Mittwoch, Dezember 16, 2015

Geduldsspiele

So könnte man die Klimakonferenzen nennen, wenn es nicht bitterer Ernst wäre: 1997 Kyoto, 2009 Kopenhagen und nun 2015 Paris.

Jetzt jubelt alle Welt. Der große Durchbruch! Wir haben es geschafft. Start soll 2020 sein. Also dauert es noch. Aber das ist verständlich; denn was sich wie Verpflichtung liest, sollten wir lieber nicht so nennen. Weil alles so kompliziert ist, fängt jetzt erst die eigentliche Arbeit an. Da werden die fünf Jahre schnell dahin sein. Und dann wären seit Kyoto 23 Jahre vergangen. Eine lange Zeit.

Wirklich? Wenn ich lese (Hamburger Abendblatt 12./13. Dezember), dass mit dem Planfeststellungsverfahren für die 2,8 km kurze Westumgehung von Pinne-berg 1988 begonnen wurde und jetzt – nach 27 Jahren – der erste „symbolische“ Spatenstich getan wurde – dann, ja dann haben wir beim Klima ja richtig Tempo gemacht.

Alles ist eine Frage der Zeit und wie wir mit ihr umgehen. „Eile mit Weile“ und „Je langsamer du gehst, desto weiter kommst du“ sind offenbar Volksweisheiten, denen wir gern folgen. Ob das auf die Dauer gut geht? Zweifel sind erlaubt.
15. 12. 2015

Freitag, Dezember 04, 2015

"Der Maulkorb"

„Alle Macht der Handelskammer!“  So liest sich nicht nur auf den ersten Blick der Leitartikel im Hamburger Abendblatt vom 2. Dezember 2015.

Einverstanden: Alles Gute, was die Handelskammer nicht nur für ihre (Zwangs)mitglieder bewirkt hat, soll nicht infrage gestellt werden. Aber Hochmut kommt vor dem Fall, und so ist es nun mal.

Dabei fing alles so ehrenwert an, wie der Autor vermerkt: „Interessenvertretung lautet eine ihrer Aufgaben seit 350 Jahren, damals galt es, ‚Drangsahl und Beschwerden‘ beim Hamburger Rat vorzutragen. Das muss ihr auch heute gestattet sein.“

Richtig. Eine „stumme“ Kammer ist keine Kammer, die man braucht. Aber eine vorlaute Kammer, eine, die sich hineinmischt in das, was sie nichts angeht,  wird genauso wenig gebraucht. Und wenn sie es doch tut, darf man ihr durchaus den Mund verbieten. Das hat das Verwaltungsgericht getan. Glücklicherweise.

Von „Drangsahl“ konnte in der Affäre Netzerückkauf nicht die Rede sein. Diese Affäre hat zu dem Urteil der Verwaltungsgerichts geführt, ist nicht nur rückwärts gerichtet, sondern hat auch Bedeutung für die Zukunft. Bei der Ausübung ihres Mandats wird die Handelskammer das „höchstmögliche Maß an Objektivität walten lassen“ müssen. Unverständlich, wie der Leitartikler schreiben  kann: „gut ist das nicht“.

Unverständlich auch die Eile, mit der das Abendblatt hier zur Sache kommt. Die für die Kammeraufsicht zuständige Wirtschaftsbehörde benimmt sich vernünf-tiger: „Erst wenn uns die Urteilsgründe der Entscheidung vorliegen, können wir eine Bewertung vornehmen“, sagte ihr Sprecher Richard Lemloh.

Klar, eine Tageszeitung ist ungeduldig. Nicht nur die schlechten Nachrichten sind gute Nachrichten, sondern auch die schnellen. Aber zu oft sollte so etwas nicht passieren.

03. 12. 2015

Das große Misstrauen - Eine Polemik

Endlich mal Tacheles reden

Endlich mal die Sau raus gelassen. Endlich mal gesagt, was man doch wohl noch sagen darf. Der stellvertretende Chefredakteur des Hamburger Abendblatts von der Leine gelassen. Polemik. Wie ehrlich. Wie schön nach all dem Getue und Geschreibe zu den Olympischen Sommerspielen 2024 in Hamburg!

Wie es sich für eine anständige Polemik gehört, wird auf nichts Rücksicht genommen. Alles wird einem links und rechts um die Ohren geklatscht, und es bleibt einem nichts anderes übrig, als auf jede Klatsche zu antworten, Klatsche für Klatsche – wie du mir, so ich dir. Der Polemiker hat es so gewollt. Also los!

„Wie nie zuvor haben die Olympia-Befürworter das Gespräch mit den Gegnern gesucht… Olympische Spiele 2024 sollten nicht eine fixe Idee von oben sein, sondern alle in der Stadt mitnehmen.“

Ach ja. Es war aber eine fixe Idee, wie der Abendblatt-Polemiker in seinem Leitartikel am 2. Dezember selbst schreibt: „... eine Idee… die in der Handelskammer geboren, entwickelt und forciert wurde.“

Die Olympischen Spiele – ein Sportereignis? Wer kann das noch glauben? Es geht um Kommerz. Und genau das dürfte der Grund für das Engagement der Handelskammer gewesen sein. Seitenweise hat nicht nur das Abendblatt darüber geschrieben, welchen Geldsegen die Olympischen Sommerspiele 2024 über die Hansestadt ausschütten würden. Alles nur spekulativ, aber Wunsch und Wille waren konkret, mit beiden Händen zu greifen.

Was das Sportliche angeht:  Seit wann sind die Handelskammerherren sportlich? Ja, was ist bei den Olympiaden überhaupt noch Sport? Wenn auf einen Sportler sieben Funktionäre kommen, - irgendwo war das auch im Abendblatt zu lesen, dann fragt man sich nicht „wo laufen sie denn“, sondern „was läuft denn da?“ Die wenig überraschende Antwort: Das Geschäft.

„Deutschland ist Neinsagerland.“ Das ist die nächste Klatsche unseres Polemikers. Ziemlich frech, nicht wahr? Nur weil die Leute in Garmisch-Partenkirchen, in Traunstein, in Berchtesgaden und jetzt in Hamburg „nein, danke“ zu Olympischen „Spielen“ gesagt haben? Sind da nicht die Maßstäbe verrutscht?

Ja, Deutschland ist hin und wieder ein Neinsagerland. Das beste Beispiel ist Deutschlands Nein zum Irakkrieg, den ein gewisser Herr Bush angezettelt hatte, einem Krieg dessen Folgen uns tagtäglich näher rücken. Paris ist nicht so weit von Hamburg entfernt. Deutschland sollte viel öfter nein sagen.

Und dann der „Aufstieg Hamburgs zur Weltstadt“. Unser Polemiker schreckt vor nichts zurück. Warum sollte er auch? Hat er gestern noch als stellvertretender Chefredakteur jeden Beitrag über die weltweite Bedeutung und Anerkennung Hamburgs durchgehen lassen, lässt er jetzt Hamburg zur finstersten Provinz degradieren. So jedenfalls wurde irgendein „Prominenter“ im Abendblatt zitiert. Niemand kennt Hamburg. Wie funktionieren da die welt-weiten Handelsbeziehungen der Stadt? Und die Millionen Touristen, jedes Jahr mehr? Frei nach Adenauer: Was schert mich mein Geschreibe von gestern?

Nächste Klatsche: Das Zitat „Wer will, dass die Welt so bleibt, wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt.“ Erich Fried zu einem ganz anderen Thema, dem Wettrüsten.)

Die Hamburger Entscheidung gegen die Olympischen Sommerspiele 2024 zeigt, dass die Mehrheit der Hamburger nicht will, dass die Welt so bleibt, wie sie ist. Sie will, dass Sport wieder Sport wird und nicht zur Geldmaschine entartet. Sie will nicht an der Nase herumgeführt (betrogen) werden durch visionäre Kalkulationen, für die sie später zur Kasse gebeten (gezwungen) wird, nicht aber die Kalkulatoren. Sie will, dass ordentlich gewirt-schaftet wird, dass das Notwendige zuerst erledigt wird. Sie wollen das täglich Brot, erst dann, wenn es geht, ein Stückchen Kuchen.

Und weil nichts ausgelassen werden sollte in der Abendblatt-Polemik, jetzt auch noch das Stichwort „Elite“.

Unser Polemiker zählt zur Elite „Sportler, Künstler, die Wirtschaft und die breite parlamen-tarische Mehrheit‘“. (Vergessen hat er die Funktionäre. Sei’s drum.) Auf diese Elite darf man nicht hoffen, schreibt er.

Dieser Elite-Definition soll des lieben Friedens willen nicht widersprochen werden, nicht jetzt – bis auf einen Punkt: Ist eine breite parlamentarische Mehrheit wirklich eine Elite? Nee!

Dummerweise hat unser Polemiker nicht bedacht, dass nicht alle Elitären sich in das Abenteuer Olympische Sommerspiele 2024 in Hamburg stürzen wollten, sondern  sich dagegen aussprachen. So ist nicht alle Hoffnung verloren. Auf Teile der Elite dürfen wir durchaus hoffen. Die Mehrheit der Hamburger hat sich für sie entschieden.

03. 12. 2015