Freitag, Februar 27, 2015

Der Unterschied

In Diktaturen blühen Leichtsinn, Unfähigkeit und Korruption im Dunkeln, in Demokratien im Licht der Öffentlichkeit. Das ist der Unterschied.
(Um mit Peter Meyer-Schmachthagen „Sprechen Sie Hamburgisch?“ zu sprechen:
„So’n Schiet!“)

Das Parlament spielt keine Rolle

Unsere Große Koalition kann sich offensichtlich alles erlauben, auch die Abschaffung demokratischer Selbstverständlichkeiten. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hatte angeregt, der Opposition des Recht einzuräumen, Minister zur Befragung ins Parlament zu zitieren. Das haben die parlamentarischen Geschäftsführer von CDU/CSU und SPD abgelehnt. Das wäre ja auch noch schöner: Die Opposition tanzt dann den Damen und Herren Ministern auf der Nase herum. Kommt nicht infrage! Die Opposition mit ihren lächerlichen 20 Prozent der Parlamentssitze hat sowie nichts zu sagen – und zu fragen schon gar nichts. Basta!
(Quelle: Hamburger Abendblatt, 27. 02. 2015, Seite 4)

Trauma, Traumata, traumatisiert

Was ein Trauma ist, lässt sich ganz einfach erklären, wenn man ein bisschen Griechisch kann. Sonst hilft ein Wörterbuch. Ein Trauma ist eine Verwundung. Verwundungen gibt es viele, nicht nur körperliche. Auch die Seele kann verwundet werden, oder das, was wir dafür halten: unsere Gefühlswelt.

Wenn von Trauma die Rede ist, und das passiert täglich, beinahe pausenlos, dann ist so gut wie immer von seelischen Verletzungen die Rede. Über die körperlichen Traumata sprechen vorzugsweise die Mediziner.

Weil ich kein Arzt bin, spreche ich von den seelischen Verwundungen. Das scheint mir wichtiger zu sein, denn vor allem über sie wird ständig berichtet. Schon ein vergleichsweise harmloser Verkehrsunfall scheint heute bereits zu einem seelischen Schock zu führen. Jede Kleinigkeit, so mein Eindruck, kann zu einem Trauma führen. Anders lassen sich die vielen Berichte nicht erklären.

Sind wir empfindlicher, empfindsamer geworden als die Generationen vor uns? Das würde für uns sprechen. Oder sind wir nur wehleidiger? Rufen wir nach Hilfe, wo wir uns selbst helfen könnten?

Diese Fragen gingen mir durch den Kopf, als ich (Frontal 21 am 24. Februar 2015) einen Film über traumatisierte Bundeswehrsoldaten sah. Sie litten erkennbar. Sie hatten offensichtlich seelischen Schaden genommen, der sich dann auch körperlich bemerkbar machte. Und sie kämpfen zum Teil seit Jahren um Anerkennung ihrer Beschädigungen und um  finanzielle Hilfe. Das verstehe ich, und ich schlage mich auf ihre Seite.

Trotzdem: Irgendetwas scheint da nicht mit uns zu stimmen. Die Schilderung einer Soldatin, die sich freiwillig zum Einsatz im Kosowo-Krieg gemeldet hatte, gab mir ein Rätsel auf, das ich noch nicht gelöst habe. Sie war Sanitätssoldatin. Der Anblick der ersten beiden verwundeten Soldaten führte bei ihr zu einem Trauma, unter dem sie noch heute leidet. Wie ist das möglich?

Wenn ich kein Blut sehen kann, dann werde ich nicht Soldat. So einfach ist das. Was sollen denn die Notärzte sagen und die Rettungskräfte, die schon bei Verkehrsunfällen die schrecklichsten Dinge sehen? Sind die alle traumatisiert? Kaum, denn dann würden sie ihre Hilfe nicht leisten können. Sind sie gefühlsarm oder gar gefühllos? Sicherlich nicht. Der tägliche Umgang mit dem Unglück – stumpft er ab? Ich glaube, nein. Aber er braucht seelische Stärke. Vielleicht ist die gottgegeben, hat möglicherweise etwas mit Religion, mit Glauben zu tun.

Auf diesem Umweg kam ich wieder zu den traumatisierten Soldaten und der traumatisierten Soldatin und zu einer ganz anderen Überlegung. Wie war es eigentlich mit den Millionen Soldaten im Zweiten Weltkrieg, die ungefragt in den Krieg gezwungen wurden, die nicht freiwillig dabei waren? Wie haben sie ihre Erlebnisse verarbeitet? War das eine Generation aus Stahl und ohne jedes Gefühl – auf allen Frontseiten, nicht nur der deutschen? Das ist kaum vorstellbar.

Wie sind sie mit ihren seelischen Verwundungen fertig geworden? Kennt jemand die Antwort? 
27. Februar 2015

"Mehr außenpolitische Verantwortung"

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz im vergangenen Jahr plädierte Joachim Gauck für eine größere globale Verantwortung Deutschlands – eventuelle Militär-einsätze eingeschlossen.

Weil ich fand, dass „mehr außenpolitische Verantwortung“ alles und nichts bedeuten kann, wollte ich schon weiterschreiben und – ehrlich gesagt – ein wenig auf dieser Formulierung herumtrampeln. Aber dann habe ich erst mal die Gauck-Rede gelesen. Ich finde sie lesenswert, und im ersten Augenblick möchte man ihr Wort für Wort zustimmen. Aber das wäre voreilig. Gaucks Rede macht vor einem entscheidenden Punkt halt - verständlicherweise. Er geht nicht den Schritt von der Theorie zur Praxis.

Nehmen wir als Beispiel den „Islamischen Staat“. Ohne Frage ein Terrorsystem, das niemand hinnehmen sollte. Also muss es bekämpft werden. Fragt sich nur: wie, von wem und mit welchem Ziel? Was soll erreicht werden?

Die Wiederherstellung der Assad-Diktatur in Syrien? Die Befreiung des Irak von den Terroristen, damit Schiiten und Sunniten sich weiter bekämpfen? Ist das Ziel die Einführung von Demokratie dort nach „westlichem“ Muster? Sind das Ziele, für die wir unsere Soldaten in einen Krieg führen sollten, führen dürfen?

Über jedes dieser Ziele könnte man sprechen. Aber genau das geschieht nicht. Wir beschränken uns darauf, den IS zu vernichten. Über das, was danach sein soll, herrscht Stillschweigen. Also: Alles zurück auf Anfang? Aber auf welchen Anfang?

Vor den Überfall der USA auf den Irak? Vor den Krieg zwischen Iran und Irak? Noch viel weiter zurück – auf die Zerschlagung des Osmanischen Reichs (Türkei) nach dem Ersten Weltkrieg, die koloniale Rolle der damaligen Supermächte England und Frankreich?

Als wenn das alles nicht genug wäre – es brodelt ja noch mehr in diesem Hexen-kessel. Alle Mächtigen spielen dort mit: die USA, Russland, China, die ganze Welt. Jeder für das, was er für seine „Interessen“ hält, jeder gegen jeden und jeder mit jedem. Heute so, morgen vielleicht anders.

In dieses Tollhaus würde ich keinen einzigen Mann schicken. Nein, nicht weil ich feige bin, sondern weil es die Sache nur noch schlimmer machen würde. Damit würde ich meine Freunde in Stich lassen? Welche Freunde?

Klar, jetzt kommt die Frage: Was würdest du denn machen? Ich würde die ganze Bagage einsperren und sagen: „Ihr kommt erst dann raus, wenn ihr euch – ohne Mord und Totschlag – geeinigt habt.“ Keine Waffen, keine Hilfe, nichts, nichts, nichts von außen.

Eine Illusion? Ja, natürlich. Denn das würde voraussetzen, dass die „geopolitischen“ Hintermänner ihre Hände aus dem Spiel nähmen. Das werden sie nicht wollen. Das werden sie nicht tun. Niemand kann sie dazu zwingen.

Es geht deshalb so weiter wie bisher? Ja, davon müssen wir ausgehen. Mit einem Unterschied, hoffe ich: Wir spielen dieses Spiel nicht mit; denn es ist kein Spiel, sondern blutiger Ernst. 08. 02. 2015 / 26. 02. 2015

Donnerstag, Februar 26, 2015

Treibjagd

Wir sehen, wie ein besonders scheues Wild, der Frieden, mitten in Europa, in der Ukraine,  vor die Flinten getrieben wird. Da die Treiber, hier die Schützen.

Nein, wir sehen es nicht, weil wir es nicht sehen wollen. Wir machen die Augen ganz fest zu. Dabei sollte es der Anstand gebieten, dem Exekutionskommando, das den Frieden erschießen soll, fest ins Auge zu sehen, besser noch, ihm in den Arm zu fallen, es zu entwaffnen. Aber wir trauen uns nicht.

Die Schützen? Herr Putin, Herr Poroschenko. Sie stehen da und schießen. Wir stehen daneben und sehen zu. Das aber ist nicht alles.

Zur Treibjagd gehören auch die Treiber, die das Wild vor die Flinte jagen. Anders als die Schützen sind sie weniger bekannt und beim Namen zu nennen. Die Republikaner der USA, vor allem die Tea-Party-Leute, dürften dazu gehören. Die Ultrarechten in allen westlich orientierten Demokratien ebenfalls – das geht quer durch Europa bis ins kleinste Dorf in der Pfalz. Die Manager der Rüstungsindustrie – wovon sollen sie und ihre Industrie leben? Zurzeit suchen Sie die Antwort im Gespräch mit Poroschenko auf einer Waffenmesse in Abu Dhabi. 

Alles das spielt sich vor unseren Augen ab. Und wenn es dann richtig knallt? Wenn der Krieg nicht nur im Fernsehen stattfindet, von Herrn Kleber politisch korrekt kommentiert? Wenn hier alles in Trümmer geht, wenn die Toten auf der Straße liegen?

Wer sagt, dass es so weit nicht kommen wird? Die Teilnehmer der Treibjagd auf den Friedern wird es kalt lassen. Sie zahlen mit dem, was ihnen nicht gehört: dem Leben und dem Glück der Menschen. 25. 02. 2015

Wie könnte eine Lösung aussehen? Erstens: Augen aufmachen und hinsehen. Zweitens: Den Mund aufmachen und sagen, was zu sagen ist. Drittens: Wenn niemand zuhört, Krach schlagen. Und wenn das nichts nützt? Viertens: Rebellieren, sabotieren, Widerstand leisten. Und wenn das alles nichts nützt? Dann haben wir den totalen Krieg. 26. 02. 2015

Dienstag, Februar 24, 2015

J'accuse. Ich klage an!

Dieser Aufschrei von Emile Zola, hinausgeschrien am 13. Januar 1898 auf der Titelseite von L’Aurore, der großen Pariser Zeitung, schoss mir durch den Kopf, als ich heute in SPIEGEL ONLINE die Nachricht las „94-Jähriger wegen Beihilfe zum Mord in Auschwitz-Birkenau angeklagt.“

Diese Anklage darf kein Ende nehmen. Das dachte ich. Das denke ich. Das werde ich immer denken. Aber gehören wirklich alle ins Feuer wie die sechs Millionen Menschen, die nur deshalb ermordet und zu Rauch und Asche verbrannt wurden, weil sie Juden waren?

Die schnelle Antwort: Ja. Wer schuldig wurde, muss angeklagt werden – jeder, jeder, jeder, auch der 94-Jährige. Wenn aber die schnelle, die eilige Antwort voreilig ist? Wir müssen uns das mal etwas genauer ansehen.

Der Angeklagte ist als 20-Jähriger in die Waffen-SS eingetreten, das war 1940. Sieben Jahre Nationalsozialismus waren vermutlich der Hintergrund für seine Entscheidung.

Er war in den Konzentrationslagern Dachau und Neuengamme stationiert, hat dort seinen Dienst gemacht. Woraus bestand dieser Dienst, seine Arbeit, was tat er?

Für die Zeit zwischen dem 15. August und 14. September 1944 in Auschwitz-Birkenau wirft ihm die Anklage die Beihilfe zum Mord in 3681 Fällen vor. Er habe als Sanitäter geholfen, die SS-Truppen einsatzfähig zu halten, so die Anklage. Er habe daneben gestanden, als die Menschen in die Gaskammern geführt wurden, und er habe gewusst, was mit ihnen geschehen würde. Das ist kaum zu bestreiten. Hätte er den Gang der Todgeweihten anhalten sollen? Wer von uns würde das tun?

Vielleicht hätte der Angeklagte nicht in Dachau und Neuengamme und in Auschwitz-Birkenau arbeiten müssen. Ob es ihn dahin drängte, ob er das wollte, niemand weiß es. Wahrscheinlich kennt nicht einmal er die Antwort. Auf jeden Fall sind an ihm vorbei 3.681 Menschen in den Tod gegangen. Er hat es nicht verhindert. Das ist die Anklage.

Wir sollten uns schämen! Wir sollten uns schämen, weil kein Staatsanwalt, kein Richter, die im „Dritten Reich“ anklagten und Recht sprachen, jemals zur Rechenschaft gezogen wurde. Das Gegenteil war eher der Fall. Im „Dritten Reich“ verurteilte Menschen standen nach dem Krieg plötzlich „Rechtsprechern“ gegenüber, die sie verurteilt hatten, also Rechtbrechern. So gut wie alle waren wieder in Amt und Würden, wie zum Beispiel der schreckliche Militärrichter Filbinger, der es später zum Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg brachte.

Wir sollten uns schämen. Und wenn wir Anklage erheben wollen, sollten wir uns genau überlegen, gegen wen. Die Feigheit, die Angst  vor der eigenen Vergangenheit sollte nicht der Maßstab sein.

Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen? Dann wollen wir doch mal so groß wie möglich werden.
23. 02. 2015

Erfolg und Erfolg. Wo ist der Unterschied?

In Nigeria hat ein achtjähriges Mädchen sich und fünf andere Menschen in die Luft gesprengt. Niemand kann das Mädchen fragen, warum es das getan hat. Möglicherweise würden seine Antworten nichts erklären, würden uns nicht klüger machen. Die Fanatiker, die hinter dem Mädchen steckten, werden die Tat sicherlich einen Erfolg nennen. Diese Vermutung sollte uns wenigstens einen kleinen Augenblick beschäftigen.

Boko Haram-Terroristen sagen, der Mord von hundert Nigerianern sei ein Erfolg. Die nigerianische Regierung sagt, das Töten von hundert Boko Haram-Terroristen sei ein Erfolg. Ein Unterschied ist nicht zu erkennen. Tot ist tot, und Erfolg ist Erfolg. Vor diesem Irrsinn, diesem Irresein, sind alle gleich, ist alles gleich.
22. 02. 2015

Sonntag, Februar 22, 2015

Auf die Scnnelle, in der Kürze

Irgendwas ist heutzutage immer „No go“:  Ein Gebiet, das man nicht betreten soll. Ein Gedanke, den man nicht denken soll. Immer, wenn etwas „No go“ sein soll, dann ist es „ein Ding der Unmöglichkeit“. Aber so sagen wir das heute nicht mehr. Wir machen's kurz.

Nun ist stundenlanges Plappern heute doch das Normalste in unserem Alltag.  Wie hübsch klingt „ein Ding der Unmöglichkeit“ – wie unhöflich „No go“! Lasst uns plappern. Manchmal ist es wirklich angebracht.
22. 02. 2015

Samstag, Februar 21, 2015

I want it, I need it, I hate it...

Etwas Neues, aus dem Englischen herübergeholt, macht sich im Sprachalltag breit, jedenfalls in der Presse – die It-Wörter. Neulich begegnete mir das Wörtchen It-Girl. Aus dem Zusammenhang ging hervor, dass es sich um ein Mädchen handeln musste, das irgendwelchen Menschen irgendwie wichtig erschien, ein Mädchen, das sozusagen In war. Ein für den Augenblick angesagtes Mädchen. So eine Art Stern-schnuppe, hätten meine Großeltern vielleicht gesagt – heute im Blitzlicht, morgen vergessen. Für den Augenblick In und dann Out.

Heute nun ein „It-Piece aus Leder“ – die Rede war von einer Handtasche, die man unbedingt haben muss, wenn man zeigen will, was man sein möchte, aber nicht ist. Ein Designerstück. Stylish, nicht wahr?

Natürlich übertreibe ich mit „I hate it“, aber mögen – mögen mag ich diesen Sprachfirlefanz nicht. 21. 02. 2015

Aufgelesenes

Heute, am 20. Februar 2015, ein paar liegengebliebene ZEIT-Seiten gelesen. Die Schilderung eines Gesprächs mit Martin Walser, dem so hoch verehrten Schreiber, den ich bis heute nicht so recht zu würdigen weiß. Aber er thront über dem Bodensee, hat vier Töchter, ist mit ein-und-derselben Frau seit zig Jahren verheiratet (Wie glücklich? Niemand durchschaut Ehepaare). Das wird er zu seiner neuesten Tagebuchausgabe befragt und sagt lauter kluge Sachen, die ihn noch bedeutender machen als er ist. Wenn mir doch nur halb so viel über mich einfallen würde, wenn man nach meiner Bedeutung fragte! Gott sei Dank erreiche ich diese Bedeutung nicht. Ich müsste sonst jeden Morgen vor dem Spiegel einen Diener machen, eine Verbeugung vor mir selbst. Wie anstrengend.

Viel wichtiger war mir der Bericht, war mir die Betrachtung von Friederike Hassauer unter dem Titel „Spaniens erster Feminist“. Sie schreibt über den Benediktinermönch Feijóo und nennt ihn den größten Aufklärer seines Landes. Und sie sagt: „Die kühnen Thesen des frühen Bestsellerautors sind 250 Jahre nach seinem Tod unvermindert aktuell.

Das Lebensthema des Mönchs sei „Die Richtigstellung der gemeinen Irrtümer“ gewesen. Dabei ist der Herr Mönch sehr rigoros vorgegangen. Er bezeichnete den Irrtum schlicht und ergreifend als „eine Meinung, die ich für falsch halte.“ So einfach geht das. Aber in vielem, was Feijóo gedacht und geschrieben hat, fällt es schwer, ihm zu widersprechen.

Was heute am meisten überraschen mag, sind die Gedanken, die er in seinem Essay „Die Verteidigung der Frauen“ zu Papier gebracht hat. Er fordert – 1726, in Spanien, die vollkommene Gleichheit und die vollkommene Gleichwertigkeit und die vollkommene Gleichstellung der Frau gegenüber dem Mann.

Friederike Hassauer ist Professorin für Romanische Philologie an der Universität Wien. Sie bereitet eine deutsche Übersetzung und Edition von Feijóos „Verteidigung der Frauen“ vor.

Tatsächlich, es gibt noch etwas, worüber man sich freuen kann.


Freitag, Februar 20, 2015

Lasst es Gut sein!

Immer, wenn etwas in Gefahr zu sein scheint, wenn man glaubt, etwas sei bedroht, dann sprechen Politiker von einem Hohen Gut: Die Redefreiheit. Die Meinungs-freiheit. Das Streikrecht. So weit, so gut. Aber das wird inzwischen runtergebetet bis zum Lächerlichsten. Das wird noch so weit gehen, dass die Abgeordnetendiäten zum Hohen Gut erklärt werden. Wundern würde mich das nicht.

Gibt es eine Erklärung? Vielleicht ist es die Sprachfaulheit der Politiker. Sie nehmen den Mund zwar immer ziemlich voll, aber es ist, bis auf Ausnahmen, FastFood-Deutsch, das sie uns entgegendröhnen.

Ein hohes Gut? Die Wörtchen wichtig, bedeutend und ein paar andere unauffällige Redewendungen täten es auch, wären angemessener. Haben wir es vielleicht auch mit Denkfaulheit zu tun? Aber das ändert nichts am Ergebnis.

Ob sich die Hohes-Gut-Politiker vielleicht doch etwas denken, wenn sie von einem Hohen Gut sprechen?  Möglicherweise meinen sie, dass das Gut so hoch gehängt ist, dass wir es sowieso nicht erreichen können, wer weiß?
20. 02. 2015

Schwulitäten

Der Paragraph 175 des deutschen Strafgesetzbuchs machte Männer, die Männer lieben zu Verbrechern. Der Paragraph war das Verbrechen. Das haben wir nach den Regeln der Gesetzgebung endlich hinter uns. Die wirkliche Befreiung wagte Herr Wowereit als er sagte: „Ich bin schwul. Und das ist gut so.“

Ich finde, das war wirklich gut. Schluss mit dem Versteckspiel! Raus aus der Schmuddelecke! Jeder soll lieben wie er lieben möchte. Aber muss das in aller Öffentlichkeit geschehen? Im Falle Wowereit was das OK, weil ein Signal.

Ist Schwulsein in? Ich habe den Eindruck, ja. Ungefragt sagen mir alle möglichen Leute, sie seien schwul. Ich habe sie gar nicht danach gefragt. Ich will das auch gar nicht wissen, denn ich finde, das ist nichts Besonderes, und wie sie ….. interessiert mich nicht.

Fehlt nur noch, dass jemand auf den Gedanken kommt zu sagen: „Ich liebe Frauen. Und das ist gut so.“ Homo, hetero, bi, lesbisch und sonst was. Muss heute alles auf dem Markt stattfinden?

So hat Friedrich der Große es nicht gemeint, als er sagte, jeder solle nach seiner Fasson selig werden. Alles Feinste bleibt privat? Das war einmal.
20. 02. 2015

Mittwoch, Februar 18, 2015

Alte Wörter - neue Inhalte

In der Nachlese des Hamburger Abendblatts zur Bürgerschaftswahl am 15. Februar (Ausgabe vom 18. Februar, Seite 7) stolperte ich über eine kleine Notiz, eine Randnotiz im wahren Sinne des Wortes.

„Er stehe für ‚wertkonservative Positionen’, die der CDU zunehmend abhanden kämen“. „Joachim Lenders:  Polizeigewerkschafter und CDU-Hardliner“, stand über dieser Aussage. Ganz zum Schluss der Notiz dann: „Die Richtung ist klar: ‚Mehr Polizeinachwuchs, mehr Zivilfahnder, mehr Richter, härtere Strafen.’“ Das alles mag richtig und notwendig sein.

Aber darum geht es nicht wirklich. Es geht darum, dass der Begriff „wertkonservativ“ heute etwas ganz Anderes sagt, als ursprünglich gemeint war.  Darin liegt eine gewisse Gemeinheit.

Erhard Eppler, SPD-Politiker, hatte den Begriff „wertkonservativ“ 1975 in seinem Buch „Ende oder Wende“ zur Sprache gebracht, sozusagen in die Welt gesetzt. Er bezeichnete damit eine Politik, die sich für die Bewahrung der Natur, einer humanen und solidarischen menschlichen Gemeinschaft, sowie Wert und Würde des Einzelnen einsetzt.

Das haben Hardliner wie Herr Lenders inzwischen ganz klein gedacht: „Law and Order“ genügen ihnen. Statt Bewahrung der Natur, statt Menschlichkeit, Mitgefühl, Hilfsbereitschaft der reine Egoismus.

Zugespitzt: Deutschland den Deutschen! „Mare Nostrum“ – Italiens bewundernswerter Einsatz zur Rettung von Menschenleben – vorbei, weg damit! Verteidigen wir unseren Reichtum – im eigenen Land, an unseren Grenzen, an den Grenzen Europas! Das und nichts anderes scheint heute mit „wertkonservativ“ gemeint zu sein.

So stehen die Dinge kopf. „Wertkonservativ“ ist zu einer Mogelpackung verkommen.
18. 02. 2015

Montag, Februar 16, 2015

Schöne neue Wörter und nicht so schöne

Singsang-Serie, laborkittelernst, Plapperprogramm, Hoolygänse. Diese Wörter sind mir in der letzten Zeit begegnet, und ich freue mich über sie. Bei Singsang-Serie und Plapperprogramm ging es ums Fernsehen, als Hoolygänse bezeichnen sich Anhängerinnen eines Fußballvereins, und laborkittelernst ist eine schöne Variante zu bierernst.

Erfreulich, wenn unsere Sprache so unbefangen daher kommt und schrecklich, wenn sie mit Formulierungen wie „glaubhafte Bestreitbarkeit“ angestelzt kommt.

Im SPIEGEL-Artikel „Tödlich wie eine Granate“ (Ausgabe 8/2015) ist mir dieser Begriff gegegnet. Luciano Floridi, Philosoph an der University of Oxford, benutzt ihn in seinem SPIEGEL-Gespräch, in dem er den drei „nichtkonventionellen“ Waffen „Atomwaffen“, „Biologische Kampfstoffe“, „Chemische Kampfstoffe“ die „Cyber-Waffen“ als vierte hinzufügt. Floridis Ansichten sind nicht von der Hand zu weisen und sie jagen einem Angst ein. Aber das ist ein anderes – wichtigeres – Thema, über das noch zu schreiben ist.

„Glaubhafte Bestreitbarkeit“ bedeutet, dass niemand die Behauptung widerlegen kann „Wir waren’s nicht.“ Die Nutzung sogenannter Botnetze macht das möglich. Man kapert sich fremde Rechner, benutzt sie zum Spionieren, und niemand kann herausfinden, wer dahinter steckt. Was auf den ersten Blick nur listig klingt, kann in Wirklichkeit eine tödliche Waffe sein – folgt man Floridi, und es sieht so aus, als hätte er recht. 15. 02. 2015-02-16

Samstag, Februar 14, 2015

Unter Dyskalkulie leiden wir alle.

Genauer gesagt: Wir leiden unter den Folgen der Dyskalkulie. Um das zu erklären, muss ich etwas weiter ausholen. Am Besten fange ich mit einem Geständnis an. Ich bin nicht gerade der Schnellste. So kommt es, dass ich erst heute, am 13. Februar 2015, ausgerechnet ein Freitag, dazu gekommen bin, in der ZEIT-Beilage „Zeit & Chancen“ vom 14. September 2014 zu blättern. Und was entdeckte ich da? Einen Beitrag von Maike Brzoska mit der Überschrift „Keine Zahlen bitte!“ Gestolpert bin ich über den Untertitel „Ist Dyskalkulie eine Krankheit – oder nur eine Folge des Unterrichts?“

Donnerwetter, dachte ich: „Dyskalkulie“! Niemand, der mich kennt, würde mir Bildungsferne vorwerfen. Aber ich muss zugeben, dass meine Bildungsnähe gelegent-lich zu wünschen übrig lässt. Ich hatte nur ein Schuljahr lang Latein, dann nie wieder. Trotzdem habe ich mir gesagt: damit wird Rechenschwäche gemeint sein. Tatsächlich kommt das Wort in dem Beitrag auch vor, aber erst in der 164sten Zeile. Das konnte ich natürlich nicht wissen, als ich anfing zu lesen. Immerhin stieß ich in der zehnten Zeile auf den Begriff  Rechenstörung. Da war ich beruhigt, weil ich jetzt wusste: die Dame kann auch Deutsch.

Auf anderthalb lesenswerten Seiten setzt sich Frau Brzoska mit den Schwierigkeiten auseinander, unter denen rechenschwache Menschen leiden. Krankheit hin, Krank-heit her – Wissenschaftler sind sich da nicht einig. Ich will mich wegen mangelhafter Bildungsnähe nicht einmischen. Ich möchte nur auf ein Problem aufmerksam machen, das die Wissenschaft bisher nicht entdeckt oder nicht zur Kenntnis genommen hat.

Von Dyskalkulie, von Rechenstörung, von Rechenschwäche, sind vor allem Politiker betroffen. Beweise dieser Diagnose, der kaum zu widersprechen ist, begegnen uns täglich wie zum Beispiel im Hamburger Abendblatt vom 13. Februar 2015, Seite 23.

Schleswig-Holsteins Verkehrsminister Reinhard Meyer und sein Hamburger Kollege Frank Horch lassen sich in einem Interview des Langen und Breiten „über die großen Verkehrsprojekte in Norddeutschland“ aus.

Da geht es dann auch um die Kosten der Anbindung des Fehmarnbelttunnels in Schleswig-Holstein. Auf die Frage, ob die zurzeit genannten Kosten von 1,5 Milliarden € das letzte Wort seien, antwortet Herr Meyer: „Dafür kann man die Hand nicht ins Feuer legen.“

Im Klartext und nach Erfahrung: Das wird teurer. Nein, das ist keine Unterstellung. Herr Horch ergänzt: „Unabhängig von Kostenentwicklungen wird die Fehmarnbelt-querung gebaut werden.“

So können nur Menschen sprechen, die mit Geld umgehen, das ihnen nicht gehört. So können nur Menschen sprechen, die unheilbar an Dyskalulie leiden, womit bewiesen ist, dass es sich hier um eine Krankheit handelt.

Wenn wir noch einmal genauer hinsehen, entdecken wir, dass Dyskalkulie auch durchaus eine Stärke sein kann. Den Beweis liefert Herr Meyer, als er darauf angesprochen wird, dass ursprünglich von 850 Millionen für die Fehmarnbelt-anbindung die Rede war.

Man kann auch absichtsvoll dyskalkulierisch sein, wie der Staatsvertrag von 2008 zeigt. „Von der Bundesseite aus wollte man für die deutsche Anbindung eine Milliarde € Kosten nicht überschreiten, deshalb hat man den Fehmarnsund ausgeblendet.“ so Herr Meyer im Hamburger Abendblatt. Ein starkes Stück, nicht wahr? So falsch berechnend können nur Politiker sein. Aber wenn sie berechnend sind, sind sie dann wirklich Dyskalkulierer?

Wie auch immer: Sie geben Geld aus, das ihnen nicht gehört. Geld, das sie uns abgenommen haben. Ich werfe ihnen das nicht vor. Ich stelle das nur fest. Wenn ich wie sie unter Dyskalkulie litte, würde ich es genau so tun. Aber ich kann rechnen.
13. 02. 2015

"Eine Beleidigung namens Fräulein"

Unter dieser Überschrift brachte das Hamburger Abendblatt heute, am 13. Februar 2015, eine Glosse von Karin Brose, einer in Hamburg nicht ganz unbekannten Lehrerin. Ich schätze sie sehr.

Der Inhalt der Glosse in Stichworten: Die Frage, was sich die Schüler unter dem neuen Fach Philosophie vorstellen: Schweigen. 21 Schüler haben Philosophie angekreuzt, weil sie nicht zu Religion wollten. Das ist eine Erklärung.

Das Thema der aktuellen Stunde: Freiheit. Mehrer Mädchen quatschen, sind am Unterricht nicht interessiert. Die Anführerin wird umgesetzt, nimmt das Matheheft heraus und beginnt, Hausaufgaben zu machen. Als die Lehrerin sie mit Fräulein Schmidt anspricht, erwidert die „ich heiße Melanie“. Im späteren Verlauf des „Dialogs“ rastet Fräulein Melanie Schmidt aus und wird aus der Klasse verwiesen. Die Klasse klärt die Lehrerin auf, dass Fräulein unter den Jungs und Mädels eine Beleidigung ist. Zum Hinweis, Fräulein sei eine höfliche Anrede, erklären sie: „Bei so älteren Leuten wie Ihnen vielleicht, aber nicht bei uns.“

In dieser Glosse stecken für mich zwei ganz unterschiedliche Inhalte. Das Verhalten von Melanie ist der eine. Das Mädchen benimmt sich so rücksichtslos, so egoistisch, so rüpelhaft, dass die Lehrerin es schon viel früher hätte vor die Tür setzen müssen. Sie hat sich beleidigt gefühlt? Sie war alt genug (9. Klasse), um wenigstens zu ahnen, dass ihre Lehrerin sie nicht beleidigen wollte. Das ist die eine Sache.

Und die andere? Das ist die Sprache. Ich weiß: die Bezeichnung Fräulein ist aus der Mode gekommen, ist verpönt. Damit kann jeder leben. Aber dass Jungs und Mädels  Fräulein als Beleidigung empfinden – darauf muss man als Nichtmehrjugendlicher erst mal kommen. Brauchen wir ein Wörterbuch, damit alt und jung sich verstehen? Höflichkeit wäre eine Brücke, über die alle gehen könnten.

Donnerstag, Februar 12, 2015

Bildersprache

(Hamburger Abendblatt, 11. Februar 2015, Titelbild)

Das Aufmacherbild zeigt links Merkel, Hollande, Poroschenko und rechts Putin, dazwischen den Text „Schicksalstag für Europa“.

Drei gegen einen – an Klarheit lässt das Bild nichts zu wünschen übrig. Es spricht eine klare Sprache: Da die Guten, dort der Bösewicht.

Versuchen wir, ehrlich zu sein, auch wenn es schwerfällt: Putin ist nicht allein an dem Unglück schuld, das schon ein kleiner Krieg ist und ein großer werden könnte. Aber Aber niemand will sein Gesicht verlieren. Dabei wäre das eigentlich ganz schön. So verbittert und verbiestert, wie die Vier aussehen – da würde jedem der Verlust ausgesprochen gut stehen. Ein freundlicheres Gesicht würde allen gut stehen.

Dienstag, Februar 10, 2015

POLLY - ein Dauerbrenner

Ich habe es nicht nur geahnt; ich habe es gewusst: Die Politiker-Lyrik wird uns auch in Zukunft begleiten, möglicherweise noch aufdringlicher als bisher.

Katharina Fegebank, Politologin und Politikerin (so das Hamburger Abendblatt am 9. Februar 2015 auf Seite 8), spricht und schreibt POLLY fließend.

Sie will im Wahlkampf keine Kompromisskorridore verabreden. Sie will – einfach gesagt – jetzt noch keine Kompromisse anbieten. Das verstehe ich; würde ich auch nicht tun. Aber von Korridoren hätte ich bestimmt nicht gesprochen.

Frau Fegebank kann von Korridoren aber ganz offensichtlich nicht genug bekommen, denn sie fordert auch noch klare Finanzierungskorridore. Ich nehme an, sie möchte gern wissen, wie viel etwas mindestens und höchstens kosten soll. Auch das verstehe ich. Ich würde das auch verlangen. Einen Korridor allerdings brauchte ich dazu nicht.

Wenn Frau Fegebank sagt, dass es unsere Pflicht sei, Flüchtlingen mehr als ein Dach über dem Kopf zu geben, gebe ich ihr gern recht. Es sollte mehr als unsere Pflicht sein, auch wenn es uns schwer fällt. Dass Frau Fegebank  die Sache zugleich auch nüchtern sieht, ist in Ordnung.

Aber warum sagt sie: „Das werden perspektivisch Bürger unser Stadt.“? Warum sagt sie nicht „diese Menschen werden vielleicht Bürger unserer Stadt, sie werden vielleicht Hamburger“?  - Na ja, das wäre Prosa und nicht Lyrik. Das ist wohl der Grund. – Mal abgesehen davon: Im „Kreuzverhör“ mit Herbert Schalthoff (Hamburg 1.) und Abendblatt-Redakteur Peter U. Meyer macht Katharina Fegebank eine gute Figur, finde ich. (10. 02. 2015)

Achte deinen Nächsten wie dich selbst

Eigentlich heißt es „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“. Das will ich auch nicht infrage stellen. Aber ich halte „Achte deinen Nächsten wie dich selbst“ für eine notwendige Ergänzung. Notwendig, weil die Forderung nach Nächstenliebe fraglos viele Menschen überfordert, weil die Achtung des Nächsten leichter fällt – leichter fallen sollte. Wir werden sehen.

Vor allem werden wir sehen, dass das Zusammenspiel von Selbstachtung und Achtung vor dem Nächsten wenigstens genau so eng zusammenhängen und zusammenwirken wie Selbst- und Nächstenliebe. Und wir werden feststellen, dass der Appell „Achte deinen Nächsten wie dich selbst“ der Schlüssel ist für einen erfolgreichen Kampf gegen den um sich greifenden Terrorismus.

Der Appell stellt die Achtung des Nächsten in den Vordergrund. So sieht es auf den ersten Blick aus. Dieser erste Blick ist allerdings zu oberflächlich. Wichtige Voraus-setzung ist die Selbstachtung, ist das Vertrauen in sich selbst. Nur wer selbst etwas von sich hält, kann auch von anderen etwas halten. Nur wer sich selbst einen Wert zubilligt, wer an sich glaubt, kann sich auch dem anderen, seinem Nächsten, zuwenden. Wer sich selbst für wertlos hält, wer kein Selbstvertrauen hat, kann auch seinem Nächsten nicht vertrauen. Er betrachtet ihn mit Misstrauen, aus dem, wie wir sehen, abgrundtiefer Hass wird bis zum Mord. Die Charlie Hebdo-Morde sind einer der schrecklichen Beweise.

Wie sollst du an dich glauben, wenn du wegen deines türkischen Vornamens keinen Job bekommst, egal wie tüchtig du bist? Wie sollst du an dich glauben, wenn du überall auf Misstrauen stößt, nur weil du ein Muslim bist? Wie sollst du an dich glauben, weil du die falsche Hautfarbe hast? Woher sollst du Mut fassen, wenn du nicht als Einwanderer gesehen wirst, sondern als Eindringling? Wie willst du damit fertig werden, wenn du immer zurückgestoßen wirst?

Irgendwann ist dir alles scheißegal. Irgendwann hast du keinen Bock mehr darauf, der Bettler zu sein. Irgendwann akzeptierst du, der Untermensch zu sein. Irgendwann wirst du unmenschlich (siehe Charlie Hebdo).

Irgendwann kommt der Augenblick, der dir das Ganze leicht macht. Du triffst jemanden, der dir einen Ausweg zeigt, den einzigen. Im Handumdrehen wirst du ein Fanatiker, wirst Terrorist. Du hattest nichts zu verlieren. Jetzt kannst du gewinnen, was du immer gewinnen wolltest: Anerkennung, die Achtung der anderen. Der Untermensch ein Held, das ist deine neue Rolle. Bis dass der Tod euch scheidet.

Wenn wir diese Tragödie beenden wollen, unter der zum Schluss alle leiden, dann müssen wir der Forderung folgen: „Achte deinen Nächsten wie dich selbst!“ Wie das geht?

Viele tausend Schritte werden notwendig sein. Der erste könnte dieser sein: Hören wir auf zu sagen „die Türken, die Muslime, die Juden, die Asylanten, die Sachsen, die Dresdner“ usw. usw. usw. Jeder Deutsche nimmt für sich in Anspruch, ein Individuum zu sein, bei aller Ähnlichkeit mit vielen anderen Deutschen unverwechselbar. Hören wir also auf, andere über einen Kamm zu scheren. Uns gefällt das auch nicht, weil es unsere Selbstachtung infrage stellt.

Ein lachhaft kleiner Schritt? Ja, ein lachhaft kleiner Schritt, aber der erste. Die folgenden dürfen dann ruhig größer sein und müssen bis in den grauen Alltag hinein wirken. 26. 01. 2015

Montag, Februar 09, 2015

Künstliche Intelligenz - eine besondere Art der Dummheit?

Was verbirgt sich eigentlich hinter diesem Begriff? Warum wird Künstliche Intelligenz bewundert von den Einen und gefürchtet von den Anderen und von Dritten vielleicht sogar veralbert? Versuchen wir, der Sache auf den Grund zu gehen.

Wenn es eine Künstliche Intelligenz gibt, dann müsste es doch – sozusagen als Gegenstück – eine natürliche Intelligenz geben. Klarer Fall. Dem Künstlichen muss etwas Natürliches vorausgehen. Diese Tatsache wird von allen Seiten nicht zur Kenntnis genommen. Genau da liegt das Problem.

Ich will es allen Lesern, vor allem aber auch mir, ersparen, im Duden, in Wahrigs Wörterbuch und allem, was Google so bietet, nachzulesen, was unter Intelligenz zu verstehen ist, verstanden werden soll.

Für mich ist Intelligenz die Fähigkeit, das Leben mit Verstand und Gefühl zu meistern. Weil das Leben voller Überraschungen steckt, ist das nicht ganz einfach. Immer wieder kommt es vor, dass wir ein Problem lösen müssen, für das uns jede Erfahrung fehlt. Unser Verstand tappt im Dunkeln. Trotzdem müssen wir uns entscheiden.

Wahrscheinlich wird es jeder schon erlebt haben: Wenn der Verstand die Antwort nicht geben kann, dann kommt das Gefühl zur Sprache. Vulgär ist da meist von Bauchgefühl die Rede, aber in Wirklichkeit spielt sich die Sache eine Etage höher ab.

In einer solchen Situation haben wir Herzklopfen, Herzklopfen wie verrückt. Und wir setzen aufs Gefühl. So funktioniert das Original, die natürliche Intelligenz. Zugegeben, der Erfolg ist nicht garantiert. Aber so ist das nun mal im Leben. Das ist genau der Punkt, der uns zur Künstlichen Intelligenz führt – der Wunsch, alles, aber auch wirklich alles richtig zu machen.

Künstliche Intelligenz weiß alles, sieht alles voraus, findet für jedes Problem eine Lösung. Das Dumme ist nur, dass wir ihr vorher alles eintrichtern müssen: „Wenn das passiert, dann mach das, und wenn etwas anderes passiert, mach etwas anderes.“ Das müssen wir uns alles erst mal ausdenken. Die Künstliche Intelligenz plappert uns das dann nach – ganz ohne Gefühl. Das macht die Künstliche Intelligenz so fragwürdig.

Was lernen wir daraus? Künstliche Intelligenz ist die Dummheit pur.  Wenn Sie es noch nicht glauben, hier („Dein Haus kennt dich“, DIE ZEIT, 4. Dezember 2014) finden Sie Beweise:

„Intelligente Häuser schützen keineswegs vor Einbrechern, im Gegenteil, sie ermöglichen eine neue Form des Einsteigens. übers Netz.“ Dumme Sache so was, wird aber als intelligent bezeichnet.

„Intelligente Maschinen lernen aus dem Verhalten ihrer Nutzer, sie vergessen nichts, sind ihnen einen Schritt voraus.“ Unfug! Wir müssen den Maschinen erst mal alles eintrichtern, so dumm sind sie. Denken können sie nicht.

„Intelligentes Wohnen profitiert von einer Entwicklung, die man Internet der Dinge nennt: Smartphones, Tablets, Waschmaschinen, die dann waschen, wenn der Strom am billigsten ist. Kühlschränke, die Milch nachbestellen, wenn diese ausgetrunken ist. Das Internet der Dinge verwebt die reale und die virtuelle Welt miteinander.“

Jeder soll sich selbst ausmalen, was für ein Unfug das ist. Nur eins sei gesagt, weil es wirklich wichtig ist. Die virtuelle Welt ist gar nicht virtuell, sie besteht nicht nur in der Einbildung. Die virtuelle Welt ist real.  Wir sind ihr ausgeliefert. Warum fällt es so schwer, das zu erkennen?

Da wäre dann noch DIE ZEIT vom 11. September 2014 mit dem Beitrag „Angriff der Maschinen“ von Yvonne Hofstetter. Eine Beschreibung ihres Buchs „Sie wissen alles.“ Es geht um künstliche Intelligenz, also um ganz reale Dummheit.

Hier einige Ausschnitte aus dem Gespräch mit Frau Hofstetter, geführt von den Redakteuren Götz Hamann und Adam Sobocziynski:

„Ein System gilt als intelligent, wenn es ein Verhalten zeigt, das vom Programmierer ursprünglich nicht so vorgesehen wurde.“ Tatsächlich sind Autofahrer schon in einen Kanal gefahren und fast ertrunken, weil sie der Intelligenz ihres Navis folgten.

Bei intelligenten Maschinen müssen wir immer das letzte Wort behalten, sagt Frau Hofstetter. „Wir müssen sie abschalten können.“  Und weiter: „Das ist oft gar nicht vorgesehen, denn die Optimierung unseres Alltags, die uns intelligente Maschinen versprechen, setzt die ununterbrochene Überwachung unseres Lebens voraus.“

Wer will das? Die Jungs und Mädels, die dem Vergnügen eines Seitensprungs nicht widerstehen können, ganz bestimmt nicht. Mit diesem Wunsch sind sie nicht allein.

Auf dieses Problem geht Frau Hofstetter nicht ein, aber sie ist nicht unkritisch. „Wir könnten in ein totalitäres System hineingeraten, wenn wir die Entwicklung ungebremst laufen lassen“, sagt sie. „Wenn große Konzerne unkontrolliert Künstliche Intelligenz nutzen, dann besteht die Gefahr einer Diktatur“ wird Frau Hofstetter im Gespräch zitiert. Sie widerspricht nicht und sagt:

„Die Internetgiganten verfügen über alle Schlüsseltechnologien, um intelligente Maschinen aufzubauen. Wie weit die Technik gehen wird, ist für uns überhaupt nicht mehr überschaubar. Diese unkontrollierte Entwicklung, die unsere Souveränität so sehr betrifft, hat mit Demokratie nichts mehr zu tun.“

Dem hat auch Frau Hofstetter nichts entgegen zu setzen. „Künstliche Intelligenz muss sehr sorgfältig eingesetzt werden“, sagt sie. Genau das machen die Konzerne. Wie wir sehen: Auch eine intelligente Frau kann sehr einfältig sein.



Und nun, weil aller guten Dinge drei sind, zum Gespräch mit Andreas Butz, Medieninformatiker, mit Dieter Kassel, Deutschlandradio Kultur, am 16. Januar 2015 am frühen Morgen, zu nachtschlafener Zeit, um 06:47 Uhr.

„Künstliche Intelligenz könnte einmal das Ende der Menschheit bedeuten“ wird Physiker Stephen Hawking eingangs erwähnt. Herr Butz widerspricht. Ob er auch überzeugt?

Im ersten Augenblick möchte ich Herrn Butz recht geben. „Die menschliche Stärke liege auch darin, Lösungen zu finden die nicht vorhersehbar seien“, sagt er. Ich finde, wir haben die Fähigkeit zu lernen, obgleich sie bei manchen Menschen unterentwickelt oder gar nicht vorhanden zu sein scheint. Computer können nicht lernen.

Herr Butz wird auch recht haben mit seiner Meinung, dass Computer uns auf Spezialgebieten überlegen sein können, beispielsweise beim Schachspiel. Aber das ist eine einseitige Sache. Computer können… - nein, es ist nicht wichtig, was sie können. Wichtiger ist, was sie nicht können. Und das ist FÜHLEN.

Weil das Leben noch komplizierter ist als bisher notiert, noch ein Nachtrag.

Intelligente Ingenieure der Automobilindustrie entwickeln zurzeit  das Automobil, das wirklich auto mobil ist. Man setzt sich rein, sagt, wohin man gebracht werden will, und los geht’s. Lenkrad, Gaspedal und Bremse oder der Automatikschalter – alles überflüssig. Das Automobil kann und macht alles ohne uns. Auch ohne unser Gewissen? Das bleibt abzuwarten – wie hübsch gesagt, fast politisch korrekt.

Kürzlich wurde folgende Situation als Problem geschildert: Das Automobil fährt auto mobil, also unser Zutun auf der von uns gewählten Strecke. Plötzlich taucht ein Kind auf, das, ohne nach rechts oder links zu blicken, über die Straße läuft.

Was macht unser Automobil? Es folgt seinem Programm. Und was sagt das Programm? Du hast zwei Möglichkeiten: Entweder du überfährst das Mädchen und dir passiert nichts. Oder du weichst nach rechts aus, dein Auto kommt von der Straße ab, und wenn es ganz schlimm kommt, bist du tot.

Wie haben sich die Programmierer entschieden? Und bist du damit einverstanden?
09. 02. 2015

Freitag, Februar 06, 2015

Polly

Obgleich ich finde, dass wir viel zu viele Abkürzungen haben, von denen man oft nicht weiß, wofür sie stehen, will ich ein neues Kürzel einführen. Ich halte das für notwendig.

Polly bezeichnet das Schönsprechen, die Schönsprecherei, die aufgeblasenen Formulierungen, mit denen Politiker und Manager mit Fleiß umgehen. Sie bringen es fertig, die kleinste Kleinigkeit als groß und bedeutend darzustellen. Viele von ihnen merken das möglicherweise gar nicht, weil sie in einer anderen Welt leben, abgehoben von unserer Alltagswelt. Ich will ihnen weder Verstand noch Gefühl im Allgemeinen absprechen, um Himmels Willen, nein! Aber ein Gefühl für unsere Sprache haben sie nicht.

Das Kürzel Polly steht für Politiker-Lyrik. Eine Lyrik, die wie gesagt, auch Manager pflegen. Polly steht in freundschaftlich-gegensätzlicher Verbindung zu Kiss, dem Kürzel für Keep it simple and stupid. (Sag’s einfach, damit es auch Dumme verstehen.)

Hier für einige Polly-Beispiele:

„In einen Dialog treten“. (Ein sprachliches Fettnäpfchen.) Ein Gespräch beginnen, miteinander sprechen – täte es auch.

„Konfrontativ vorgehen“, „konsensualer Wahlkampf“,  „eine abstrakte Gefährdung, aber keine konkreten Hinweise“, „eine robuste Prognose“, „belastbare Daten“, „ein robustes Mandat“ – alles Polly, alles Politiker-Lyrik. Soll gut klingen, ist aber durch die Bank schrecklich.

Mal klingt es bombastisch (konfrontativ, konsensual), mal ist es schlicht falsch. Eine robuste Prognose ist eine genaue Prognose, belastbare Daten sind zutreffende, verlässliche Daten. Mal soll etwas verschleiert werden: Hinter dem robusten Mandat verbirgt sich nichts anderes als ein Kampfeinsatz.

Ich will nicht geschmacklos werden. Aber was Politiker weltweit zu den Morden in Paris, Charlie Hebdo, „trauernd“ gesagt haben, ist so Polly wie nur irgendetwas. Herr Karasek hat es im Hamburger Abendblatt vom 10./11. Januar 2015 auf den Punkt gebracht: „Nach einem so schrecklichen Ereignis wie dem Anschlag in Paris sind die Politiker in ihren ersten Stellungnahmen meist sprachlos. Das aber leider mit vielen Worten.“ Dem ist im Augenblick nichts hinzuzufügen.

10. 01. 2015 „Kultur von Fall-zu-Fall-Entscheidungen“ (Olaf Preuss, HA-Redakteur Wirtschaft, 16. 01. 2015): Ohne Kultur ginge es auch – kürzer und besser. Statt Lyrik PROSA.

„… und es gibt eine nicht vorhandene Fähigkeit, diese Nachfrage zu befriedigen.“ (Wolfgang Ischinger, Jurist und Völkerrechtler, Hamburger Abendblatt, 19. 01. 2015). Das heißt, es gibt etwas, das es gar nicht gibt.
„Desaströs“ – zu diesem Monstrum fällt mir wirklich nichts mehr ein – oder doch? Schrecklich, entsetzlich, grauenhaft, furchtbar… na bitte, es geht doch.

„Die Entscheidung der Wähler werde respektiert“, sagt Günther Öttinger, einer der vielen EU-Kommissare, zur gestrigen Wahl in Griechenland. Ein klarer Fall von Politiker-Lyrik. Herrn Öttinger bleibt ja gar nichts anderes übrig.

Wir können Gift drauf nehmen: Ö. hat sich erst mal tüchtig in den griechischen Wahlkampf eingemischt, hat gesagt, wo es dort nach seiner Ansicht langzugehen hat. Die Griechen haben anders gewählt, haben Öttingers Ratschläge nicht befolgt. Nun will der POLLYTIKER seine Äußerungen abmildern – mit so einem dummen Spruch.



Güterbahnhof

Immer, wenn etwas Wichtiges in Gefahr zu sein scheint oder auch wirklich ist, blasen unsere Politiker (m/w) die Backen auf, bringen sich in Positur und heben an, sich bedeutungsvoll zu äußern. „Die Pressefreiheit ist ein Hohes Gut, das es zu schützen gilt“, sagen sie. „Die Datensicherheit ist ein Hohes Gut, das es zu schützen gilt.“ usw. usw.

So kommt ein Hohes Gut zum anderen, und da wir viele Politiker (m/w) haben, kommt viel Hohes Gut zusammen. Liegt da nicht der Gedanke nahe, dass wir so bald wie möglich einen Güterbahnhof für das Hohe Gut in all seinen Erscheinungsformen einrichten sollten? Laufen wir nicht Gefahr, dass sonst das eine oder andere Hohe Gut auf der Strecke bleibt? Und wenn dann jemand noch eine Weiche falsch stellt, gerät das Hohe Gut vielleicht auf ein Abstellgleis und damit in Vergessenheit.

Wie jedes Problem lässt sich auch dieses lösen. Es wird Zeit, dass wir die Vision eines Güterbahnhofs für Hohes Gut in die Tat umsetzen. Nur so werden wir auf Dauer den Überblick über das behalten, was Politiker (m/w) uns als Hohes Gut vorführen. 

So ein „Hohes-Gut-Güterbahnhof“ hat noch einen anderen unschätzbaren Vorteil. Da er, wie jeder anständige Güterbahnhof, siehe Hamburg-Moorfleet, viele, viele Gleise hat, können wir das eine Hohe Gut mal dahin und das andere dorthin rangieren, so wie es uns bzw. unseren Politikern (m/w) gerade in den Sinn kommt.

Damit niemand auf dumme Gedanken kommt, damit niemand glaubt, er könne mich beklauen. Ich habe diese Idee, diese Vision bereits in vorauseilendem Ungehorsam zum Patent angemeldet.

Das ist es, worauf es heute ankommt.: nicht lange palavern, sondern Tatsachen schaffen, so wie es gerade in Sachen TTIP (Transatlantic Trade Investment Partnership) versucht wird. Noch ist TTIP kein Hohes Gut, das es zu schützen gilt. Bevor unsere Politiker darauf kommen, sollten wir der Entrechtung der Parlamente, des Bundestage, der Demokratie einen Riegel vorschieben. Unkontrollierbare Schiedsgerichte anstelle ordentlicher Gerichte? Nein, danke. Irgendwelche Ein-wände? 06. 02. 2015.

Dienstag, Februar 03, 2015

Gott, die teuflischste aller Erfindungen

Wenn es Gott gäbe, müsste man ihn verfluchen. Aber es gibt ihn nicht. Er ist eine Fiktion. Er ist eine Einbildung. Nur, weil wir auf die eine Frage „wie ist alles entstanden, wer hat es gemacht?“ keine Antwort gefunden haben und nicht finden werden und diese Antwortlosigkeit uns keine Ruhe lässt, nur deshalb haben wir Gott erfunden. Wir wollen uns selbst damit ruhig stellen, nur ist es mit der Ruhe nicht weit her.

Am Anfang war die Sache einfacher. Da gab es viele Götter. Und das machte das Leben und Glauben wirklich einfacher, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht.

Werfen wir mal einen Blick auf den Anfang. Die Alten Griechen hatten eine ganze Menge Götter und Göttinnen. Aphrodite für die Liebe, Merkur für den Handel, bei den Römern hieß der Hermes. Oder war es umgekehrt? Egal. Es gab für alles und jedes einen Gott oder eine Göttin. Das machte die Sache so menschlich. Die Römer sahen die göttlichen Angelegenheiten genauso. Auch die Germanen und die Kelten hatten ihre Leute im Himmel, an die sie sich wenden konnten.

Wie gesagt: Im Himmel wie auf Erden ging es menschlich zu oder auch göttlich. Das kommt auf den Standpunkt an. Jedenfalls gab es immer irgendwelche Möglichkeiten, zurecht zu kommen. Irgendwie konnte man sich in Glaubensachen durchmogeln. Es war, wenn es darauf ankam, ziemlich leicht, die Götter gegeneinander auszuspielen. In der Beziehung waren die Götter wirklich menschlich. Das machte das Leben auf der Erde leichter. Der Begriff „alternativlos“ war noch nicht erfunden. Auch in verzweifelten Situationen gab es zumindest zwei Möglichkeiten. Jakobowski hat das in dem „Dokumentarfilm“ „Jakobowski und der Oberst“ immer wieder bewiesen.

Das Unglück begann damit, dass die Götter abgeschafft wurden. Nein, sie gingen nicht freiwillig. Wenn sie nicht parierten, wurden sie mit Feuer und Schwert vertrieben. Vertrieben? Umgebracht wurden sie.  Fragen Sie mal Karl den Großen, der war darin Experte. Die Aller führte kaum noch Wasser, so viel Blut floss bei der Ermordung der Götter. Dass dabei so viele Sachsen umkamen, würde man heute als Kollateralschaden bezeichnen. Gute Idee! Dabei sollten wir bleiben, egal, was die Schulbücher schreiben.

Ja, so war es. Dabei hätte man sich denken können, dass die Sache mit einem einzigen Gott nicht funktionieren kann. Womit ganze Götterfamilien ihre Schwierigkeiten hatten, sollte jetzt ein Gott regeln. Der sollte belohnen, bestrafen, vermitteln, der sollte alles wissen, alles können. Das konnte nicht gut gehen. Und so kam es dann auch.

Vielleicht hätte die Sache geklappt, wenn es bei einem Gott geblieben wäre. Aber auf einmal gab es drei; den der Juden, den der Mohammedaner und den der Christen. Ganz gleich, welchem man untergeordnet wurde, man durfte nur an einen glauben. Von göttlichem Familienleben keine Spur.

Ich habe keine Ahnung, wie viele Menschen diesem irrwitzigen Glauben zum Opfer gefallen sind. Im Laufe der Zeit dürfte die Milliarde weit überschritten sein. Der Monotheismus ist eine Mordsgeschichte, eine mörderische Geschichte. Eine Geschichte ohne Ausweg, wie gleich zu sehen ist.

Kein Ausweg. Nicht wirklich, aber eine Variante. Eine menschliche? Nein, eine teuflische: das Diktat des einen Gottes (du sollst keine anderen Götter haben neben mir) auf Menschen übertragen. Drei Namen, die den Wahnsinn beweisen: Hitler, Stalin, Mao Zedong. Jeder ein Gott. Jeder vergöttert. Jeder ein Massenmörder.

Wer nun meint, damit sei der Wahnsinn auf die Spitze getrieben, irrt. Es geht noch schlimmer. Der schlagende Beweis: „Die Partei hat immer Recht.“ Das wurde doch wirklich vor gar nicht so langer Zeit behauptet. Wenigstens das hat sich als Irrtum herausgestellt. Vielleicht hat Gott auch nicht immer Recht. Wer weiß?
03. 02. 2015

Pragmatismus

Wenn wir die Dinge so nehmen wie sie sind, wenn wir uns arrangieren, wenn wir fünfe gerade sein lassen, ein Auge zukneifen oder gleich ganz wegsehen, wenn wir den bequemen Weg gehen, dann verhalten wir uns pragmatisch. Das ist Pragmatismus.

Alles halb so schlimm? Oder schlimmer als schlimm? Sehen wir uns die Sache mal am Beispiel Saudi-Arabien an. Da ist gerade der 91-jährige König gestorben und ein nicht viel jüngerer folgt ihm. Ein Anlass für das Hamburger Abendblatt, sich in den Ausgaben vom 22. und 24./25. Januar mit Saudi-Arabien zu befassen.

„Der entsetzliche Verbündete“ überschreibt Thomas Frankenfeld am 22. Januar seinen Beitrag. Er schildert die Enthauptung einer Frau, so wie man kein Tier schlachten würde. 87 Menschen wurden 2014 in Saudi-Arabien mit dem Schwert hingerichtet. Der Blogger und Menschenrechtsaktivist Raif Badawi hat Muslime, Christen, Juden und Atheisten als gleichwertig bezeichnet. Die Strafe: 1000 Hiebe mit einem Rattanstock. Schon nach 50 Hieben musste die „Bestrafung“ unterbrochen werden. Der Anwalt Badawis wurde zu 15 Jahren Haft verurteilt, weil er Badawi verteidigte. Saudi-Arabien ist wohl die intoleranteste Despotie der gesamten islamischen Welt – von den mörderischen Fanatikern des „Islamischen Staates abgesehen, fasst Frankenfeld eine Reihe von Untaten zusammen. Parteien, Opposition, Streiks und Gewerkschaften sind verboten. Die Rechte von Frauen sind drastisch eingeschränkt, fährt Frankenfeld fort und kommt dann auf die fragwürdige, die empörende Rolle des „Westens“ zu sprechen.

Das Problem für den Westen ist, dass dieser unerquickliche „Verbündete“ über die größten Ölreserven der Welt und starke Streitkräfte verfügt, dass die geostrategische Situation sich bei einem Zusammenbruch Saudi-Arabiens in katastrophaler Weise verändern würde. „De facto garantieren die USA den Bestand des Regimes gegen Öllieferungen und eine Stabilisierung der Region. Zudem ist Saudi-Arabien Rivale und Gegengewicht zum schiitischen Iran.“

Menschenwürde, Freiheit, alle menschlichen Werte geben wir her für unseren Luxus.

Clemens Wergin sieht das in seiner Betrachtung „Der Westen verliert einen Stabilitätsanker“ genau so und doch ganz anders. Er hebt hervor, dass König Abdulla eine Reihe von Reformen in seinem Land durchgesetzt hat. So ließ er die Lehrbücher überprüfen, ließ besonders radikale Textstellen entfernen und zwang 900 Imame zu Re-Edukations-Kursen. Er erlaubte Frauen, in Supermärkten zu arbeiten, ernannte eine Frau als stellvertretende Ministerin und machte den Weg für saudische Frauen frei, an den Olympischen Spielen teilzunehmen. Ein Stipendienprogramm ermöglichte es vielen Saudis, im westlichen Ausland zu studieren, und in einer von ihm gegründeten Universität werden Frauen und Männer unterrichtet, was für die Kleriker nicht einfach zu akzeptieren ist. König Abdullah ein Reformator? Das wäre wohl übertrieben.

Auch wenn Saudi-Arabien eine kluge Ölpolitik betrieb, die eine prosperierende westliche Wirtschaft erlaubte, auch wenn Saudi-Arabien die „Arabische Friedensinitiative“ von 2002 nachdrücklich unterstützte, aus der dann nichts wurde – das Land wurde und wird menschenverachtend despotisch regiert. Und wir, der Westen, nehmen das in Kauf – für unser Wohlleben. Sollten wir uns nicht schämen? Aber schämen kommt in der Politik nicht vor. Gefühle sind nicht erlaubt. Wer war das noch, der sagte: In der Politik gibt es kein Freunde, nur Interessen. An dieser Feststellung mogeln sich nicht nur die Politiker vorbei, wir alle machen dabei mit.
02. 02. 2015