Sonntag, Dezember 27, 2009

Zu nah dran

Wenn du zu nah an einer Sache dran bist, kannst du dir kein richtiges Bild mehr machen. Für die richtige Sicht brauchst du Abstand. Ich habe es erlebt.

1962. Die Sturmflut. Ich war ganz nah dran. Nicht in Wilhelmsburg. Ich hatte einen Gesprächstermin am Ballindamm. Das Gespräch verlief ruhig. Keiner hatte eine Ahnung, was draußen passiert war. Als ich nach Hause fuhr, habe ich gesehen, dass das Wasser über den Rathausmarkt plätscherte. Ich habe mir nichts Besonderes dabei gedacht. Zu Hause: kein Strom, kein Licht, kein Telefon, nur Sturm, Sturm, Sturm. Die Wände des kleinen Holzhauses, in dem ich wohnte, wackelten. Ich habe trotzdem gut geschlafen. Ich war völlig ahnungslos, weil ich zu nah dran war. 50, 100 Kilometer von mir entfernt wusste man alles über die Katastrophe.

Das alles fiel mir ein, als ich ein Hamburger Abendblatt Gespräch mit Herrn Schächter las, dem Intendanten des ZDF (19/20. Dezember 2009). Da sagt Herr Schächter: „In ganz Europa verlieren Sender, die wie wir hauptsächlich Informations-sendungen im Programm haben, jüngere Zuschauer.“

„Hauptsächlich Informationssendungen“? Herr Schächter scheint das ZDF Programm nicht zu kennen. Welches Wunder. Er ist zu nach dran, wie ich damals bei der Hamburger Sturmflutkatastrophe 1962.

Ich wollte mir das Leben nicht zu leicht machen und habe mal nachgesehen, welchen Anteil die Informationen im ZDF Programm haben. So leicht, wie ich mir das vorgestellt hatte, ist das gar nicht. Gehören Sportsendungen zur Information oder zur Unterhaltung? Auch für andere Sendungen gilt diese Frage.

Wenn Sportsendungen der Information zugerechnet werden, kommt das ZDF am Samstag/Sonntag 2./3. Januar 2010 so ungefähr auf Halbe/Halbe. Am Dienstag, 04. 01. 2010 sieht das schon ganz anders aus. Das stehen mehr als 8 Stunden Unterhaltung nur drei Stunden Information gegenüber – über den Daumen gepeilt und laienhafter gemacht als es ein Intendant tun würde. Zählt Herr Schächter Politik-Talkshows zur Information oder zur Unterhaltung. In der Sache informativ sind diese Shows nicht.
Aufschlussreich sind sie höchstens, was die Politikerrituale angeht und die Eitelkeit der Talker. Das Fatale an den Politik-Talkshows: Sie sind so gut wie nie informativ und nur selten unterhaltsam. Das macht es so schwierig, diese Sendungen der einen oder anderen Kategorie zuzuordnen.

Aber laienhaft hin und her: Das ZDF als Informationssender zu bezeichnen ist mehr als kühn. Im Vergleich zu manchem Privatsender mag das noch einigermaßen zutreffen. Nur: Wenn andere schlechter sind als ich, macht das meine schlechten Leistungen nicht besser.

Zurück zur Äußerung von Herrn Schächter: Vielleicht verliert das ZDF die jungen Zuschauer, weil die mit den sogenannten Volksmusiksendungen nichts anfangen können.

Samstag, Dezember 26, 2009

Ich kann mich nicht fokussieren

Das kommt davon, wenn man ein paar Tage nichts notiert: Von dem, was täglich auf einen einstürzt, kann man nur weniges festhalten und auch das nur in Stichworten. Aber vielleicht ist das ganz gut so. Sonst würde man sich die Finger wund schreiben.

Ich fange mal mit den Redewendungen und Wörtern an, die mir in diesen Tagen über den Weg gelaufen sind, manche zum ersten Mal, andere sind gute, nein, schlechte Bekannte, die sich nicht abschütteln lassen.

In einer Fernsehprogrammzeitschrift begegne ich einem für mich ganz neuen Wort: „Showacts“. In einer Sendung werden zwischendurch „Showacts“ gezeigt, heißt es. Was sind „Showacts“? Kunststücke? Auftritte von Akrobaten? Kabarettistische Auftritte? Keiner hat es mir verraten. Ich habe die Sendung nicht gesehen und auch nicht die „Showacts“.

Ebenso schleierhaft ist mir das Wörtchen „covern“ geblieben, gelesen im Hamburger Abendblatt. Da hat Wencke Myhre einen Film oder einen Song gecovert. („I Saw Mommy Kissing Santa Claus“). Ich habe hin und her überlegt, aber ich habe nicht rausbekommen, was „covern“ wirklich bedeutet. Ich habe beim Abendblatt nachgefragt. Aber die „Denglish-Abteilung der Redaktion hat mir bis heute nicht geantwortet.

Ich cruise, du cruist, er, sie es cruist und so weiter. Nein, ich habe noch nicht gecruist, aber irgendjemand hat es in einer der letzten STERN- SPIEGEL- oder
manager magazin-Ausgaben getan. Er hat weder mit einer Jolle gegen den Wind gekreuzt, noch war er auf einem Kreuzfahrtdampfer unterwegs, er ist einfach mit seinem Auto ganz entspannt gefahren – dahingeglitten, könnte man sagen. Aber gecruist? Wenn schon, dann bitte wie mit Cakes und Keks: ich kruse, du krust, er, sie es krust…

So wird ständig neuer Unsinn generiert – pardon: produziert, hervorgebracht, in die Welt gesetzt. Einer plappert’s dem anderen nach, und so sind schließlich alle auf das Wörtchen generieren fokussiert.

Aber den totalen Sieg über „konzentrieren“ hat „fokussieren“ noch nicht errungen. Noch habe ich nicht gehört oder gelesen: „Ich kann mich nicht fokussieren.“ (Wäre eigentlich der zeitgemäße Ersatz für „Ich kann mich nicht konzentrieren“.

Noch etwas, was das Nachplappern angeht: „Sich neu erfinden.“ Alle Welt erfindet sich heute neu, oder soll oder muss sich neu erfinden. Bei allen oft überraschenden Fähigkeiten, über die wir verfügen: Sich selbst erfunden hat noch kein Mensch, einfach, weil das menschenunmöglich ist.

Immer, wenn von sich selbst neu erfinden die Rede ist, meint man sich neu orientieren, neue Wege gehen, neue Möglichkeiten suchen, einen neuen Anfang machen.

Aber Fastfood-Deutsch – und dazu gehört „sich selbst neu erfinden“ – macht das Schreiben so leicht. Man muss nicht nach den passenden Wörtern suchen; der
Sprachdoppelwopper bringts. So wird jedem das Maul gestopft.

Sonntag, Dezember 20, 2009

Gelernt ist gelernt, und studiert ist studiert

Man soll nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen, ganz besonders, wenn es gesprochen wird. Anders gesagt: Wir sollen nicht allzu pingelig sein.

Aber wir sollten auch nicht alles so hinnehmen, wie es uns serviert wird, schon gar nicht, wenn es geschrieben und nicht einfach so daher gesagt ist.

Hinter ärgerlichen Formulierungen steckt häufig das, was mit „political correctness“ bezeichnet wird.

Was ist politisch korrekt? Und wer bestimmt darüber? Und wohin führt das politisch korrekte Reden und Schreiben?

„Neger“ beispielsweise ist politisch nicht korrekt. Wir sollen „Farbiger“ sagen (und schreiben). Das finde ich in jeder Hinsicht dumm. Schließlich sind alle Menschen Farbige. Mal sind sie schwarz, mal braun, mal gelb, mal rot, mal weiß. Ziemlich viele Farben sind vertreten. (Die Weißen kriegen übrigens recht leicht einen Sonnen-brand und zählen dann zeitweise zu den Rothäuten.)

Zurück zum Neger. Weil wir nicht mehr Neger sagen sollen, sondern Farbiger, dürfen wir auch nicht mehr von Negerküssen reden. Deshalb heißen Negerküsse jetzt Schokoküsse.

Da kann ich mir den Witz nicht verkneifen, der mir im internet begegnete: „Sagt eine Biene zum Negerkind – wollen wir tauschen? Negerkuss gegen Bienenstich?“

Bei Winnetou, Old Shatterhand, bei Wildtöter – immer war von Bleichgesichtern und Rothäuten die Rede. War das diskriminierend? Nein, das war nicht herabsetzend, es machte nur die Unterschiede klar. Im Englischen steht das Unterscheiden an erster Stelle, im Deutschen ist die Herabsetzung wichtiger.

Neger hin, Farbiger her – wirklich schlimm ist, dass sich die vermeintliche, die verordnete politische Korrektheit überall einnistet, oft gar nicht ohne weiteres erkennbar und deshalb noch unerträglicher.

Da ist in Zeitungsberichten immer wieder von mutmaß-lichen Verbrechern die Rede, obgleich an deren Ver-brechen kein Zweifel besteht. Sie sind nur noch nicht verurteilt. Hier verhält sich die Presse politisch korrekt, aber nicht korrekt, was die Tatsachen betrifft.

Und nun zum geringsten, aber am weitesten verbreiteten Übel:

Täglich lesen wir von gelernten Reisebürokauffrauen, studierten Ingenieuren, studierten Germanistinnen usw. usw. Von ungelernten Reisebürokauffrauen lesen wir genauso wenig wie von Ingenieuren und Germani-stinnen ohne Studium.

Ein Ingenieur ist ein Ingenieur, eine Germanistin ist eine Germanistin. Ein Unternehmer ist ein Unternehmer und kein gelernter Unternehmer. Jedenfalls hat noch keine Zeitung von einem gelernten Unternehmer geschrieben.
Auch von gelernten Politikern war noch nicht die Rede. Das sollte nachdenklich machen.

Ärgerlich sind die Gedankenlosigkeit und die Gleichgül-tigkeit, mit der wir diese großen und kleinen Spielarten der political correctness hinnehmen. Wer verschreibt uns die eigentlich? Wir regen uns über die „Sittenwäch-ter“ im Iran auf und haben hier selbst welche. Vermut-lich ist diese Äußerung alles andere als politisch korrekt.

Ich bitte trotzdem nicht um Nachsicht, um Verzeihung schon gar nicht. Ich habe nicht die Absicht, politisch korrekt zu sein. Ich will nur verständnisvoll sein.

Wir bleilben hier!

Diese drei Worte entschieden nicht über Leben und Tod; sie befahlen den Tod.
Diese dreil Worte schickten ungezählte junge Männer in den Tod.

Das war im Januar 1945 in Ungarn, bei der Verteidigung von Budapest. Und diese drei Worte sagte Fritz Darges, SS-Obersturmbannführer und Kommandeur eines SS-Panzerregiments. (Einzelheiten: STERN 51. 10. 12. 2009)

Die Jungs, denen Fritz Darges sagte „Wir bleiben hier“, sind seit 64 Jahren tot. Sie waren damals 18, 19, 20 Jahre jung. Fritz Darges (SS-Nummer 72222) wurde 96 Jahre alt. Er blieb eben nicht da, sondern rettete sich in amerikanische Gefangen-schaft.

Nun ist das kein Einzelfall, eher die Regel. Nicht zuletzt deshalb gibt es ja auch den Begriff „Menschenmaterial“. Das kann man verheizen. Und so war es dann auch.

Das Böse kommt, wie so oft, zum Schluss: „Wir waren nicht die Letzten von gestern, wir sind die Ersten von morgen“ (Fritz Darges 1992).

Sollen wir uns das gefallen lassen? Sollen wir den Alt- und Neonazis freien Lauf lassen? Wollen wir das wirklich?

Samstag, Dezember 19, 2009

Verraten und verkauft

Dies ist die Fortsetzung von „Wischiwaschi und das Märchen von den Sterntalern“.

„Gewisse Eliten haben versagt“, sagt der Erste Bürgermeister von Hamburg, Ole von Beust, im Hamburger Abendblatt-Interview vom 3. Dezember, und räumt ein „Es gibt Fehler von allen Seiten.“ So liest sich der erste „Wischiwaschi“-Absatz.

Klingt das nicht einsichtig? Ist da möglicherweise gemeint, nicht nur Banker, Hedgefondsmanager, geldgierige Unternehmen, brutalglobale Kapitalisten reinsten Wassers hätten den Schlamassel verursacht, in dem wir jetzt weltweit und hautnah stecken, sondern auch Politiker?

Eine leise Andeutung dieser Möglichkeit war das wohl. Mehr aber auch nicht. Vor allem war es der Versuch um Verständnis zu werben für etwas, das nicht zu verstehen ist und das kein Verständnis verdient: der Versuch, den anderen in die Schuhe zu schieben. So weit das Vorwort. Und jetzt zum „heulenden Elend“, wie SPIEGEL online am 15. 12. 2009 schreibt:

Thema Landesbanken. Die HSH wollte der weltgrößte Finanzier von Container-schiffen werden. Die WestLB glaubte, im globalen Investmentbanking mitspielen zu können. Die BayernLB wollte den Osten erobern. So weit SPIEGEL online. Von anderen Landesbanken soll hier gar nicht die Rede sein. Auch sie haben sich nicht mit Ruhm bekleckert, sondern Milliarden gekostet.

Wo ist das Problem? Da haben Bankmanager ihren Größenwahn ausgelebt. So etwas kommt nicht nur in der Finanzindustrie vor. Da kracht dann ein Unernehmen zusammen und ist weg. Wenigstens sollte es so sein. Seit der Begriff „systemisch“ herumgeistert, ist das auch nicht mehr so.

Bei den Landesbanken ist das ein wenig anders. Hinter den größenwahnsinnigen Bankern standen ebenso größenwahnsinnige Politiker. Heide Simonis sagte dazu sinngemäß: „Jedes Jahr 70 Millionen EURO Dividende für den Landeshaushalt, das machte uns besoffen.“ Leider sagte sie das erst, als sie schon lange nicht mehr die Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein war. Mitgespielt, aber nicht mitgehangen.

Und nun bei der BayernLB? Garantie für 10 Milliarden EURO. 3,7 Milliarden EURO futsch durch die Affäre Hypo Alpe Adria Bank.

Nicht nur in den Landesbankfällen spielen die Politiker Versteck. Sie wenden den Trick „Haltet den Dieb – ich bin es ja nicht“ überall an.

Verraten und verkauft werden wir zur Zeit durch das Größenwahnsinnbeschleu-nigungsgesetz. Fragwürdige Entlastungen steuergeplagter Bürger sollen vor allem von den Bundesländern und den Kommunen bezahlt werden. Das können die aber gar nicht, ohne Pleite zu gehen.

Wo ist das Problem in diesem Fall? Die Pleitiers brauchen am 18. Dezember doch nur nein zu sagen, und schon wird ein milliardenschwerer Unsinn zu Makulatur.

So geht das aber nicht in der Politik. Der Grund: Die schwarzen und schwarzgelben Ministerpräsidenten, die Bundesländer also, würden der Bundeskanzlerin, also der Bundesregierung, die Arschkarte zeigen.

Und so wird geschachert, gekungelt und gefeilscht, damit niemand das Gesicht verliert. Aber sind wir Chinesen, die niemals ihr Gesicht verlieren dürfen? Dürfen wir nicht auch mal verlieren? Dürfen unsere Politiker nicht auch mal verlieren? Es muss ja nicht gleich das Gesicht sein. Ihre Glaubwürdigkeit ist ohnehin zum Teufel.
Rien ne vas plus – nichts geht mehr.

Das Spiel geht so: Ihr sagt ja, und wir schieben euch die Penunze zu., die ihr braucht.
Ob wir das aber wirklich tun, wissen wir noch nicht. Wichtig ist ja im Augenblick nur, dass wir unsere Wahlversprechen einhalten: Steuersenkungen.

Bitte das Thema nicht zu eng zu sehen! Dass nur die Bessergestellten besser gestellt werden und die Armen nichts davon haben – Schicksal! Dass alle, alle, alle, jeder Steuerzahler die Zeche zum Schluss bezahlen muss, das wird nicht gesagt.

Steuern werden gesenkt, Abgaben werden erhöht. Das nennt man Nullsummenspiel.
Die Bundesregierung will die Bundesländer bestechen. Es ist zu fürchten, dass ihr das gelingt.

Und deshalb sind wir verraten und verkauft.

PS: So ist es nun auch gekommen. Der als Held aufgetretene Harry Peter Carstensen (MP von SH) ist als Maulheld von der Bühne abgetreten. Super Nanny und ihr galanter Begleiter haben befohlen, und die Parteilsoldaten standen stramm, gestern, in der Bundesratssitzung. Nun haben wir die Bescherung, rechtzeitig zu Weihnachten.

Ich gehe davon aus, dass unsere Super Nanny ihre Versprechungen, die sie den Bundesländern gegeben hat, nicht einhalten wird. Und von den Kommunen ist überhaupt nicht die Rede. Die meisten haben so leichtfertig gewirtschaftet, dass sie vorn und hinten nicht hochkommen können. Und nun werden sie noch einmal zur Kasse gebeten – gefragt wurden sie nicht. So geht man mit dem Geld anderer Leute um. Nur weil man den Mund vor der Wahl vollgenommen und Steuersenkungen versprochen hat.

Noch einmal: Deshalb sind wir verraten und verkauft.