Montag, August 29, 2016
Eine Kindergeschichte für Erwachsene
Der Kalif von Ankara hieß Egowahn
und war ein mächtiger Kalif. Er hatte sein Kalifat groß und stark gemacht, und
den Menschen dort ging es von Jahr zu Jahr besser. Dafür waren sie ihm dankbar.
Trotzdem sollte er gestürzt werden.
Die Soldaten, die das versuchten,
hatten keinen Erfolg damit, und die meisten Bürger waren für ihren Kalifen. Der
griff durch – mit eiserner Hand. Er steckte nicht nur Soldaten ins Gefängnis,
sondern auch viele Bürger, denen er misstraute. Es sollen Abertausende gewesen
sein.
Die Herrscher des Abendlands
waren froh, dass der Umsturz nicht gelungen war. Sie wollten ja auch nicht
gestürzt werden. Niemand trennt sich gern von der Macht. Da sind sich alle
einig. Nicht allen gefiel es, wie der Kalif von Ankara dann mit seinen Leuten
umging, die nicht mehr seine Leute waren. Aber niemand wollte sich einmischen.
Dafür gab es gute und schlechte Gründe.
Der gute Grund: Niemand konnte
Dichtung und Wahrheit, die der Kalif verbreitete, auseinanderhalten. Man wollte
vermeiden, dass man befürchteten Ungerechtigkeiten im Kalifat noch eigene
hinzufügte.
Der schlechte Grund: Die
Herrscher des Abendlands hatten Angst vor den vielen Menschen, die aus ihren
Ländern vor Krieg, Gewalt und Tod wegliefen und Schutz im Abendland suchten. Da
haben sie mit dem Kalifen von Ankara ein schmutziges Geschäft abgeschlossen. Er
hält ihnen die Schutzsuchenden vom Hals, und sie kaufen sich mit viel Geld frei
von der Menschlichkeit. So sollte jeder seinen Vorteil haben.
Den Vorteil hatte aber nur der
Kalif Egowahn. Er konnte die Herrscher des Abendlands erpressen. Er konnte
ihnen vorschreiben, was er wollte, und sie mussten es tun, jedenfalls hatten
sie das Gefühl. Sie hatten vergessen, dass man nicht nur dem Gefühl folgen
soll, sondern auch dem Verstand. Der Mensch braucht beides. Das Eine wie das Andere
ist den Herrschern des Abendlands abhanden gekommen.
Die Ankündigung, der Kalif werde
mit einem Rat der Abendländer darüber reden, wie seine Bürger in den
Gefängnissen behandelt werden, löst Freude und Zufriedenheit aus. Der Kalif ist
zu Gesprächen bereit. Was er sagen wird, ahnt niemand. Vielleicht nicht das,
was da Abendland erwartet. Aber die Vorfreude soll ja die schönste sein.
Es ist nicht leicht, sich gegen
Erpresser zur Wehr zu setzen. Aber es ist möglich.
Potpourri
Was für ein schönes vieldeutiges
Wort. Vieldeutig? Alles andere als das. Eindeutig! Alles in einen Topf werfen.
Was immer zusammenpasst oder auch nicht: hinein!
Was Garten und Markt hergaben,
das kam in den Topf – nicht nur bei den Armen. Auch Reiche wussten das Einfache
zu schätzen.
Heute steht dieser Topf nicht
mehr in der Küche. Funk und Fernsehen haben das Potpourri mit Beschlag belegt.
Bekannte Schlager und alles Mögliche sonst wer-den zusammengerührt. Kann lustig
sein, unterhaltsam, Langeweile vertreibend. Muss das überall so sein? Alles in
einen Topf? ARD Tagesschau und ZDF Heute Journal scheinen das so zu sehen.
Wichtig Erscheinendem aus Politik
und Wirtschaft werden zum Schluss die Lottozahlen und die Ergebnisse
irgendwelcher Fußballspiele irgendwelcher Ver-eine hinzugefügt. Die Lottozahlen
so wichtig wie 300 Tote beim Erdbeben dieser Tage in Italien?
Nein, so ist das bestimmt nicht
gemeint. Aber dann, bitte schön, raus mit Lotto und Fußball aus der Sendung.
Die gehören nicht ins Nachrichten-, sondern ins Unterhaltungsprogramm.
Samstag, August 27, 2016
"Mit dem Wissen wächst der Zweifel"
Merkwürdig. Einerseits bevorzugen
es Politiker, sich in kaum verständlichem Deutsch auszudrücken, mit Begriffen
um sich zu werfen, für deren Bedeutung man ins Wörterbuch sehen muss –
andererseits haben sie eine Begabung entwickelt, auch die kompliziertesten
Dinge auf denkbar einfachste Weise zu lösen – natürlich nur theoretisch.
„Ausländer raus!“ – so, meinen sie, lassen sich Einwanderungsprobleme lösen.
Schlagartig. So einfach geht das. Jedenfalls versuchen sie, uns das einzureden.
Und tatsächlich fallen unglaublich viele Menschen darauf rein.
Nicht alles, was Goethe
geschrieben hat, muss man lesen. Aber einen Satz sollten wir uns merken: „Mit dem Wissen wächst der Zweifel.“ Das
ist eine sehr unbequeme Feststellung. Es lohnt sich, darüber nachzudenken.
Stellen wir diesen Satz einfach mal auf den Kopf. Ergebnis. Was kommt dabei
heraus? „Je weniger man weiß, desto
größer die Gewissheit.“
Genau das ist die Strategie, die
Populisten verfolgen. Merke: Populisten gibt es in allen Partei-en, auch in
denen, die sich demokratisch nennen – CDU, CSU, SPD, LINKE, GRÜNE, FDP… alle,
wie sie da sind. 26. 08. 2016
Freitag, August 26, 2016
In Ewigkeit, Amen
„Vorläufige Ewigkeit“ – so
überschreibt DER SPIEGEL in seiner Ausgabe 36/2016 vom 20. August einen Artikel
zu den Tricks der Politik, das sogenannte Frei-handelsabkommen CETA (EU/Kanada)
auf Biegen und Brechen durchzusetzen.
Die EU-Kommissare haben
offensichtlich vergessen, wer ihre Auftraggeber sind. Nicht 28 bzw. 27
europäische Staaten, sondern über 500 Millionen Bürger. Für deren Wohlergehen,
für deren Sicherheit haben sie zu arbeiten. Die Bürger haben ihre Parlamente
gewählt, um das möglich zu machen. Und jetzt?
Die Kommission nutzt alle
erdenklichen Tricks aus, um genau das zu verhindern. Erst sollen die einzelnen
Parlamente gar nicht mitreden dürfen, dann ein bisschen. Mitreden ja, sagt die
Kommission, aber bitte nicht jetzt. Später. Wir wenden CETA nur vorläufig an.
Was da als vorläufig bezeichnet wird, lässt sich später voraussichtlich nicht
wieder einfangen. 500 Millionen Bürger stehen dann irgendwann
auf dem Bahnsteig, aber der Zug ist längst aus dem Bahnhof. Niemand bringt ihn
wieder zurück. (Die Stationsvorsteher, die die Signale auf freie Fahrt gestellt
haben, sind dann längst in Pension, frei von jeder Verantwortung.)
Es ist wirklich schlimm, dass die
EU-Kommission nur nach der Pfeife der globali-sierten Wirtschaft tanzt. Um nichts
anderes geht es, es geht um Geld. Dabei wissen selbst die Ärmsten der Armen,
dass Geld nicht alles ist, dass zum menschenwürdigen Leben mehr gehört. Das hat
sich offenbar noch nicht herumgesprochen.
Wer will da noch verstehen, dass
sich Herr Gabriel für das listige Verfahren der Kommission einsetzt? Er selbst
hat nicht begriffen, dass sich das Amt eines SPD-Wirtschaftsministers in einer
unionsdominierten Regierung mit der Rolle eines SPD-Vorsitzenden nicht
verträgt. Zwei Positionen, die sich wie Feuer und Wasser zueinander verhalten.
Treffen sie aufeinander, zischt es gewaltig. Ergebnis: viel heißer Dampf.
Montag, August 22, 2016
Die Angstmacher. Voll daneben!
Legislative, Judikative,
Exekutive – die Medien nehmen für sich gern in Anspruch, die vierte Macht im
Staate zu sein. Respekt erweist die Presse hauptsächlich der Judikative,
besonders dem Bundesverfassungsgericht. Die beiden anderen Institutionen kommen
da oft nicht besonders gut weg. Verständlich. Aber wie stehen die Medien selbst
da? Sie machen keine gute Figur. Sie vermengen Immigration und Terror zu einer
geballten Ladung von Angst. Sie sind im Begrif, auch den ruhigsten,
besonnensten Menschen verrückt zu machen. Auch SPIEGEL und STERN sind da mit
von der Partie DER SPIEGEL, Heft 33, lässt es an Klarheit fehlen, DER
STERN, Ausgabe 34, schreibt von
Terrorangst, als hätte sie alle Deutschen befallen. Die folgenden Zitate aus
SPIEGEL 33 und STERN 34 sprechen für sich selbst.
DER SPIEGEL im Artikel „Das
Panik-Orchester: „Nun offenbaren die jüngsten Überlegungen der konservativen
Innenpolitiker, wie sehr die Angst zur Triebfeder der Republik geworden ist.
Die Angst der Bürger vor Terror und Gewalt.“ Stimmt das? Nein. Die Bürger sind
nicht ängstlich. Die Politiker sind es. Sie haben Angst, und zwar vor der AfD.
„Drei Viertel (aller Deutschen)
haben Angst vor Terroranschlägen“, zitiert die Redaktion eine Umfrage von Infratest
dimap. Das liest sich, als sei das wirklich so. Schon mal von Umfragen gehört,
die an der Wirklichkeit vorbeigingen?
„Auf die Verunsicherung in der
Bevölkerung muss reagiert werden“, sagt der Mainzer Parteienforscher Jürgen
Falter. Das ist sein gutes Recht. Aber es wäre auch das gute Recht des SPIEGEL,
ein paar Worte zu dieser Verunsicherung zu verlieren. Oder hätte er vielleicht
die Pflicht? Wo ist sie, die Verunsicherung? Wo ist die Angst? Nur die
Angstmache ist überall. DER SPIEGEL hat sich Mühe gegeben. Das Ergebnis ist
mau.
Die STERN-Titelgeschichte ist
überschrieben mit „Gegen die Angst“. Die Redaktion macht es sich einfach,
schreibt von „einem von Terrorangst geplagten, verunsicherten Deutsch-land“.
Das mögen hysterisierende Politiker so sehen, aber DER STERN schreibt, als sei
das wirklich so.
Und weiter: „So vermischt sich
vieles in diesem Sommer der Angst.“ Sommer der Angst? Nein. Sommer der
ängstlichen Politiker, denen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern bei den
Landtagswahlen in Kürze die AfD im Nacken sitzt. Diese Feinheit hat der STERN
nicht gesehen?
Weiter im STERN: Um das Maß voll
zu machen: „Deutschland im Sommer 2016 – es geht auch um die Frage, wie
bereitwillig sich die Politik von den Ängsten der Bürger anstecken lassen
will.“ Na sowas!
Wer steckt hier wen an? Wer läuft
mit dem Angstbazillus herum? Die Bürger nicht. Die Politiker sind es – aus
billigsten Wahlkampfgründen.
Sonntag, August 21, 2016
Mädels, Frauen, Damen?
Natürlich muss man die vielen
Fernsehberichte über die Olympiade in Rio nicht sehen, und auch die
Radioreportagen muss man nicht hören. Aber gelegentlich erwischt es einen dann
doch, zum Beispiel, wenn man auf eine Nachrichten-sendung lauert, die für
zwischendurch angekündigt ist – mit einer ungefähren Zeitangabe.
Wie es der Zufall will, begegnet
einem da immer wieder eine Kuriosität, die sich allerdings nicht auf die
Olympiade beschränkt, sondern offenbar „sportsmäßig“ ist, zum Sprachgebrauch
der Reporter gehört.
Fußball wird von Frauen gespielt,
Hockey aber von Damen. Beim Tennis ist mal von Frauen, mal von Damen die Rede.
Und bei den Handballerinnen (Handballerinen wäre doch viel schöner) heißt es
mal Mädels, mal Frauen, mal Damen. Ich kann mir keinen Reim darauf machen.
Vielleicht ist Hockey feiner als
Fußball und Handball. Das wäre eine
Erklärung. Aber warum wird dann beim Tennis mal von Frauen, mal von Damen
gesprochen? Liegt es daran, dass es auf den Courts nicht immer damenhaft
zugeht? Golf wird vermutlich nur von Damen gespielt, worüber aber nicht
gesprochen wird. Deshalb bewegen wir uns hier in einer Grauzone.
Ob Männer ihre angehimmelten
Wesen so, so oder so bezeichnen, spielt keine Rolle. Wenn es darauf ankommt, sind
die Mädels, Frauen, Damen genau so wenig zimperlich wie die Männer –
Verzeihung: Herren. Damit sei ein weltbewegendes Thema abgeschlossen.
Wenigstens für den Augenblick.
Schöner Schein
Auf dieser Seite berichtet DER
SPIEGEL in seiner Ausgabe 33 vom 13. August über die Schummeleien, wenn es
darum geht, sich bei einer Bewerbung ins beste Licht zu setzen. Jeder dritte
Bewerber soll es da nicht so genau nehmen.
Die für mich interessanteste
Passage: „Dass gerade Politiker mit abenteuerlichen Geschichten durchkämen, sei kein Wunder“, sagt Tiemo
Kracht, Geschäfts-führer Executive Search bei der Personalberatung Kienbaum.
„Welchen fachlichen Hintergrund
die Kandidaten mitbringen, ist in ihrem Alltag oft nicht entscheidend. – Politiker
verdanken ihren Aufstieg meist ihrer Parteiarbeit“.
Das dürfte die Ahnungslosigkeit
vieler Politiker erklären. Sie sind eben nicht Leute vom Fach und deshalb mehr
als es gut tut, Lobbyisten angewiesen. Und da ist, wie wir wissen, guter Rat
teuer – in vieler Hinsicht.
Samstag, August 20, 2016
Können Underdogs bellen?
Was mich angeht: Ja. Ein
entschiedenes, klares, nachdrückliches und sonst-noch-was-Ja. So wie man das
heute gern ausdrückt.
Wenn die Diplom-Pädagogin und
Trainerin Adela Mahling in ihrem Institut in Erkelenz Seminare zum „Systemischen Konsensieren“ abhält (wer
hält sie eigentlich davon ab, so etwas abzuhalten?), dann knurrt mein underdog
nicht nur, mein underdog bellt. Und wenn ich ihn nicht an die Leine nehme, dann
beißt er vielleicht auch noch. Ob meine Haftpflichtversicherung da einspringt?
Ich sollte mich vorsehen. Man weiß ja nie.
Es ist gewiss wichtig, zu lernen,
wie man richtig miteinander redet und fruchtbare Diskussionen führt. Darum
scheint es zu gehen. OK. Aber Konsensieren? Ich habe noch nie konsensiert und
werde das auch nicht tun. Und systemisch bin ich bisher auch nicht vorgegangen,
systematisch schon – wenn auch nicht immer.
Ich gebe ja zu: Kein Abitur, kein
Studium, nichts. Nur Arbeit. Aber bin ich deshalb ein underdog? Muss ich mir
diplompädagogische Begriffe wie konsensieren um die Ohren schlagen lassen? Nee,
das muss ich nicht. Ganz besonders dann nicht, wenn in dem
Deutschlandfunk-Kultur-Gespräch, das mich so ärgert, die eine Dame fragt, wo
denn das Bild „aufgehangen“ werden soll.
Ist das nicht genau so schlimm
wie „Wann haben Sie das letzte Mal gewunken“. Gewunken! Der Duden findet das in
Ordnung. Ich nicht. Noch einmal, auch wenn es allen zum Hals raushängt:
„Stinken, stank, gestunken“ ist in Ordnung (auch wenn wir uns die Nase
zuhalten). Aber „winken, wank, gewunken“? Da stimmt doch was nicht.
Um das Maß voll zu machen: Herr
Wilfried Jelge, Deutsche Gesellschaft für auswärtige Politik, spricht von einem
„dysfunktionalen“ Staat. Ich verkneife es mir, diesen Unfug zu übersetzen. Das
soll, bitte schön, jeder Leser selbst tun. Es gibt zig Möglichkeiten.
Da lässt sich das
Bundesfinanzministerium natürlich nicht lumpen: „Kooperationswilligkeit und
–fähigkeit kann finanziell befleißigt werden“, heißt es. Wie so etwas
befleißigt werden kann, ist mir rätselhaft. Was heißt befleißigen? Aber wir
müssen ja nicht alles wissen. Wüssten wir es, würden wir vielleicht keine
Steuern mehr zahlen.
Weil das Finanzministerium alles
so genau nimmt, machen wir das hier auch mal so. Kooperationswilligkeit und
Kooperationsfähigkeit sind zwei verschiedene Dinge. Deshalb, Herr Schäuble,
wäre hier der Plural angebracht.
Bitte, gebt meinem underdog doch endlich das
Leckerli, um das er bettelt: einfaches gutes Deutsch – nicht zu verwechseln mit
der Leichten Sprache.
Rassenschande. Die Kaninchenzüchter lassen grüßen
Rassismus ist zurzeit das große
Thema, befeuert durch die vielen Flüchtlinge, die aus den fernsten Ländern zu
uns kommen. Politiker versuchen uns einzureden, dass die meisten von uns Angst hätten
vor den Fremden. Wer sich ein wenig in seiner Nachbarschaft umsieht, wird
selten, wenn überhaupt, auf diese Angst stoßen. Sie scheint im Wesentlichen
wirklich eine Erfindung der Politiker zu sein.
Sehen wir uns die Sache mal etwas
genauer an. Rassismus setzt voraus, dass es unterschiedliche Menschenrassen
gibt. Gibt es die wirklich? Im 19. Jahrhundert war man, zumindest im
hochnäsigen Europa der Kolonialzeit, davon überzeugt. Wer in diese Zeit zurück
will, sollte es zugeben.
Weil nicht die Sonne, sondern die
Sprache die Dinge an den Tag bringt – Sprache, eine der gefährlichsten Waffen
überhaupt – sehen wir, dass Rassismus, Rasse und Rassenschande zusammenhängen,
nichts geht ohne das andere. Nicht ganz leicht zu verstehen?
Fangen wir mit der Rassenschande
an. Alles weiterer erklärt sich dann von selbst: Wenn ein Jude mit einer
Deutschen ins Bett ging, war das im Nationalsozialismus Rassenschande. Wenn
sich eine Weiße mit einem Farbigen einließ, war das Rassenschande. Wenn ein
Weißer mit einer Farbigen schlief, war das – keine Rassenschande.
Das ist Rassismus auf dem Niveau
von Kaninchenzüchtervereinen. Nichts gegen Kaninchenzüchter. Wenn sie ihre
Kaninchenrassen rein halten wollen, ist das ihr Vergnügen. Aber sind wir
Menschen Kaninchen?
Eine Bordellbetreiberin hat das
Ganze sehr nüchtern gesehen: „Ob Weiße, Schwarze, Rote oder Gelbe – alle woll’n
dasselbe.“
Wem das zu starker Tobak ist, ein
kurzer Blick zurück auf diesen Goethe: „…auf einen groben Klotz ein grober
Keil…“
Freitag, August 19, 2016
Politik ist nicht alles
Politik ist das, was Politikern
am wenigsten Spaß macht, auch wenn sie das Gegenteil behaupten. Den Bürgern
macht Politik genau so wenig Spaß, aber sie sagen es wenigstens, nicht immer
leise. Das ist der Unterschied.
Wenn nun Politik nicht alles ist,
was ist dann das Andere, der Rest? Das Andere ist die Freude am Leben, die
Freude am Witzigen, am Leben, wie es sprüht und funkelt. Ein Beispiel gefällig?
„Ein Mann steht an einer Straße und klatscht regelmäßig in die Hände.
Warum machen Sie das? fragt ein Passant. Um die Elefanten zu vertreiben, sagt
der Mann. Funktioniert das denn? will
der Passant wissen. Aber sicher‘, antwortet der Mann, oder sehen Sie hier
irgendwo einen Elefanten?“
Das ist das Leben. So fröhlich, so albern, so bekloppt wie diese kleine
Geschichte kann es sein. Darüber sollten wir uns freuen. Das ist wichtig, ist
vielleicht das Allerwichtigste.
Wie gesagt: Politik ist nicht alles.
Montag, August 15, 2016
Bittgespräch eines Protestanten
Verehrter Dr. Martin Luther,
der du bist im Himmel, und
Meister des einfachen Wortes,
erbarme dich unser!
Fahre wie ein Blitz aus dem
Reich des verständlichen
Wortes
und tilge die Übel, die
überhand
nehmen.
Stopfe den Möchtegernen
gründlich
das Maul: Denjenigen, die aus
der
einfachsten Technik eine
Technologie
machen. Denen, die keinen
Anstand
verlangen, sondern eine
Anstands-
kultur und alle möglichen
Kulturen
darüber hinaus.
Treibe ihnen die Vergötterung
des
Englischen aus; denn es
schreit wirklich
zum Himmel.
Mit Public Viewing – der öffentlichen
Aufbahrung eines Toten, so
weit das
Englische – bezeichnen sie
hier eine
Fernsehübertragung auf
Riesenbild-
schirmen im Freien. (Ich
weiß, das
gab es damals auf der Wartburg
und
in Worms noch nicht.)
Ob du es auch fertigbringst,
den Wort-
verdrehern, den kleinen und
großen
Schwindlern, das Mundwerk zu
verbieten?
Sie machen aus der
Rüstungsindustrie eine
Verteidigungsindustrie, sie
sprechen von
vorläufiger Endlagerung, und
sagen nicht,
was sie meinen: die endliche
Vorläufigkeit
oder die vorläufige
Endlichkeit?
Bitte verbinde denen die
Augen, die in
Bildern sprechen möchten und
es nicht
können. So ersparst du uns,
dass „Droh-
kulissen erhöht“ werden,
niemand mehr
„die Summen nach oben
deckelt“ (wie
deckelt man sie nach unten?),
und dann
müssten wir auch nicht mehr
lesen, dass
„Der Schutzschirm bei weitem
noch nicht
ausgeschöpft ist“.
Und schließlich: Rufe die zur
Ordnung, die
jeder Mode hinterher rennen.
Bis vor drei
Jahren konzentrierte man sich
auf irgendetwas,
heute fokussiert man sich.
Überhaupt wird
alles und jedes in den Focus
gestellt.
Wenn du ein Zauberer wärst,
würde ich dich
bitten, das Wort Focus jedes
Mal in Lokus zu
verwandeln. Das würde helfen.
Aber du bist Dr. Martin
Luther, und du bist
weit weg. Trotzdem bitte ich
dich um Hilfe.
Vielleicht nützt es.
Kleine Schmuckstücke
-->
Im Allgemeinen kommt unsere
Alltagssprache recht unauffällig daher. Ein schmuckloses Wort reiht sich an das
andere zu einfachen Sätzen – sofern sich nicht Politiker und Manager über
unsere Sprache hermachen. Den meisten von gelingen sprachliche Missetaten am
laufenden Band.
Keine Angst! Ich verkneife mir
heute jedes Beispiel. Die Schublade, in die ich alle diese Scheußlichkeiten
stecke, bleibt zu. Ich öffne eine andere, viel kleinere. Aus ihr hole ich jetzt
ein paar Schmuckstücke heraus. Sie werden sehen, wie schön unsere Sprache sein
kann, wenn wir sie liebevoll behandeln.
Sind seichte Fernsehserien nicht
zauberhaft beschrieben mit Sing-Sang-Serie
und Talkshows mit Plapperprogramm? Oder laborkittelernst.
Kritik muss nicht verletzen; sie geht auch so. Himmelblau dumm. Sehen wir da nicht die ganze unschul-dige Dummheit
aus den Augen blitzen? Hoolygänse
für die Bräute der Hoolygans? Aber ja, kleines Schmuckstück. Und dann die reichlich Schönen, aufgelesen in
einer STERN-Reportage über das Leben und Treiben auf Sylt. Eine hübsche
Stichelei, nicht wahr?
Mehr davon, viel mehr davon!
Unser Deutsch kann so schön sein.
Sprachmüllabfuhr
-->
Politiker haben ihre Vorlieben,
was die Sprache, die Ausdruckweise angeht. Wenn sie „mit aller Entschiedenheit“
auftreten wollen, dann sagen sie gern, dass sie „mit aller Härte“ vorgehen
werden. Das soll Eindruck machen, klingt aber ziemlich lächerlich. Abgegriffen
ist die Formulierung sowieso. Genauso wie „instrumentalisieren“. Niemand und
nichts soll instrumentalisiert werden. Das Wörtchen ausnutzen ist zu billig?
Wieso eigentlich? So sprechen und schreiben wir doch nicht so in unserem
Alltag. Da sagen wir: „Ich lasse mich doch nicht ausnutzen“. Das kann man auch
so schreiben. Ist aber offensichtlich in Ver-gessenheit geraten. Schade.
Zu den billigen Redewendungen
gehört auch „offen sein“. Hier fehlt die Konsequenz. Wenn man schon für etwas
„offen“ ist, dann sollte man für anderes vielleicht „zu“ sein. Das aber sagt
niemand. Schade – oder glücklicherweise?
So geht das munter weiter im
Politsprech, den die Medien gern, zumindest aber gedankenlos, aufgreifen.
„Prekärer Artefakt“ – was ist darunter zu verstehen? Ein schwieriges, ein
heikles Produkt oder so? Keine Ahnung. Der Absender weiß es vielleicht selbst
nicht. Klingt aber beeindruckend.
Wenn wir etwas rückschrittlich
finden, dann sagen wir natürlich: das ist „regressiv“. Oder vielleicht doch
nicht? Wenn wir auf etwas zurückgreifen wollen, beispielsweise auf eine
Erfahrung, dann „regredieren“ wir? Aber selbstverständlich. Und wenn wir von
nützlichen Dingen sprechen, dann entscheiden wir uns ohne Frage für
„utilitaristisch“ anstelle von nützlich. Dann versteht man uns wenigstens
nicht, was sehr wichtig sein kann.
Wie schön sind da doch
Wortschöpfungen wie „ruderbare Bedingungen“. Gemeint war: Das Wasser war zu
kabbelig fürs Rudern um eine Olympiamedaille. Oder „Gesprächskanal“. Den, so
meinte – war es Herr Gabriel? – sollte man nützen. Wer eine „lange Leitung“
hat, soll sich keine Gedanken machen. Ich habe es auch nicht begriffen. So
dürfte es auch mit „Zeitverschiebung“ gehen. Wer verschiebt sie? Wie geht das?
Haben wir da etwa wieder einen Schwarzmarkt unseligen Angedenkens? Suche die
Wahrheit – biete zwei Stunden. Könnte doch sein.
Bevor jetzt die Sprachpolizei das
ganze Geschäft mit dem Sprachunsinn kaputt macht, noch dies: Die „gefühlten“
hundert Meter, die „gefühlten“ 40 Grad im Schatten sind nichts anderes als –
richtig: Einbildung. Aber „gefühlt“ ist „in“ und „eingebildet „out“. Keine
Sorge. Das wird sich ändern. Die Mode von vorgestern ist die von morgen. Und
umgekehrt.
Kurzer Sprung zurück zu gestern.
Da habe ich mir einen Bericht über Geheimbünde angesehen. Die Illuminati (die
Erleuchteten), ausgedacht und in Leben gerufen von Adam Weißhaupt in
Ingolstadt, die Rosenkreuzler, ihr Gründer hieß wirklich Rosenkreuz, und dann
die Isiskult-Anhänger. Alles sehr geheimnisvoll. Alles ernst zu nehmen und zugleich
auch lächerlich. Erwachsene, die nie erwachsen geworden sind? Ich will das
nicht behaupten. Aber ist dieser Gedanke so abwegig. Der Wunsch zu einer Elite,
einer gefühlten, pardon, einer eingebildeten, zieht viele Menschen
unwiderstehlich an.
Sonntag, August 14, 2016
Achtsam - ein Waschbärwort
Nicht nur mir wird auffallen,
dass das Wörtchen „achtsam“ Konjunktur hat. Vorgestern tauchte „achtsam“ so gut
wie nie in Zeitungen und in Politi-kersprechs auf. Jetzt begegnen wir ihm
überall und jederzeit. Was hat es damit auf sich?
„Achtsam“ ist ein so schönes
Wort, so behutsam. Mit dieser Feststellung kommen wir der Antwort auf unsere
Frage näher.
Behutsam, sorgfältig, vorsichtig,
rücksichtsvoll, aufmerksam, gewissenhaft, sogar liebevoll, alle diese kleinen
Wörter stecken in „achtsam“. Aber „achtsam“ frisst sie alle auf, so wie der
Waschbär so manchen unserer einheimischen Waldbewohner auf dem Gewissen hat.
Wie kommt es dazu, wenn doch
jedes der hier erwähnten kleinen Wörter genauer ist als… na, Sie wissen schon:
„achtsam“?
Muss immer schneller geschrieben
werden? Bleibt für Genauigkeit, das treffende Wort, keine Zeit mehr? Daran mag
es liegen. Nicht immer stellt sich das treffende Wort sofort ein. Man muss es
suchen. Das kostet Zeit. Vielleicht müssen wir nicht nur nach dem richtigen
Wort suchen, sondern auch noch nach der verlorenen Zeit.
Eine andere und viel kürzere
Antwort: Alle, die mit „achtsam“ um sich
werfen, sind zu faul, sich auf die Suche nach dem passenden Wort zu machen.
Aber das wäre zu gemein, weil es nicht stimmt. Jedenfalls nicht immer und nicht
bei Jedem. So ganz abwegig dürfte diese Vermutung jedoch nicht sein.
Zum Schluss für Rätselfreunde:
Wie viele Wörter liegen zwischen „einsam“ und „achtsam“? Die Finger dürfen zu
Hilfe genommen werden. Es sind genau….na?
Ausverkauf
Es gab Zeiten, in denen gab es
einen Sommerschlussverkauf und einen Winter-schlussverkauf. Da wollte der
Handel alles das loswerden, was er bis dahin nicht verkauft hatte. Der Handel
machte die Ware billiger, und die Kunden griffen zu.
Inzwischen scheint die Sache
nicht mehr so klar zu sein. Irgendwie ist immer Schlussverkauf. Das ist
vielleicht ein bisschen blöd, weil man nie genau weiß, woran man ist. Aber man
kann damit zurechtkommen.
Dummerweise gibt es Ausverkäufe
auch in der Politik. Das ist ein sehr viel größeres Problem. Also: Aufpassen! Denn
dieses Problem geht alle an, auch wenn wir es erst mal gar nicht merken.
Sehen wir uns mal den Fall (heute
gern auch causa genannt) Barroso an. Er war Präsident der EU-Kommission,
sozusagen allwissend und beinahe alles könnend.
Jetzt hat er sich als Berater an die Investmentbank Goldman Sachs
verkauft. Zu welchem Preis, ist unbekannt. Der spielt im Augenblick auch keine
Rolle. Es geht um mehr.
Ein kluger Schachzug von Goldman
Sachs, ohne Frage. Zum Vorteil der Investmentbank, die die Finanzkrise von 2008
wesentlich mit ausgelöst hat, und zum Vorteil des Herrn Barroso.
Alles einleuchtend. Alles in
Ordnung. So sind die Dinge nun mal geregelt. Aber ist das alles? Nein.
Die europäischen Bürger haben die
Mitglieder der Europäischen Kommission damit beauftragt, für das Gemeinwohl zu
arbeiten, für alle EU-Bürger. Darauf vertrauen sie – vergebens? Es sieht so aus.
Wenn ein Kommissionsmitglied,
wenn der Präsident der EU-Kommission, sein Wissen, seine Fähigkeiten, verkauft,
alles das, was wir Bürger ihm ermöglicht
haben – wir haben ihn ja schließlich bezahlt – dann ist da etwas sehr Wichtiges
nicht in Ordnung. Wir werden betrogen. Müssen wir uns das gefallen lassen?
Herr Barroso hat sicherlich finanziell
ausgesorgt. Muss er noch mehr haben? Und was will er mit dem Mehr? Fragt sich
denn niemand, wie wenig das alles im Grab wert ist?
Die Olympiade - ein Schauspiel ohne Grenzen
Wie grenzenlos, wie
besitzergreifend die Olympiade in Rio ist, zeigen die Öffentlich-rechtlichen –
ARD und ZDF –Tag für Tag, im Wechsel, von morgens bis abends. Wie viele andere
Themen von größerer Wichtigkeit und mehr Interesse damit nicht gesendet werden,
ist nicht einmal zu ahnen.
Die Sender halten uns Deutsche
offenbar für eine sehr sportliche, wenn nicht gar sportgestählte Nation. Wie
sind sie nur darauf gekommen? Haben die Programmgestalter keine Augen im Kopf?
Die Übergewichtigen und Fettleibigen drängen sich im Straßenbild immer mehr in
den Vordergrund. Die drahtigen Mädels und Jungs verschwinden immer mehr hinter
den raumeinnehmenden Körpern. Wo also ist das Sportliche, und wer sieht Olympia
– rund um die Uhr? Wer will das alles? Wer steckt dahinter? Am wenigsten wohl
die Olympioniken, die Sportler.
Sie wollen herausfinden, wer am
schnellsten laufen, am höchsten springen, am schlagkräftigsten boxen kann. Sie
wollen die besten Drei herausfinden. Dass sie aus ihren Leistungen auch etwas
Kapital schlagen wollen, die Betonung liegt auf etwas, ist verständlich und
soll nicht bemäkelt werden. Das Geld fließt woanders hin – in eine gut
geschmierte Geldmaschine, die IOC-Organisation. Es geht um Milliarden.
Wer davon im Einzelnen
profitiert, welche Funktionäre möglicherweise, ist nicht bekannt, lässt sich
kaum herausfinden. Bei den kleinen örtlichen Sportvereinen jedenfalls nicht,
wie ein Fernsehbericht über einen Offenbacher Sportverein kürzlich zeigte. Das
ist eines der noch nicht gelösten Olympiarätsel.
Ein anderes: Was bewegt Städte,
sich um die Ausrichtung einer Olympiade zu bewerben? Bisher haben so gut wie
alle, wenn nicht sogar wirklich alle Städte, mit ihrer Olympiade Millionen und
Abermillionen bis zu Milliardenbeträgen in den Sand gesetzt. Rom zahlt noch
heute die Schulden ab, die die Olympiade 1962 verursacht hat. Der reine
Größenwahn, könnte man sagen, der helle Wahnsinn. Die Frage, wer wirklich zur
Kasse gebeten wird, erübrigt sich.
Offensichtlich, und damit kein
Geheimnis, ist der Hang der Olympiafunktionäre zu einer besonderen Art der
Verlogenheit. Wer die 31 Hochhäuser in Rio für 18000 Olympiateilnehmer –
Sportler und Funktionäre – Dorf nennt, lügt. Münchhausens Lügen waren besser
und konnten deshalb durchaus bezaubern. Beim olympischen Dorf von Rio handelt
es sich um faulen Zauber. Das allerdings hat Tradition, wie das etwas andere
Beispiel des Olympischen Dorfs 1936 zeigt.
In der Nähe von Berlin wurde
tatsächlich ein Dorf gebaut, ein Dorf für die Olympioniken. Man kann es heute
besichtigen und wird bestätigen: Es war wirk-lich ein Dorf. Und man hatte ihm
einen Namen gegeben: „Dorf des Friedens“.
Das war eine faustdicke Lüge. Es
war Betrug. Das Dorf war für die Wehrmacht geplant, für die Ausbildung von
Soldaten, für die Vorbereitung des geplanten Krieges. Kaum waren die
Olympischen Spiele vorüber, zogen die Soldaten ein. Eine Lüge das Ganze? Ja,
vielleicht eine von den kleineren. Was dann kam, weiß jeder: Die Vertreibung,
die Verfolgung, die Ausrottung unsere jüdischen Mitbürger. Und das war erst der
Anfang.
Machen wir uns nichts vor. Man
kann nicht nur andere betrügen, sondern auch sich selbst. Dem Olympiasystem,
also seinen Funktionären, gelingt beides. Die Olympischen Spiele seien
völkerverbindend, friedensstiftend und was sonst noch so gesagt wird.
Unsinn! Der Krieg der Völker wird
wie auf jeder Olympiade auch in Rio mit aller Verbissenheit geführt. Die
Gewinner- und Verlierertabellen sprechen eine deutliche Sprache. Mit aller
Verbissenheit? Mit allen Mitteln. Ein Schelm, wer jetzt an Doping denkt. Ein
doppelter Schelm, wer annimmt, auch Funktionäre könnten gedopt sein.
Die Olympischen Spiele
abschaffen? Nein, aber bitte zur Vernunft bringen.
PS: Damit es zum Schluss doch
noch etwas zu lachen gibt: Wenn Trampolin und Sportklettern schon Olympische
Disziplinen sind, warum dann nicht auch „Haut den Lukas“, „Blechdosenwerfen“
vom Jahrmarkt, „Bodybuilding“, „Um die Wette Würfeln“ und „Wer schafft die
meisten Currywürste in drei Minuten“? Vielleicht Messerwerfen wie auf der
Kirmes? Das Guinessbuch der Rekorde bietet da bestimmt viele Anregungen.
Freitag, August 12, 2016
"Was darf Religion?"
Wenn Terroristen sich auf Gott berufen, wächst
die Skepsis gegenüber dem Glauben. Was zu tun ist.“ Heinrich Bedford-Strohm,
Ratsvorsitzender der EKD (Evangelische Kirche in Deutschland).
Mit dem Hinweis auf das „Was zu
tun ist“, nimmt sich Herr Bedford-Strohm viel vor. Wird er es wirklich wissen?
Glücklicherweise geht er mit seiner Glaubensgemeinschaft, der Evangelischen
Kirche in Deutschland, kritisch um. Das lässt hoffen.
Die Einleitung ins Thema
überzeugt. Da ist von Recht und Gerechtigkeit die Rede, und dass diese Begriffe
„schon in den ältesten Texten der Bibel eine zentrale Rolle spielen.“ Und
weiter: „Herrschaft des Rechts heißt, dass nicht diejenigen das letzte Wort
haben, die andere Worte mit Gewalt ersticken; es heißt, dass die Starken an
Regeln gebunden sind, von denen auch die Schwächsten profitieren.“ Einige
Zeilen danach: „Die Kirche weiß aus eigener Geschichte, wie wichtig es ist,
dass dem Begriff des ‚Rechts‘ der Begriff der ‚Gerechtigkeit‘ zur Seite steht.“
Diese beiden Begriffe stehen sich
aber nicht zur Seite, sie stehen oft im Widerspruch zueinander. Das stellt auch
Bedford-Strohm fest. „Formal eingehaltenes Recht kann zum Unrecht werden, wenn
Gerechtigkeit fehlt“, sagt er. Die
nationalsozialistische Rechtssprechung, die jüdischen Mitbürger betref-fend,
ist eins der scheußlichsten Beispiele dafür.
Bedford-Strohm hat fünf
Kritikpunkte, er nennt sie Grundansätze, herausgearbeitet:
Erstens die Berufung auf Gott. George W. Bush 2004: „Ich glaube,
dass Amerika berufen ist, die Sache der Freiheit in ein neues Jahrhundert zu
führen.“ Freiheit sei „das Geschenk des allmächtigen Gottes an jeden Mann und
jede Frau in der Welt.“ Das Ergebnis: Krieg, Mord und Totschlag.
Zweitens die Berufung auf das „christliche Abendland“. Dazu hat der Historiker Michael Brennern
gesagt: „Für uns Juden war Europa nicht das Straßburger Münster und der
Spiegelsaal von Versailles, sondern Inquistion, Kreuzzüge, Pogrome und die
Gaskammern von Auschwitz.“ „Kulturelle Demut ist die einzige christlich
angemessene Antwort auf diese Einsicht.“ – so Bedford-Strohm.
Drittens die „multikulturelle Gesellschaft“. Angestrebt wird ein
friedliches Zusammenleben der
Religionen. Mehrheit und Minderheiten sollen sollen sich gegenseitig
achten. Hier gibt es Schwierigkeiten, angefangen bei
Familienauseinandersetzungen. „Nebeneinander in homo-genen Subkulturen zu leben
ist jedenfalls keine Lösung.
(Bedford-Strohm) Wie das Miteinander zu erreichen ist? Es bleibt bei der
Frage. Versuch einer Antwort: Das Problem können nur Menschen lösen, nicht
Institutionen.
Viertens die „Religion als Privatsache“. Wenn der Staat
weltanschaulich neutral sein will, muss er religiöse und nichtreligiöse
Ansichten und Standpunkten gleichermaßen zulassen. „Die Privatisierung von
Religion fördert nicht Toleranz und Offenheit, sondern hemmt und verhindert sie
sogar.“ (Bedford-Strohm) Die USA geben hier ein schlechtes Beispiel.
Fünftens die „öffentliche Religion“. Gemeint ist
„Religionsunterricht an Schulen und öffentlich finanzierte Lehrstühle für
christliche, jüdische und islamische Theologie sind daher Aktivposten für ein
friedliches Zusammenleben in der Gesellschaft.“ Ich verstehe das so: Gleiches
Recht für alle. Gleiche Pflichten für alle. So einfach ist das und zugleich so
schwierig.
Wir müssen nicht alle Menschen
lieben. Aber wir müssen ihnen die gleichen Rechte einräumen, die wir für uns in
Anspruch nehmen. Und genau das dürfen wir auch von ihnen verlangen. Geben und
nehmen gehören zusammen.
Mittwoch, August 10, 2016
Himmel und Hölle
Gero von Randow schreibt in der ZEIT vom 4. August: „In Frankreich, Österreich und
Amerika könnten alsbald Autokraten an die Staatsspitze gewählt werden. Das
gefährdet die Demokratie.“
Ich finde, das ist wirklich zu
befürchten. Ein paar Sätze in diesem Beitrag öffnen einem die Augen. Da heißt
es zum Mechanismus autoritärer Herrschaft:
„Plebiszitäre Rituale genügen ihr
nicht, denn Autoritärsein umfasst die Möglichkeit, die Unterworfenen zu
überwältigen. Außer der Legitimation von unten sucht die autoritäre Herrschaft
daher Legitimation von oben, aus dem Himmelreich nationalistisch-religiöser
Ideen – zu besichtigen in Osteuropa und in der Türkei, in Russland und
anderswo. Die Methode, diesseitige Herrschaft im Jenseits zu verankern, ist so
alt wie der Staat. Älter als die Demokratie. Gegen diese Herrschaftsmethode
musste die Demokratie überhaupt erst erkämpft werden.“
Lenin soll gesagt haben, Religion
sei Opium für das Volk. Er hat seine „Weltanschauung“ zur Religion erklärt, wie
andere Autokraten nach ihm auch. Ein bewährtes Konzept, wie Herr Erdogan in
diesen Tagen und Wochen beweist.
Notierenswert auch, dass der
Autor Herrn Seehofer zitiert: Sicherheit ist das höchste Gut einer Demokratie“,
sagte der Herr. Und Herr von Randow vermerkt. „Ach so? Nicht die Freiheit?“ DER
SPIEGEL hatte sich diesen Seehofer-Unsinn auch schon vorgenommen. Man kann gar
nicht genug aufpassen.
Die Schande bleibt
Für sechs Millionen Euro soll die Lübecker
Synagage saniert werden, samt Fassade aus der Nazizeit.“ Die ursprüngliche
Synagoge war ein Prachtbau, die Fassade im maurisch-byzantischen Stil, das Dach
von einer großen Kuppel gekrönt. An der Einweihung 1880 nahm der gesamte
Lübecker Senat teil.
In der Reichspogromnacht 1938
wurde die Synagoge mit Rücksicht auf die dichte Bebauung in der Altstadt nicht
abgefackelt. Aber bleiben sollte sie auch nicht. Deshalb wurde sie nach Plänen
des obersten Denkmalpflegers zwischen 1939 und 1941 „zurückgebaut“, die Kuppel
entfernt, die Fassade durch schlichte Backsteine ersetzt. So steht sie noch
heute da, nach jahrzehntelanger Vernachlässigung in einem jämmerlichen Zustand.
Der sollte nun endlich beendet werden. 6,3 Millionen sollte die Sanierung
kosten. Die Possehl-Stiftung wollte die eine Hälfte übernehmen, der Bund die
andere. Daraus wird nun erst einmal nichts. Die Stiftung hat sich vom Projekt
zurückgezogen – warum, ist nicht bekannt – Grund für den Bund, auch nicht zu
zahlen. Zu verstehen ist weder das Eine noch das Andere. Ich gehe trotzdem
davon aus, dass die Synagoge zum Schluss doch noch saniert wird.
Die Frage ist nur: wie? Das ist
für mich der springende Punkt. Der Denkmalschutz lehnt eine Abriss der
Backsteinfassade ab – „sie sei ‚ein einzigartiges Zeugnis der jüdisch-deutschen
Geschichte‘.“ Das kann man so sehen. Der Bund Deutscher Architekten sieht das
anders. „Das sei ‚Nazi- beziehungsweise Täterarchitektur‘ – schließlich sollte
sie ‚die Erinnerung an jüdisches Leben in Lübeck auslöschen‘.“
Ich teile die Ansicht der
Architekten. Die Nazis hatten die Synagoge in eine Sporthalle umgewandelt. Die
Backsteinfassade entsprach diesem missbräuchlichen Zweck. Die geplante Sanierung soll aus der
„Sporthalle“ wieder eine Synagoge machen, nicht zuletzt im Inneren. Dazu gehört
allerdings auch das Äußere, die maurisch-byzantinische Fassade und die
prachtvolle Kuppel.
Bildungsfern
Bildung, Bildung, Bildung, nichts
ist wichtiger als Bildung, sagen Politiker jeglicher Partei-färbung, nicht
zuletzt auch Frau Merkel. Nur wenn wir klug sind und noch klüger werden, haben
wir eine Zukunft. Das dürfte stimmen. Aber wie sollen wir das schaffen? Die
Politik scheint da keine große Hilfe zu sein. Manchmal stellt sich das Gefühl
ein, dass nicht nur die Millionen Analphaben und die Nur-Fernseh-Konsumenten
bildungsfern sind, sondern die Politiker selbst – auf eine besondere Art. Sie
haben kein Talent, uns Bildung nahe zu bringen. Im Gegenteil: Sie machen es uns
schwer, uns Bildung anzueignen.
Zugegeben: Es werden von Bund,
Ländern und Gemeinden viele Milliarden in Bildung gesteckt. Aber es wird schwer
gemacht, das viele Geld in Erfolg umzusetzen. Der Beitrag „Eine Frage der
Lehre“ von Miriam Gebhardt, DIE ZEIT, 33, 4. August 2016 legt das nahe.
Es geht unter anderem darum, dass
Privatdozenten von den Universitäten nicht bezahlt werden. Tausende
habilitierte Wissenschaftler in Deutschland müssen Vorlesungen umsonst halten.
Wenn sie sich weigern, wird ihnen der Titel PD – Privatdozent – entzogen.
Aber das ist es nicht allein.
Lehrbeauftragte werden als Selbständige angesehen und deshalb mit
Honorarverträgen entlohnt. 20 bis 55 Euro gibt es pro Unterrichtsstunde. In
Wirklichkeit ist es viel weniger, denn die Vor- und Nachbereitungszeiten werden
nicht bezahlt. Es heißt, dass nur die wenigsten den Mindestlohn erzielen. Die
Kosten für Kranken- und Rentenversicherung zahlen sie selbst. Für die
Hochschulen ist das ein gutes Geschäft: „maximale Arbeitskraft zu minimalem
Preis“. Es geht also wieder mal ums Geld. Und das scheint mit der Bildung nicht
viel am Hut zu haben.
Ist eine Lösung in Sicht? „Die
Lehrbeauftragten-Veteranin Linda Guzzetti glaubt deshalb, dass nur eines helfe:
‚Eine Unterrichtsstunde müsste immer gleich viel kosten, egal ob sie von einem
Angestellten oder Lehrbeauftragten
absolviert wird, und zwar inklusive aller Sozialabgeben‘.“
Der radikale Vorschlag von Herrn
Hippler, Vorsitzender der Hochschulrektorenkonferenz (HRK): „ Wenn die
Lehrbeauftragten mal alle gleichzeitig ihren Stift fallen ließen, dann würde
man ganz schnell merken, wie schief das System hängt.“
Es bleibt nicht viel Zuversicht,
dass Politik und Universitäten uns Bildung wirklich nahe bringen können,
jedenfalls nicht so wie bisher. Zum Schluss noch ein Wortspiel. Vielleicht regt
es zum Nachdenken an: Bildungsfern – bildungsnah – gebildet. Ist man als
bildungsnaher Mensch schon gebildet? Vielleicht? Ja? Nein? Und überhaupt: Was
ist Bildung? Vielleicht Herzensbildung? Ich glaube, dieses Wort ist so
einzigartig deutsch wie Kindergarten und German Angst.
3 - 3 - 3
„333 – bei Issus Keilerei.“ Das
brachte unser Geschichtslehrer mir und meinen Klassenkameraden bei. Die
gewünschte Antwort, wenn er danach fragte: Da hat Alexander der Große die
Perser vernichtend geschlagen. Richtig. Setzen.
So war vor rund 70 Jahren der
Geschichtsunterricht. Ist er heute auch noch so? Sollte er so sein? Ereignisse
pauken – wann war was? – ohne Hintergrund, ohne Zusammenhang, und wenn doch,
dann nur flüchtig und andeutungsweise?
Damit, wenn hier auch etwas zugespitzt
formuliert, der Kürze wegen, befasst sich der Text von Louisa Rechstetter, DIE
ZEIT 33, 4. August „Was geschah vor 1789? Nicht so wichtig.“
Zwei Parteien liegen im Streit.
Die eine sagt: „Es geht nicht mehr darum, einen Wissens-kanon abzufragen,
sonder mithilfe des Geschichtsunterrichts aus Jugendlichen studierfähige junge
Erwachsene zu machen.“ Die andere Seite hängt an der 3-3-3-Methode, weil neue
Überlegungen Themenfelder und Ziele in den Mittelpunkt stellen, nicht aber
Einzelheiten wie die Schlacht bei Issus.
Ich denke, es ist richtig,
Zusammenhänge kennenzulernen, über Themen zu sprechen und nicht Daten zu
pauken.
Ob die neuen, vielleicht gar
nicht so neuen Pläne unsere Jungs und Mädels wirklich klüger machen, steht auf
einem anderen Blatt. Die Menschheit ist nur bedingt lernfähig, was wir uns
täglich selbst vor Augen führen. Für diese Erkenntnis müssen wir nicht nach
Moskau, nach Istanbul, nach Washington, nach Budapest oder Warschau reisen. Wir
haben diese Probleme vor unserer Haustür. Aber klar: Vor den Türen anderer zu
fegen, fällt leichter.
Montag, August 08, 2016
Hass, Hass, Hass!
Die Welt ist voller Hass. Jetzt schlagen hier bei
uns Türken auf Türken ein. Erdogan-Türken gegen Gülen-Türken. Mord und
Totschlag. Alles scheint außer Rand und Band zu sein. Es ist zum Verzweifeln.
Die Bilder aus der Türkei, die hunderttausende
rote Fahnen, eine Million sollen es gewesen sein auf dem Taksim-Platz, erinnern
an den deutschen Wahnsinn im vergangenen Jahrhundert. Was wird da entstehen? Es
ist zum Fürchten.
Wenn es das nur wäre! Gegen alles
und jedes wird Sturm gelaufen. Überall wird gezündelt. Es wird immer
schwieriger, das zu überblicken. Herr Wilders, Herr Orban, Herr Kaczynski in
Polen, Frau le Pen in Frankreich, Trump in den USA usw. usw. Ein Ende ist nicht
abzusehen. Das neueste Beispiel gibt Duderte, seit Kurzem Präsident der
Philippinen.
Soviel zu lesen ist, sind die
Philippinen ein durch und durch drogenverseuchtes Land. Duderte hat die
Präsidentschaft gewonnen mit dem Versprechen, damit ein Ende zu machen. Und das
macht er – mit einer Rücksichtslosigkeit, die beispiellos ist. Er lässt die
Dealer und alle, die dafür gehalten werden, abknallen wie tollwütige Hunde.
Von Todesschwadronen ist die
Rede. Privatem Hass, privater Rache sind Tür und Tor geöffnet. „Tötet sie alle
und beendet das Problem“ – so Duderte. Ist das der Weg zu einem drogenfreien
Land? Wer will das wissen?
Mao tse Tung und Stalin
jedenfalls haben es auch so gemacht. Das Ergebnis in beiden Fällen: ein
unfreies Land, Millionen und Abermillionen Tote. Diktatoren nehmen das nicht
etwa in Kauf, sie wollen das. Ihnen ist jedes Mittel recht. Und sie wenden
jedes Mittel an. Ein Horror-, ein Schreckensbild? Nein, eine nüchterne
Bestandsaufnahme. So ist es – im Großen wie im Kleinen. Und nun?
An die Großen kommen wir
natürlich nicht heran, und wenn, dann würden sie uns auslachen. Es bleibt uns
nichts anderes übrig, als sie nicht groß werden zu lassen. Wir sollten
Politiker nicht abkanzeln, weil sie Politiker sind. Wir sollten uns vor dem
„die da oben, wir hier unten“ hüten. Damit betrügen wir uns nur selbst.
Es wird nur eins helfen. Wir
müssen den vermeintlich „Großen“ auf die Finger sehen, müssen ihnen
gegebenenfalls auf die Finger klopfen, bevor sie größen-wahnsinnig werden. Und
das muss ganz unten anfangen, bei jedem Einzelnen, in jedem Dorf. Partei
ergreifen ist wichtiger als in einer Partei zu sein. Klingt einfach, ist aber
schwierig. Na, und? Wir müssen ja auch mit anderen Schwierigkeiten fertig
werden und schaffen das.
Übermenschen
Die Geschichte, die ich hier notiere, hat im ZEITMAGAZIN 33 vom 4.
August einen anderen Titel: „Papa mobil“.
Sie berichtet einfühlsam über das
Problem der Herren Gabriel, Gröhe, Habeck und Schröder, Job und Familie unter
einen Hut zu bekommen, genauer: Politiker und Vater zugleich zu sein. Das
gelingt nach Auskunft der vier Herren nur unvollkommen. Nicht die Arbeit, die
Politik kommt zu kurz, sondern die Töchter und die Söhne. Sie wissen das und
können es offensichtlich nicht ändern. Wie traurig sie das finden, sagen die
folgenden Zitate:
Sigmar Gabriel – „Wenn meine Frau
erzählt, dass meine Tochter, wenn sie mich im Fernsehen sieht, mich am
Bildschirm streichelt, finde ich das traurig.“ Hermann Gröhe – „Dass mein Blick
immer, auch bei privatesten Dingen, auf meinen Kalender fällt, ist für meine
Familie sicher eine Belastung.“ Ole Schröder – Ich vermisse meine Kinder am
Montag mehr als am Freitag. Es ist alarmierend, wenn man merkt, dass die
Bindung dann eine andere ist.“ Robert Habeck – Ich verpasse Elternabende, ich
verpasse die Handballspiele meiner Söhne, ich bin bei gemeinsamen Aktionen nie
dabei.“
Ja, ich finde das auch traurig.
Ich weiß, wovon die Rede ist. Ich war selbst fünf Jahre Wochenendvater. Und ich
weiß heute noch nicht genau, was meinen Söhnen und mir dadurch entgangen ist.
Dass wir trotzdem eine glückliche Familie sind, ist mir wohl am wenigsten zu
verdanken.
Natürlich könnte man jetzt sagen:
Die Herren haben sich ihre Probleme selbst eingebrockt. Aber: Wenn Herr Gabriel
für zweieinhalb Tage alle Termine absagt, weil seine Tochter Scharlach hat,
muss man dann gleich so gemein sein und schreiben: „Unfassbares Verhalten. Dann
darf er keinen Ministerposten bekleiden!“ Oder: „… Die haben sich die Arbeit ja
ausgesucht. Und wenn man sich so eine
Aufgabe wählt, sollte man auch den Preis zahlen.“ Nein, ich finde das und auch
hämische Bemerkungen in der Presse billig und unanständig.
Wenn Sie jetzt fragen, was das
alles mit der Überschrift „Übermenschen“ zu tun hat, dann muss ich gestehen: nichts.
Sie werden aber gleich sehen, dass ich Sie nicht an der Nase herumführen
wollte. Mir ist im ZEITMAGAZIN-Bericht etwas aufgefallen, das Erklärung
dienen sollte, mehr so als Hintergrund. Ich meine
das"eng getaktete Arbeitsprogramm der Politiker.Das hat mich beschäftigt.
Herr Gabriel muss morgens den
chinesischen Handelsminister treffen, dann interne Gespräche führen, ein
Gasturbinenwerk in Berlin besichtigen, einer Integrationskonferenz der
SPD-Fraktion vorsitzen, zu einer Parteiveranstaltung nach Magdeburg reisen,
dann an einer Talkrunde in Berlin teilnehmen. Muss er? Macht er!
Oder Herr Gröhe: Sieben Termine
in 14 Stunden gibt ihm sein Büro als Tages-pensum vor.
Oder Herr Schröder: Der erste
Termin morgens um acht oder früher, der letzte abends um zehn.
Und Herr Habeck: Kurze Rede in
irgendeinem Kulturzentrum, Interview in SAT 1 zur Energiepolitik, Telefonat mit
der Parteizentrale, Besuch auf einem Bauern-hof und noch ein Interview.
Kein Wunder, dass alle ein volles
Programm haben, Tag für Tag, bis zu 80 Stun-den die Woche. Aber nicht einmal
das ist das Problem. Das wirkliche Problem: Kein Mensch kann zig
unterschiedliche Aufgaben im Stunden- oder Minutentakt Tag für Tag lösen – es
sei denn, er sei ein Genie. Diesen Anspruch erheben, soviel ich weiß, nicht
einmal unsere Ministerinnen und Minister.
Die Hetze
von Termin zu ´Termin, von Thema zu Thema lässt keine Zeit – weder zum Vor-
noch zum Nachdenken. Das hat Folgen. Den Entscheidern wird von Unterentscheidern und
Unterunterentscheidern zugearbeitet? Die Entscheider müssen nicht alles selbst
denken, es wird vorgedacht? Das ist zu vermuten. So stellt sich die Geschichte
von Übermenschen als Märchen heraus. Und auf diese Weise wird so vieles in der
Politik Murks. Wen wundert’s? Nicht nachgedacht, aber gemacht.
Randbemerkung: Herr Gröhes
Berliner Dienstwohnung liegt nur 200 Meter Luftlinie, knapp fünf Minute von
seinem Ministerium entfernt. Trotzdem benutzt er für diesen Weg seinen
Dienstwagen. Was soll man dazu sagen?