Idee des Nationalstaats, die Marine Le Pin, die Herren Jaroslaw Kaczyński, Orban, Geert Wilders, Björn Höcke, Frau Petri verfolgen und durchsetzen wollen, ist denkbar einfach: Frankreich den Franzosen, Polen den Polen, Deutschland den Deutschen usw.

Im Klartext: Europa wird umfunktioniert zu einem Gefängnis. Jede Nation wird in Einzelhaft genommen, wird in eine Zelle gesteckt.  Begegnungen wie in Justizvollzugsanstalten üblich, nur unter Aufsicht und streng reglementiert. Wer die Aufsicht führt, ist noch unklar.

Klar ist, dass Gefängnisse keine Besserungsanstalten sind. Eher fördern sie Kriminalität und Gewalt. Das ist auch in diesem Fall so. Deshalb ist das Schlimmste zu befürchten, wenn sich die Nationalisten durchsetzen.


Donnerstag, November 10, 2016

Es lebe der Keks!

Das kleine englische Wörtchen cakes hat Herr Bahlsen vor langer Zeit in Keks umgeschrieben. Wie schön! Heute ist mir endlich mal wieder eine kleine sprachliche Ruhmestat begegnet. Im Deutschlandfunk-Protokoll eines Gesprächs mit Frau Schwesig, Familienministerin, war von Bürgern geschrieben, die taff sind, taffe Bürger also. Ob ich da irgendwann man weggesehen habe? Meine Frau kannte diese für mich neue Schreibweise schon seit „Ewigkeiten“, die auch im Duden zu finden ist, dort aber als zweite Wahl gilt. Alles das tut meiner Freude über taff aber keinen Abbruch.

Und gleich die Ernüchterung über den liederlichen Umgang mit unserer Sprache: Spricht doch unser Herr Innenminister de Maizière von der Teilverrohung der Gesellschaft. Ist sie wirklich nur ein bisschen verroht? Warum nicht Klartext, Herr de Maizière? Unsere Gesellschaft verroht, Politiker nicht ausgenommen.

Schnell noch ein Seitenhieb auf die Vorliebe vieler Politiker für Wörter aus dem Textbaukasten. Mitnehmen und abgehängt gehören dazu. Immer wieder wird gesagt, man müsse die Bürger mitnehmen. Aber wo stehen sie denn, die Bürger? Wohin sollen sie mitgenommen werden? Niemand weiß es genau, und es wird auch immer schwieriger, das zu verstehen. Und jetzt ist ständig die Rede von abgehängt. Auch so ein Rätselwort. Die jungen Menschen, die gern mal abhängen, Neudeutsch chillen, sind sicherlich nicht gemeint.

Es soll wohl um die Menschen gehen, die im letzten Waggon des globalen Fortschrittszugs sitzen, den irgendjemand jetzt abgekoppelt hat. Da sitzen sie nun auf einem toten Gleis und kommen nicht weiter. Das ist schlimm.

Aber – und das ist noch viel schlimmer: Es wird immer nur von denen gesprochen, die sich abgehängt fühlen. Zwischen abgehängt und abgehängt fühlen können Welten liegen. Sollten Politiker hier mit Gefühlen spielen? Das wäre das Allerschlimmste.


Daneben gegriffen

Unsere Sprache ist reich und großzügig. Sie bietet uns unendliche Möglichkeiten, unsere Beobachtungen und Gedanken auf originelle Weise in Worte zu kleiden – mit ganz alltäglichen Wörtern und gerade deshalb überraschend und begeisternd.

Ist es nicht schön, statt Talkshow „Plapperprogramm“ zu sagen, oder eine TV-Seifenopernserie „Singsang-Serie“ zu nennen? Oder „himmelblau dumm“ und „laborkittelernst“? Und dann noch „Hoolygänse“. Man muss nicht in unsere Sprache vernarrt sein, um sich daran zu erfreuen.

Man muss auch kein Liebhaber unserer Sprache sein, um Wörter wie „postfaktisch“ schrecklich und dazu noch unverständlich zu finden. Aber man darf überrascht sein, wenn man erfährt, wer dieses Wort in die Welt gesetzt hat: Frau Angela Merkel, Kanzlerin unserer Bundesrepublik. Das macht die Sache nicht besser, sondern eher schlechter. Denn was ist gut an „postfaktisch“? Ehrlich gesagt: nichts.

Frau Merkel meinte, dass wir in einer Zeit leben, in der Gefühle mehr als Tat-sachen den Gang der Dinge bestimmen. Aber warum sagt sie das nicht? Warum spricht sie nicht so, dass es jeder versteht? Und warum wird dieses Unwort in den Medien ohne Ende nachgeplappert? Faulheit? Gedankenlosigkeit? Über-heblichkeit über die „bildungsfernen“ Menschen hinweg?

Frau Merkels Ansicht ist nicht zu widersprechen. Nur neu ist sie nicht, wenn auch aktuell, wie Brexit vor Kurzem und die US-Präsidentenwahl gestern zeigen. Und das sind nur zwei Beispiele von vielen, die uns zu schaffen machen. Appellieren Marine Le Pin, die Herren Orban, Jaroslaw Kacsyński, Geert Wilders an den Verstand? Na bitte!

Wie heißt es so zutreffend? „Flattert erst mal die Fahne, ist der Verstand in der Trompete.“

So kommt man vom Wort auf die Politik. „Postfaktisch“ war schon immer. Nur das hässliche Sprachetikett ist neu. Da hat Frau Merkel daneben gegriffen.


Durchgeknallt

Herr Orban will ein rassereines Ungarn, Herr Jaroslaw Kacziński ein tiefkatholisches Polen. Frau Le Pin will Frankreich wieder französisch machen. Frau Petri will ein deutscheres Deutschland. In Dänemark, in Schweden, in Tschechien ist Ähnliches zu beobachten. Überall macht sich breit, was im Parteienjargon als populistisch und rechtsextrem bezeichnet wird. Rechtsextrem klingt so nach Rand. Aber dieser Eindruck trügt. Der Rand hat sich längst in die Mitte vorgearbeitet. Allein der Erfolg der AfD in Deutschland spricht Bände.

Zu allem Überfluss spielt Amerika im Wahlkampf um die Präsidentschaft verrückt. Ist die Welt aus den Fugen geraten? Mal eben so durchgeknallt? Ja. Es ist nicht übertrieben, das zu sagen.

Diese Antwort ist kurz und bündig, aber unbefriedigend. Es bleibt nichts Anderes übrig, als nach einer besseren Antwort zu suchen. Mal sehen, was sich bei dieser Suche entdecken lässt.

Vielleicht ist es Unsicherheit. Wer sind wir? Werden wir anerkannt, unsere Lebensweise, unsere Ansichten? Das könnte sein. Aber es hat sich doch inzwischen herumgesprochen, dass es „die“ Polen, „die“ Franzosen, „die“ Ungarn usw. gar nicht gibt. Es sind doch immer und überall einzelne Menschen, auch wenn sie zusammen Millionen sind. Woher nehmen die Regierungen eigentlich das Recht, uns gegeneinander auszuspielen? Polen gegen Deutschland, zum Beispiel?


Vielleicht ist es etwas ganz Anderes, das die Dinge europaweit, weltweit aus dem Lot bringt. Sollte es etwas sein, das immer mehr Menschen immer häufiger vermissen? Auch wenn das schwer zu beantworten ist, soll es versucht werden – die Frage nach der Gerechtigkeit. Dazu mehr in einem anderen Kapitel.

Macht und Ohnmacht

Donald Trump wurde am 8. November zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt. Am 20. Januar 2017 wird er auf die amerikanische Verfassung vereidigt. Und dann ist er der weltweit mächtigste Mann. So ist das überall zu lesen und zu hören. Aber stimmt das? Auf den ersten Blick vielleicht. Wie wäre es mit einem zweiten Blick? Wie wäre es, einmal genauer hinzusehen?

Da sehen wir, dass die USA die größte Wirtschaftsmacht sind, die mächtigste also. Auch das ist überall zu lesen und zu hören. Aber stimmt das?

Nach den Spielregeln der Globalisierten Wirtschaft trifft das zu, keine Frage. Aber stimmt das? Im Augenblick ja. Aber könnte China nicht bald mächtiger sein? Die globalen Spielregeln gelten schließlich nicht nur für die USA.

Mit der Macht scheint das so eine Sache zu sein. Wird Trump wirklich mächtiger sein als Putin? Und welchen Spielregeln folgen die Herren? Den eigenen? Auch wenn es so aussieht, so dargestellt wird – ist das wirklich so?

Bei aller Größe Amerikas, Russlands, Chinas, Indiens und so Gernegroßen wie Deutschland, sind Zweifel angebracht. Nicht die Politik bestimmt den Gang der Dinge, sondern die Wirtschaft. Die ist nämlich global organisiert. Die Staaten, so mächtig sie sich darstellen, sind es nicht. Sie hängen am Gängelband internationaler Konzerne. Überall und in jeder Hinsicht. (Einzelheiten werden gern nachgeliefert – auch wenn es viel Arbeit macht.) An Beweisen mangelt es nicht.

Es fehlt an Gesichtern. Es fehlt an Namen. Wer immer in der Wirtschaft etwas zu sagen hat, versteckt sich, will nicht entdeckt werden. Verständlich, aber unanständig.

Die Sache ist nicht neu. Sie funktioniert seit Menschengedenken nach dem Fugger-Prinzip. Nicht Kaiser, König, Herzog und wer weiß noch bis zum Landgrafen, hatte das Sagen, sondern die Fugger, die Wirtschaft. Darüber sprechen alle im Rückblick ganz ungeniert. Aufs Heute bezogen, wird das fabelhafte Prinzip totgeschwiegen.

Die mächtigsten Männer und Frauen der Welt? Kaum jemand kennt sie. Trump oder Putin heißen sie nicht.


Dienstag, November 08, 2016

Das Positive ist das Negative

Endlich etwas Positives: Die Klimakonferenz in Marrakesch. Delegationen von195 Staaten treffen sich heute dort und werden bis zum 18. November klären, wer was tun muss, um die Erderwärmung unter zwei Grad zu halten.

Beim Überfliegen der Mitteilung des Presse- und Informationsamt der Bundesregierung kommt Hoffnung auf. Die allerdings verfliegt bei genauerem Lesen. Von Zeile zu Zeile mehr verkehrt sich das Positive ins Negative.

Da heißt es beispielsweise: „Die Europäische Union hat eine einfache und zugleich ambitionierte Zielmarke: Sie will den Ausstoß an Treibhausgasen bis 2030 im Vergleich zu 1990 um mindestens 40 Prozent senken.“

Erstens: Haben sich die 27 bzw. 28 Länder der Gemeinschaft darüber verständigt, wer was wie und wann unternehmen wird? Wohl kaum. Befürchtung, nicht aus der Luft gegriffen: Es wir beim sogenannten guten Willen bleiben.

Zweitens: „Die Politik müsse ‚jetzt eindeutige Signale an Wirtschaft, Gesellschaft und Investoren in aller Welt senden‘ appellierte Hendricks“. Umweltministerin Hendricks appelliert an die Politik. Im Klartext: Sie führt ein Selbstgespräch. Sie ist doch Politikerin.

Drittens: „Die Weichen zum Ausstieg aus den fossilen Energien hin zu innovativen Technologien müssen heute gestellt werden“, so Frau Hendricks. Heute? Vorgestern wäre besser gewesen. Schlimmer aber: Wie versteht sich der Braunkohleabbau in Ostdeutschland und in Nordrhein-Westfalen? In Nordrhein-Westfalen hat sich Frau Kraft durchgesetzt. Sie will 2017 die Landtagswahl gewinnen. Da scheint jedes Mittel, na, sagen wir: da scheinen viele Mittel recht zu sein. SPD-Kraft grüßt SPD-Hendricks.

Viertens: Verkehrs- und Landwirtschaftsminister, die Herren Dobrindt und Schmidt, schützen ihre Klientel nach Leibeskräften. Und dem Vernehmen nach haben sie Frau Hendricks schon einiges aus ihrem Konzept gestrichen.

Fünftens: Die Kommission verklagt die Bundesrepublik. Die seit 2012 geltenden Regelungen zum Grundwasserschutz werden von Deutschland nicht eingehalten. Trinkwasser ist so gut wie überall nitratbelastet über jede Grenze hinaus. Ein wesentlicher Grund: Der unmäßige Einsatz von Gülle. Wir haben zu viel davon und importieren noch aus den Niederlanden.  Ein Skandal? Mehr als das.

Sechstens: Noch skandalöser ist die Überheblichkeit der Bundesregierung, vertreten durch das Bundesumweltministerium und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung:

Zitat: „Deutschland macht sich zudem für globale Umsetzungs-Partnerschaften stark. Konkret bedeutet dies, dass Deutschland seine Erfahrungen mit dem Klimaschutz mit Staaten teilt, die gerade erst damit anfangen.“

Welche Erfahrungen in Sachen Ökostrom, Landwirtschaft, Verkehr oder Stadtplanung können geteilt werden? Im Wesentlichen nur negative. Guter Wille und notwendige Maßnahmen werden geschreddert. Die Schnipsel werden nicht reichen, um die unehrlichen Ziele zu erreichen.


Sonntag, November 06, 2016

Gerechtigkeit

Vielleicht gibt sie gar nicht. Vieles spricht für diese Ansicht. Beispiel: Ist es gerecht, allen Menschen ein-und-dasselbe Einkommen zuzubilligen, ganz gleich, ob sie arbeiten oder nicht? Einen Anspruch auf Leben hat doch jeder. Oder? Manche werden sagen, ja, das ist gerecht. Andere werden sagen, das ist ungerecht.

Gerechtigkeit ist Gefühlssache, und auf Gefühle kann man sich nicht verlassen. Auf den vermeintlichen Verstand allerdings auch nicht.

Erkenntnis: Wenn wir versuchen wollen, der Gerechtigkeit auf den Grund zu kommen, müssen wir in die Einzelheiten gehen. Wir müssen uns ansehen, was als gerecht angesehen wird und was als ungerecht. Und wir müssen darauf achten, wer das Eine und wer das Andere sagt.

„Vor der Jahrtausendwende haben Vorstandschefs in großen Unternehmen vielleicht das Zwanzigfache von einfachen Arbeitnehmern verdient. Heute erhalten sie oft das Hundertfache.“ „Die da oben“ und „die da unten“ waren mit dem damaligen Verhältnis wohl einverstanden.

Heute fällt es schwer zu begreifen, wofür Martin Winterkorn, bis vor Kurzem noch der erste Mann im VW-Konzern, in einem Jahr 17 Millionen € erhielt. Ausgerechnet der Mann, der den Konzern in eine Krise führte, deren Folgen noch nicht abzusehen sind. Der Konzern muss zig Millionen für seine Betrügereien zahlen. Der Image-Verlust ist noch gar nicht zu beziffern. Das ist die eine Seite. Und die andere?

Als Herr Winterborn gefragt wurde, ob ein VW-Arbeiter am Band solche Gehälter noch verstehe, reagierte er ungehalten. Für ihn war die Sache klar und gerecht. So schwierig ist das mit der Gerechtigkeit. 

Das ändert sich offenbar auch nicht, wenn wir uns ansehen, wie sich Reichtum und Armut in Deutschland verteilen (DIE ZEIT, 22. September 2016 „Gerechtigkeit“). 10 % der Bevölkerung gehören 60% des Gesamtvermögens. 40 % der Bürger gehören 38 %. Und die verbleibende Hälfte der Bevölkerung? Ihr bleiben nur 3 % des Vermögens.  Ist das gerecht?  Das kann man gerecht finden, wenn man vermögend ist. Wer nicht dazu gehört, sieht das anders, ver-ständlicherweise.

Gerechtigkeit scheint so unfassbar zu sein wie ein Stück Seife, das ins Wasser gefallen ist. Immer, wenn wir denken, jetzt haben wir alles im Griff, flutscht uns die Gerechtigkeit aus den Händen.

Wie widersprüchlich alles ist, zeigen uns auch die Verhältnisse in den USA. „Armes Land, reiches Land“ – dieser Beitrag im HANDELSBLATT  vom 2. November führt uns das deutlich vor Augen.

„Armes Land, reiches Land“. „Das Märchen von der Gerechtigkeit“ – Kein Staat hat die Finanzkrise besser überwunden als Amerika.“ Amerika habe seit dem Absturz der Weltwirtschaft ein kleines Wirtschaftswunder vollbracht, schreibt das HANDELSBLATT, fragt ein paar Zeilen weiter „Aber woher kommt dann dieses Gefühl der Verwundbarkeit in der Bevölkerung, woher die grassierende Angst vor dem ökonomischen Niedergang…“ und fährt dann fort: „Womöglich hängt das mit der dritten großen Schwäche der US-Wirtschaft zusammen: ihrer Unfähigkeit, die Wohlstandsgewinne gerecht zu verteilen. Das Hauptproblem der USA ist und bleibt die zunehmende Ungleichheit von Einkommen, Vermögen und letztlich von Lebenschancen.“ Womöglich? Nein, ganz bestimmt!

„In den USA leiden die unteren 90 Prozent unter stagnierenden Einkommen. Das mittlere Einkommen vollzeitbeschäftigter männlicher Arbeitnehmer“ sei inflationsbereinigt niedriger als vor 42 Jahren. Und ganz unten seien die Real-löhne mit dem Niveau von vor 60 Jahren vergleichbar – so Ökonomie-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz.

Während viele Menschen von ihrer Arbeit kaum mehr leben können, horten US-Konzerne Milliardenbeträge steuerbefreit im Ausland. Der Internationale Währungsfonds stellt fest, dass die zunehmende Ungleichheit den politischen Rückhalt für die liberale internationale Ordnung gefährde. Welch eine Erkenntnis!                                                            

Wer es gern etwas dramatischer hätte und doch seriös, lese „Stadt aus Glas“. DER SPIEGEL, 05. 11. 2016). Die ersten Zeilen: „Gerechtigkeit. In der amerikanischen Gesellschaft wird die Kluft zwischen Arm und Reich tiefer und tiefer. Die Mittelschicht schrumpft. Ausgerechnet die Boomregion San Francicso ist zum Symbol für eine neue soziale Spaltung in den USA geworden.“

Zusammengefasst, womit das letzte Wort nicht gesprochen sein kann: Die liberale internationale Ordnung, von der der Internationale Währungsfonds spricht, ist die Verniedlichung der Globalisierung. Die wiederum verniedlicht das Unwort Raubtierkapitalismus.

Sozialismus pur? Vielleicht sogar Kommunismus? Alles den Reichen nehmen? Alles den Armen geben? Das kann es nicht sein. Das wäre ja nur die Umkehrung von heute: Alles den Armen nehmen und alles den Reichen geben. Eine Ungerechtigkeit gegen die andere tauschen führt nicht zu Gerechtigkeit.

Was nun? An den gesunden Menschenverstand appellieren, ihm zu seinem Recht verhelfen und zugleich auch der Gerechtigkeit? Das wäre schön. Dumm nur, dass jeder unter gesundem Menschenverstand und Gerechtigkeit etwas anderes versteht.  Mehr Mitgefühl, mehr Herz? Das Herz schlägt links, was aber nicht sozialistisch heißen muss, auch wenn das gelegentlich behauptet wird. Kein zuverlässiges Konzept also.

Wie wäre es mit Fantasie, wenn wir unsere Gedanken von der Leine ließen? Wenn wir sie wie die Spürhunde nach dem Wichtigsten suchen lassen? Vielleicht stoßen wir bei dieser Suche auf Schiller und Beethoven: „Freude, schöner Götterfunken…“



Freitag, November 04, 2016

Mensch Version 4.0

Wir alle kennen das Spiel mit den immer neuen Versionen aus unserer Computerwelt. Nicht nur Microsoft ist mit dem Office-Programm schon bei Version 10.0 oder 11.0 gelandet. Signalisiert wird oft genug Fortschritt, der keiner ist. Das sollte nicht zur Gewohnheit werden.

Dummerweise scheint es sich hier um ein „virales“ Problem zu handeln, um eine ansteckende Krankheit. Wie so oft, ist der Anfang unauffällig, so wie bei einer Grippe. Der Ausgang dagegen kann tödlich sein.

Die Entwicklung der Industrie kann uns da die Augen öffnen. Die Industrie bereitet sich auf die Version 4.0 vor. Hier und da scheint sie schon mittendrin zu sein. Um das zu verstehen, ist es wichtig, die früheren Versionen zu kennen.

Da hätten wir 1.0 – das Zeitalter der Wasser-, vor allem, der Dampfkraft. 2.0 – Die Elektrizität und  die Fließbandproduktion. 3.0 – Elektronik und Automatisierung. Und nun 4.0 – die Digitalisierung.

So weit, so verständlich. Die Versionen 1.0 bis 3.0 wurden nachträglich so bezeichnet, die Version 4.0 ist ein Griff in die Zukunft: Intelligente und flexible Maschinen und Fabriken, vorausdenkende und voraushandelnde Roboter, das „Internet der Dinge“, das lächerlich und furchterregend zugleich ist.

Aber jetzt wird es spannend. Jetzt spricht man von der Version Mensch 4.0. Das ist in vieler Hinsicht verwunderlich. Es ist nicht nur verwunderlich. Es macht Angst.

Erstens war bisher noch nie die Rede von Mensch 1.0, Mensch 2.0, Mensch 3.0. Und ganz plötzlich Version 4.0 – so aus dem Nichts heraus?  Wie wurden die Versionen 1.0 bis 3.0 bezeichnet? Hat man sie überhaupt benamst?

Zweitens, und das ist der springende Punkt: Der Mensch wird durch die digitalisierte Kennzeichnung Version 4.0 zum Produktionsfaktor degradiert, er wird konstruiert, maschiniert, kalkuliert. Er ist alles, nur nicht Mensch.

So sieht, so will das die Industrie 4.0. Aber sie sagt es nicht. Sie spricht von Mitgestaltern anstelle von Mitmachern. Woher aber sollen die Mitgestalter kommen, denen Bildung verwehrt wird, die von vornherein im Abseits stehen?

Der Mensch Version 4.0. Ein wichtiger Produktionsfaktor. Nur billig muss er sein. Damit er seine Nase nicht zu hoch trägt und Morgenluft wittert und auf die Idee kommt, zu protestieren.


Leidkultur

Die AfD hat eine Debatte angezettelt, unter der unsere Kultur leidet. Das hat sie nicht verdient. Deshalb ist einiges geradezurücken.

Vorweg, um Missverständnisse von vornherein auszuschließen: Es geht hier nicht um einen Beitrag zu parteipolitischem Gezänk. Es geht nur darum, sich Unsinniges nicht einreden zu lassen und sich dagegen zur Wehr zu setzen.

Auch für das dümmste Zeug findet sich eine beeindruckende Bezeichnung: Multikulturalismus (eine AfD-Wortschöpfung). Kulturalismus – ob Multi oder nicht, was, bitte schön, soll das sein?

Sprechen wir vom wirklichen Leben. Sprechen wir von Kultur. Wir können sie verstehen als Lebensart mit allem Drum und Dran.

Mit dem Religiösen – katholisch, evangelisch, beide in verschiedenen Spielarten, um nur zwei Beispiele zu nennen. Nicht Erwähnte, auch Atheisten und Muslime,  sollen sich nicht ausgegrenzt sehen.

Da sind unsere Dialekte, die sich von Flensburg bis Garmisch-Partenkirchen, von Nord nach Süd, von West nach Ost bis aufs Unverständlichste unterscheiden. Da ist die kulinarische Landschaft, deren Vielfalt kaum zu überblicken, auf jeden Fall aber zu genießen ist.

Da sind die Theater, die langweilen und aufregen. Da sind die Journalisten, die uns die Welt erklären, obwohl sie es nicht können.

Zigtausend Ansichten, Meinungen, Überzeugungen, Irrtümer – daraus setzt sich unsere Kultur zusammen. Ein Potpourrie, das nicht immer jedem schmeckt, aber allen gut bekommt. Stattdessen  kultureller Eintopf? Nein, danke!


Mittwoch, November 02, 2016

Aktuelles aus Kalau

Manchmal kann ich Kalauern nicht widerstehen, schon gar nicht meinen eigenen. Bei dem Spruch „Wo gehobelt wird, da fallen Späne“ fällt mir doch nichts anderes ein als „Wo gesprochen wird, da fallen Worte“. Aber so ist es nun mal. Und bei Herrn Oettinger waren es wieder mal – bei einem Vortrag in Hamburg – die falschen. Er sprach von Schlitzaugen  und Schlitzohren und meinte – Chinesen.

Zu diesem Unfug hat sich ein Sprachwissenschaftler namens Haase geäußert. Der Herr Haase ist ja noch schlimmer als Herr Oettinger. „Es ist mehr politischer ´‘Nebelsprech‘ verwendet worden“, sagt er. Andererseits würden Politiker immer populistischer, könne man fast sagen. Was heißt „fast“?

Dann weiter: „Es ist eine Tendenz zu beobachten seit den 70er Jahren zu stärkerer Familiarität im politischen Diskurs. Das heißt es werden häufiger eben auch Fußballmetaphern verwendet und informelle Metataphern.“

Herr Haase, was meinen Sie mit Ihrem Gebrabbel auf Oettinger-Niveau? Fußballmetaphern? Informelle Metaphern? Familiarität im politischen Diskurs? Warum sagen Sie nicht, „die Politiker versuchen sich im Stammtischjargon.“ Warum sagen Sie nicht, dass dies den Herren hervorragend gelingt. Ich sehe schon: Weder den Politikern noch den Sprachexperten darf man unsere Sprache nicht anvertrauen. Sie treiben nur Schindluder damit.


Dienstag, November 01, 2016

Liebeserklärung an England

Sie lassen uns im Stich, den Kontinent und damit auch uns Deutsche. Brexit  und damit Basta. Diese Engländer: Steife Oberlippe, überheblich bis zum „Geht-nicht-mehr“, „Rule Britannia, rule the waves…“, immer noch weltmachtverträumt und doch nur Insulaner.

Und dann eine Liebeserklärung? Aber ja, und auf jeden Fall. Denn dafür gibt es die verrücktesten und schönsten Gründe, die das ganze aufgeregte Theater von heute beiseite fegen.

Da hätten wir zum Beispiel den Auftritt der Beatles 1963 auf der Royal Variety Performance, seit 1912 eine Wohltätigkeitsveranstaltung für Künstler, die Unterstützung brauchen. Mindestens ein Mitglied der königlichen Familie war immer anwesend. Das ist auch heute noch so. 1963 waren es Queen Mother, Princess Margaret und ihr Mann Lord Snowdon.

Wer immer auch 1963 auftrat, nicht zuletzt Marlene Dietrich – der Abend gehörte den Beatles. Sie müssen die Gäste um den Verstand gespielt haben. Und dann John Lennon mit seiner irrwitzigen Ansage, mit viel Charme vorgetragen:

Für unsere nächste Nummer brauchen wir Ihre Hilfe. Die auf den billigen Plätzen klatschen, die anderen klimpern mit ihren Juwelen.“ Niemals zuvor war jemand so frech.

Und Queen Mother? Alle Blicke richteten sich auf sie. Sie zeigte sich “sportlich”, hob huldvoll die Hand und lächelte. Der Bann war gebrochen.

Allein für Queen Mom und John Lennon und Royal Variety Performance muss man die Engländer lieben. Gewiss auch für „The Last Night of the Proms“, den jährlichen grandiosen Abschluss der Londoner Promenadenkonzerte in der Royal Albert Hall. Diese Ausgelassenheit, diese Begeisterung, diese Freude an Great Britain und der Welt, dieses Selbstbewusstsein, ohne auf andere herabzublicken. Wenn das keine Liebeserklärung rechtfertigt!